Ein halbes Jahr vor der EU-Wahl und anderthalb Jahre vor der nächsten Bundestagswahl ist ein regelrechtes Parteigründungsfieber ausgebrochen. Am Montag hob Sahra Wagenknecht in Berlin ihre neue Formation aus der Taufe. Kurz zuvor gab Ex-Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen bekannt, die ursprünglich als CDU-Gliederung gegründete Werte-Union nun in eine Partei umzuwandeln. Daneben gruppiert sich das stark von Ex-Mitgliedern der AfD getragene Bündnis Deutschland, dem bereits die Bürger in Wut aus der Bremer Bürgerschaft beigetreten sind.
Die Hochkonjunktur für neue Parteien ist Begleiterscheinung einer massiven Schwächephase etablierter Parteien, vor allem der Ampelregierung. Doch auch wenn die CDU unter Friedrich Merz wieder zulegt, sie konnte den Aderlaß der Merkel-Ära bislang nicht ansatzweise aufholen.
Vor allem aber sind die Neugründungen eine Folge des Aufstiegs der AfD, die aktuell bei bis zu 23 Prozent taxiert wird. Der Erfolg der AfD speist sich bislang aus der Weigerung und Unfähigkeit der übrigen Bundestagsparteien, in vitalen politischen Fragen den Unmut der Bürger aufzugreifen und zu artikulieren. Im Zentrum: die völlig außer Kontrolle geratene Massenmigration und eine für Wirtschaft und Privathaushalte selbstmörderische Energiepolitik.
EU-Wahl ist ein Testlauf für neue Parteien
Sahra Wagenknecht war bislang nicht zugetraut worden, eine Parteigründung organisatorisch in den Griff zu bekommen. Mit ihrer Vorstellung am Montag vor der Bundespressekonferenz präsentierte sie sich keineswegs als „One-Woman-Show“, sondern konnte mit Fabio De Masi und dem Ex-SPD-OB von Düsseldorf, Thomas Geisel, zwei neue kompetente Köpfe präsentieren. Doch reicht das für einen stärkeren Einbruch bei unzufriedenen Wählern des Mitte-Links-Spektrums? Vor allem: Gelingt die stets unterschätzte organisatorische Bändigung der Parteigründung in der Fläche?
Die EU-Wahl ist ein vergleichsweise einfacher und wegen fehlender Fünf-Prozent-Hürde verführerischer Testlauf für neue Parteien. Das wird sich auch die Werte-Union gedacht haben. Bei ihr gibt es bei Organisation und Personal jedoch massive Zweifel. Offenbar stehen überwiegend frustrierte AfD-Aussteiger und weniger CDU-Renegaten Schlange, um sich am liebsten hinten in den Bus zu setzen, wenn er denn losfährt. Doch die ewig gleich Frage: Wer baut einen funktionierenden Motor für den Bus, wer besorgt ausreichend Sprit, wer bändigt die Spinner, und wie viele Fahrer streiten sich bereits jetzt um die Lenkung?
Mit Blick auf den großen Friedhof gescheiterter Parteien ist Skepsis angesagt. Dennoch sollte die AfD nicht zu hochmütig reagieren, sondern kritisch eigene Repräsentationslücken und Defizite prüfen.