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Wem politologische Analysen der Berliner Republik zu anstrengend geworden sind, für den reicht zum Eindruck der Mentalität dieser Vorwende-Stagnation ein Blick auf die Ikonographie der Wahlplakate, beispielsweise jener zur Hamburgischen Bürgerschaft. Ganz ohne Fußnoten kann man erkennen, was Parteien heute unter „Visionen“ verstehen. Bürgerschaft! Das klingt noch sehr hanseatisch nach versammelter Kompetenz, nach Wirtschafts- und Sozialverantwortung, nach aufklärerischer Intellektualität.

Um so armseliger, mit welcher „Wirkungsästhetik“ sich eine „Bürgerschaft“ heute auszuweisen versucht. Für Olaf Scholz, früher Stamokap-Fraktionist, dann als treuer Schrödianer SPD-Generalsekretär und Hartz-IV-Erklärbär, schließlich deswegen auch noch Arbeitsminister, dann aber versenkt, reicht auf dem Plakat der Wetterberichtsgestus und der unterstrichene Begriff „Klarheit“ aus. Ein Abstraktum oder eine Metapher, je nach dem.

Für Ole von Beust taten es damals drei Buchstaben auf warmem Orange: „Ole“. Obwohl der Mann kaum etwas bewegte, galt er als „Hoffnungsträger“, so ähnlich wie heute der fränkische Freiherr, weil er smart aufzutreten verstand und einen Gestus entwickelte, den man nun mal mögen kann, wenn man mehr nicht wissen will. Die Grünen präsentieren einen farbigen „Hamburger Jung“, der für „Gute Bildung, gute Chancen“ stehen soll.

Lächelndes Friesennerz-Model

Man sagt sich: Ein farbiges Kind für die Grünen, ja klar, aber weshalb muß diese Partei nach dem Desaster der schlimmsten Schulreform gerade von Bildung reden? Die FDP – von Westerwelles Abstieg geängstigt – bietet Katja Sudig als zahnig lächelndes Friesennerz-Model auf, kokettiert also sehr gewitzt mit gelbem Lieblingscholorit und Schietwetter-Klischee und schreibt ihrem Feechen eine sehr integrale Plattitüde der Lebensberater-Literatur in die Sprechblase: „Positiv denken. Positiv handeln.“

Während die Linke im abgekupferten klassischen NPD-Ausrufezeichen-Layout den fiesen Pfeffersäcken endlich mit 150 Steuerprüfern droht. Huh! Nur die CDU, die wegen ihres dummen Bündnisses mit den Grünen in einer Art Erklärungsnot steckt, überfordert den Betrachter fast mit einem vergleichsweise wortreichen Text, der allerdings in seiner Nulligkeit den Konkurrenten in nichts nachsteht: „Starke Schulen, starke Wirtschaft!“

Heute wollen alle Mitte sein

Wieder alles drin, was man so braucht, gerade aber verspielt hat. Ach, was haben wir es da als Geschichtslehrer schwer, wenn wir in unseren Kursen die Bleiwüsten historischer Plakate analysieren! Da ging es um Inhalte und Argumentationen, da wurde der politische Gegner polemisch widerlegt und thesenhaft niedergemacht, es kamen böse Karikaturen in aggressiver Farbigkeit zum Einsatz, und alles focht mit scharfkantigen Symbolen.

Vor allem: Kaum jemand außer die immer redlichen Liberalen wollte laue Mitte sein, weil das für Mittelmaß stand. Heute sind alle Mitte! Man wünschte sich, daß die Nichtwähler, die aus nachvollziehbaren Gründen auf die Farce pfeifen, wenigstens doch auch plakatieren würden. Dort wäre vielleicht zu lesen, wohin alles verkam.

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