Es geschehen Dinge in der großen Politik, die Rätsel aufgeben. So zum Beispiel die verunglückte Rede des deutschen Bundespräsidenten in Yad Vashem am 23. Januar, in der er bezweifelte, daß die Deutschen „für immer“ aus der Geschichte gelernt hätten. Oder auch ein anderer Auftritt Steinmeiers, nämlich der an diesem Freitag im Schloß Bellevue. Dann wird er dem ehemaligen Präsidenten der Europäischen Zentralbank Mario Draghi – verbunden mit einer präsidentiellen Ansprache – das Bundesverdienstkreuz verleihen. Nicht irgendeinen Verdienstorden, sondern die höchste in Frage kommende Stufe, das Großkreuz am Schulterband mit dem sechsspitzigen Bruststern, links.
Daß die Ehrung so schnell und umstandslos auf den Weg gebracht werden konnte, dafür sorgte Heiko Maas. Weil Draghi Ausländer ist, mußte der Antrag beim Auswärtigen Amt eingereicht, von diesem geprüft und anschließend dem Bundespräsidenten unterbreitet werden. Ein kurzer Dienstweg, denn Maas mußte nur seinen eigenen Antrag für gut befinden. Welche „Referenzpersonen“ der Außenminister angab, die seinen Vorschlag hätten unterstützen können, ist bislang nicht bekannt. Er hätte auf den Namen Merkel zurückgreifen können, nachdem diese anläßlich der Abschiedsfeier im Frankfurter EZB-Tower Ende Oktober den „lieben Mario“ überschwenglich gelobt und noch dazu geduzt hatte. Das alles hat etwas Inzestuöses an sich.
Laut Darstellung des Bundespräsidialamtes muß sich ein Ordensträger „besondere Verdienste“ um die Bundesrepublik Deutschland und das „allgemeine Wohl“ erworben haben. Ob das auf Draghi zutrifft, liegt im Auge des Betrachters. Er hat sich ohne Zweifel um Italien verdient gemacht. Er hat die Zinsen so weit gesenkt, daß die horrenden italienischen Staatsschulden bedienbar blieben und damit den Politikern in Rom die überfälligen Reformen erspart. Nur ist für die Würdigung dieser in der Tat herausragenden Leistung nicht Berlin, sondern Rom zuständig – und dort hat er seinen Orden, auch ein Großkreuz, ja schon bekommen.
Er druckte Geld aus dem Nichts
Hoch angerechnet wird Draghi auch, daß er am 26. Juli 2012 auf einer Investmentkonferenz in London im Alleingang den Maastrichter Vertrag beiseite wischte und versprach, „alles zu tun, was nötig ist, um den Euro zu erhalten“. Er druckte Geld aus dem Nichts, er nahm Staatsschulden in die EZB-Bilanz, er schaffte dann auch noch die Zinsen ab. Er rettete den Euro um den Preis der Rechtsbrechung und einer bis heute schwelenden Dauerkrise – nicht zuletzt auf deutsche Kosten. Ja, er hat sich um die Europäische Währungsunion verdient gemacht, von der Helmut Kohl am 12. Dezember 1989 gegenüber US-Außenminister James Baker sagte, sie gehe „gegen deutsche Interessen“.
Bei den deutschen Geldinstituten und ihren Kunden wird jedenfalls keine rechte Begeisterung über die Auszeichnung aufkommen. Dank Negativ- und Nullzinsen haben sie bisher einige hundert Milliarden dem Kunstwährungsfetisch Euro zum Opfer gebracht. Die Rechnung ist noch offen, und zwar nach oben. Dafür konnte sich der Staat zu Lasten der Bürger entschulden, mehr Geld für Unsinniges ausgeben und die Illusion nähren, seine Finanzen seien in Ordnung.
Was Ex-Bundesbankpräsident Helmut Schlesinger von diesem „Antibundesbanker“ (Die Zeit) hält, hat er in einem Interview mit der Welt am Sonntag vom 11. März 2012 zu Protokoll gegeben. Schlesinger war es übrigens, der schon 2010 auf die mysteriösen Target-Salden stieß und Hans-Werner Sinn darauf aufmerksam machte, der dann nach eigenen Recherchen den Skandal an die Öffentlichkeit brachte. Peanuts sind das nicht, immerhin machen diese Auslandsforderungen der Bundesbank (aktueller Stand: 838,8 Milliarden Euro) einen Großteil des deutschen Netto-Auslandsvermögens aus, und sie sind im Gegensatz zu werthaltigen Devisenreserven zinslos und können nicht fällig gestellt werden. Ob damit den Interessen der Bundesrepublik und dem Gemeinwohl gedient ist, entzieht sich vermutlich der Kenntnis des Bundespräsidenten.
Für Merkel den Euro gerettet
In dem erwähnten Interview vermittelte Schlesinger eine Vorstellung davon, was Mario Draghi anrichten würde. Nachdem der Italiener die Bilanz der EZB in kürzester Zeit auf drei Billionen verdreifacht hatte, warnte er: „Das sind Dimensionen, die eher an Kriegsfinanzierung erinnern. Damals hat sich die Bilanzsumme verzehnfacht.“ Er fügte hinzu: „Einen Geldüberhang hat man in der Geschichte durch zweierlei wegbekommen: Entweder durch eine Währungsreform, so wie das in Deutschland 1948 der Fall war. Damals wurde die Geldmenge gezehntelt. Oder durch Preiskontrollen oder Zwangsbewirtschaftung.“
Der FDP-Bundestagsabgeordnete Frank Schäffler lag nicht ganz falsch, als er sich darüber empörte, daß man jetzt schon für Enteignung einen Orden bekäme. Aber für die Enteignung der Sparer hat Draghi ihn genaugenommen nicht erhalten. Er hat die Eurozone mit Rückendeckung der Regierung Merkel zusammengehalten. Die Interessen der kleinen Sparer, die jetzt um ihre Altersversorgung bangen, spielten in diesem Kalkül nie eine Rolle. Die Kanzlerin hat das Versprechen Kohls und seines Finanzministers Waigel, die EZB werde die Tradition der Bundesbank fortsetzen, stillschweigend aufgekündigt. Mit dem Orden an Draghi wird die Deutsche Bundesbank ein weiteres Mal desavouiert.
Draghi, der Mann der Hochfinanz, war als routinierter Geldmanager nur Kompagnon der Politik – Christine Lagarde ist sortenreine Politikerin, sonst nichts. Sie wird, was Draghi nie getan hat, die Geldpolitik auch noch für den Klimawahn mißbrauchen. Helmut Schlesinger, der wie kein anderer für eine harte Deutsche Mark stand, auch er ein Träger des Großkreuzes, bekommt unpassende Gesellschaft.