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Interview der Woche: Cancel-Opfer Sebastian Ostritsch: „Ich werde nicht mehr schweigen“

Interview der Woche: Cancel-Opfer Sebastian Ostritsch: „Ich werde nicht mehr schweigen“

Interview der Woche: Cancel-Opfer Sebastian Ostritsch: „Ich werde nicht mehr schweigen“

Cancel-Opfer Philosoph Sebastian Ostritsch
Cancel-Opfer Philosoph Sebastian Ostritsch
Der katholische Philosoph Sebastian Ostritsch wird von einer katholischen Hochschule gecancelt, weil er für katholische Publikationen schreibt. Foto: René Schnitz, JF
Interview der Woche
 

Cancel-Opfer Sebastian Ostritsch: „Ich werde nicht mehr schweigen“

Immer neue Fälle von Cancel Culture – nun hat es den Philosophen Sebastian Ostritsch erwischt. Die JF hat mit dem Hochschuldozenten, Buchautor und Journalisten gesprochen.
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Herr Dr. Ostritsch, wieso wurden Sie gecancelt?

Sebastian Ostritsch: Ehrlich? Ich weiß es nicht genau. Der Professor von der Münchner Hochschule für Philosophie (HFPH), der mich eingeladen hatte, mein neues Buch „Serpentinen. Die Gottesbeweise des Thomas von Aquin nach dem Zeitalter der Aufklärung“ vorzustellen, druckste nur herum, er müsse nochmal nachsehen, was genau man mir vorwerfe. Die Studenten hätten irgendwelche Aussagen von mir rausgesucht.

Die da wären?

Ostritsch: In einer E-Mail wurde ominös auf die Wochenzeitung Die Tagespost und das katholische Online-Journal „Corrigenda“ verwiesen, beides katholische und christlich geprägte Medien. Für erstere arbeite ich als Chef vom Dienst, für letztere als Kolumnist. Damit war die Aufklärung aber auch schon wieder vorbei, mehr kam nicht von der HFPH.

Für mich ist nur schwer nachzuvollziehen, daß das der Grund der Ausladung sein soll. Ich bin katholischer Philosoph, und die Hochschule für Philosophie befindet sich in der Trägerschaft der Jesuiten, eines katholischen Ordens. Da sollte es eigentlich keinen Stoff für Proteste geben.

Ostritsch: „Ich bin zu einem Vortrag angereist, von dem niemand etwas wissen durfte“

Wie haben Sie von der Ausladung erfahren?

Ostritsch: Meine Buchvorstellung wäre am Donnerstag gewesen. Erst ganz kurz davor, am Dienstag, rief mich der Professor an, um mir etwas geknickt mitzuteilen, Canceln sei schlecht, aber ich sei jetzt leider trotzdem gecancelt. Der Kollege bat mich um Verständnis, schließlich müsse er mit seinen Studenten auch in Zukunft noch zusammenarbeiten.

Wie haben Sie das erlebt?

Ostritsch: Ich habe vor allem die Art und Weise der Hochschulleitung als schäbig empfunden. Bis an jenem Dienstagabend hatte man mir versichert, der Vortrag finde statt. Schließlich gehe es um die Wissenschaftsfreiheit. Gleichzeitig wurde auf Druck der Studenten sämtliche Werbung für meinen Vortrag entfernt, digital sowohl als auch analog – zur „Deeskalation“ wie es hieß.

„Wäre das ein Problem für Sie?“, wurde ich noch gefragt. Ich antwortete ehrlich: „Nein, ich komme trotzdem.“ Auch wenn ich es natürlich etwas seltsam fand, zu einer Buchvorstellung anzureisen, von der mangels Hinweisen niemand wissen sollte.

„Die Hochschule hat in ihrer Kernaufgabe Wissenschaftsfreiheit versagt“

Einmal hü, einmal hott und ein Amen darauf also.

Ostritsch: So in etwa. Das hat wohl auch damit zu tun, daß dieses Vorgehen nicht allen am Jesuitenkolleg ganz geheuer war. Zumindest ist das mein persönlicher Eindruck. Dem Professor zum Beispiel war der schlußendliche Anruf hörbar unangenehm. Aber er stand nun mal zwischen empörten Studenten auf der einen Seite und der um ihr Renommee besorgten Hochschulleitung auf der anderen. Was sollte er machen?

Die HFPH kritsiert, Ihre „polarisierenden“ Aussagen als Publizist hätten das Thema des Abends überlagert: Ein „akademischer Diskurs“ über Gottesbeweise sowie der „sichere Verlauf der Veranstaltung“ seien unter den „gegeben Begleitumständen“ nicht mehr zu gewährleisten.

Ostritsch: Schlauer fühle ich mich nach dieser Stellungnahme jedenfalls nicht. Vor allem frage ich mich, ob die Hochschule überhaupt begreift, was sie da verlautbart. Wenn sie nämlich nicht mehr für die Sicherheit von Dozenten in ihren Räumen garantieren kann, versagt sie bei ihrer Kernaufgabe, der Wissenschaftsfreiheit. Außerdem erweckt die HFPH den Eindruck, ihre Studenten hätten ein Gewaltproblem.

„Für mein Buch ist der Trubel ein Segen“

Die Kollegen vom Online-Magazin „Corrigenda“ zitieren eine Studentin, die mit Blick auf den Mord am konservativen US-Redner Charlie Kirk witzelte, zumindest erschießen werde man Sie in München nicht.

Ostritsch: Genau. Ich kann natürlich nicht mehr in Erfahrung bringen, wie ernst diese als Scherz verkleidete Drohung wirklich gemeint war. Andererseits will ich die Probe aufs Exempel eigentlich auch gar nicht machen. Daß die Hochschule aber von sich aus auf Sicherheitsbedenken verweist, wirft ein ziemlich schlechtes Licht auf sie.

Haben die Studenten ihr Ziel erreicht?

Ostritsch: Ganz im Gegenteil, für mein Buch ist der Trubel ein Segen. Selbst den Vortrag konnte ich am Ende noch halten, nur eben nicht mehr an der HFPH, sondern am frisch aus der Taufe gehobenen Carlsbad Institute for Social Thought. Gott weiß bekanntlich auch aus Schlechtem etwas Gutes zu machen.

Man hat Ihnen zwar nicht gesagt, wegen welcher publizistischen Aussagen Sie ausgeladen wurden. Aber Sie können für uns ja einmal Ihre schlimmsten politischen Phantasien auspacken. Wofür stehen Sie? Kreuzzüge? Inquisition? Hexenverbrennung?

Ostritsch: Ich finde zum Beispiel, daß es durchaus moralisch gute Gründe für eine eher restriktive Migrationspolitik gibt.

Jetzt bin ich aber enttäuscht.

Ostritsch: Das tut mir sehr leid, aber schlimmer wird es nicht. Ich habe vor einige Monaten einen Vortrag in der Berliner Bibliothek des Konservatismus zu dem Thema gehalten. Da habe ich dafür geworben, daß Konservative sich bei den drängenden politischen Fragen unserer Zeit wieder ernsthaft mit Moral beschäftigen – auch was Migration betrifft.

„Konservative sollten sich wieder mehr moralische Fragen stellen“

Warum sollten sie? Ist Moral nicht nur Steckenpferd irgendwelcher „Gutmenschen“?

Ostritsch: Das sehe ich nicht so. Konservative spüren instinktiv, daß sie etwas bewahren wollen. Warum? Weil es gut in einem überzeitlichen Sinne ist und deswegen auch nicht dem Strom der Moden und Ideologien preisgegeben werden darf. Da braucht es dann schon einen vernünftigen, gehaltvollen Begriff des Guten – schon sind wir mittendrin in der Moral. Das wäre mein Plädoyer.

Ist es nicht ein Kennzeichen konservativer Weltanschauung, sich den „kalten“ und realistischen Blick auf die Wirklichkeit jenseits moralischer Erwägungen zu bewahren?

Ostritsch: Sicher. Aber die heute weit verbreitete Abgeklärtheit vieler Konservativer erklärt sich vor allem aus dem an sich ja verständlichen Überdruß am linken Moralismus, der aber nichts mit echter Moral zu tun hat.

Sie hatten eben von „Gutmenschen“ gesprochen. Die gehen in der Tat mit ihrer angeblichen moralischen Exzellenz hausieren, um andere abzukanzeln. Konservative diffamieren die Moral deshalb in Gänze als unlautere rhetorische Waffe, gegen die man sich wehren muß, indem man sie in einer pseudo-nietzscheanischen Wendung als verkapptes Machtmittel der Schwachen denunziert.

Und das ist falsch?

Ostritsch: Ja, und es ist auch nicht konservativ. Moral ist objektiv, es gibt das Sittliche und Unsittliche, das Gute und Schlechte. Ich betrachte diesen Reflex gegen die Moral deshalb als Überreaktion gegen die linke Instrumentalisierung der Moral.

„Ich wünschte, der Protest gegen mich wäre geistreicher“

Politisch zahlt sich dieser Reflex doch aber aus: Rechtspopulisten feiern überall in Europa Erfolge, indem sie Moral als Sache von Studenten, Professoren und Journalisten angreifen. Die kann weg, heißt es. Und die Leute wählen das.

Ostritsch: Wenn man nur Populist sein möchte, kann man das natürlich so machen. Aber dann sollte man auch nicht behaupten, man sei konservativ in einem substantiellen Sinne. Dann ist man nämlich einfach nur machthungrig.

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Dennoch sind auch Sie jetzt mit Berufung auf die Moral gecancelt worden – von Studenten. Haben die Rechtspopulisten da also nicht doch einen Punkt?

Ostritsch: Um mal für die Studenten eine Lanze zu brechen: Mich haben nach meiner Ausladung auch enttäuschte Zuschriften mit dem Tenor erreicht, daß man wirklich gerne zu meiner Buchvorstellung gekommen wäre. Außerdem sind – und das ist ganz witzig – nachdem die offiziellen Plakate zu meinem Auftritt an der HFPH über Nacht von der Hochschulleitung entfernt worden waren, auf einmal wilde Plakate an der Hochschule beziehungsweise in der Nähe aufgetaucht, die für mich Werbung machten. Es waren also wohl nicht alle der Meinung, daß ich der „rechtsextreme Fundamentalist“ sei, vor dem in diversen Chatgruppen gewarnt wurde.

Nicht alle, aber einige, und die waren ziemlich laut. Hat Sie das ins Grübeln gebracht?

Ostritsch: Ich wünschte, dem wäre so. Was könnte man nicht für wertvolle Anstöße vom Protest einer mehrheitlich katholischen Studentenschaft erwarten! Einspruch zum Beispiel, wenn ich etwas gegen das Lehramt gesagt hätte. Man soll mir einen Satz aus meinen Büchern und Artikeln zeigen, der mit der Kirche bricht – ich würde ihn mit großer Freude widerrufen. Aber es ist genau umgekehrt, mein Vortrag wurde am Thema vorbei politisiert.

Was die Studenten da wie eine Monstranz vor sich hertragen ist Moralismus, keine Moral. Es ist genau das, worüber wir eben gerade noch gesprochen haben. „Der hat eine gefährliche Agenda“, hieß es bloß sinngemäß und „Der darf hier nicht auftreten“. Alles ziemlich plump. Klassischer kann man sich Canceln eigentlich gar nicht vorstellen.

„Das Glaubensgut steht selbst in katholischen Mileus unter Druck“

Bleibt zu hoffen, daß nach der Hochschule jetzt nicht auch noch der Verlag einknickt.

Ostritsch: Das steht Gott sei Dank nicht zu befürchtet. Der Verlag hat andere Probleme und muß erstmal die sprunghaft gestiegene Nachfrage nach meinem Buch wieder einfangen. Spaß beiseite: Ich habe Matthes & Seitz als besonderen Ort geistiger Freiheit schätzengelernt und von dort bisher nichts als Unterstützung erfahren. Meine Überlegungen zur Bedeutung von Gottesbeweisen im 21. Jahrhundert befinden sich also in guten Händen.

Der Held Ihres Buches, der Kirchenlehrer Thomas von Aquin, hat zeitlebens für die Einheit von Glauben und Wissen geworben. Wie angeknackst ist diese Einheit 2025 in Deutschland, wenn Sie die Debatte rund um Ihren Auftritt reflektieren?

Ostritsch: Das Festhalten am ganzen Glaubensgut der Kirche, vor allem an der katholischen Anthropologie, scheint selbst in kirchlich-universitären Milieus inzwischen zum Stein des Anstoßes geworden zu sein – und zwar aus politischen Gründen. Das finde ich schon sehr betrüblich.

Haben Sie denn außer der Ablehnung auch Zuspruch erfahren?

Ostritsch: Zuspruch erhalte ich derzeit vor allem über das Internet, wo ich meinen Fall öffentlich gemacht habe. Die Tagespost, das Blatt, für das ich selbst arbeite, hat bereits eine erste Meldung dazu geschrieben. Die Chefredakteurin findet die Vorgänge bestürzend.

Was sind Ihre nächsten Schritte?

Ostritsch: Ich muß das jetzt leider erstmal so hinnehmen. Ich bedauere, daß wir so weit gekommen sind, daß ein katholischer Philosoph wie ich nicht mehr über Gottesbeweise referieren kann, nur weil er nicht links ist. Ich habe mir eins vorgenommen: Ich werde nicht schweigen.
___________

Dr. Sebastian Ostritsch lehrt am Philosophischen Seminar der Ruprecht-Karls-Universität zu Heidelberg. Der habilitierte Privatdozent und Publizist, geboren 1983 im schwäbischen Heidenheim an der Brenz, studierte in Stuttgart und Paris, bevor er 2013 über Hegels Rechtsphilosophie promoviert wurde. Seither schreibt er für die Neue Zürcher Zeitung, die Welt, die katholische Wochenzeitung Die Tagespost sowie das katholische Online-Journal „Corrigenda“.

Außerdem veröffentlichte er mehrere Bücher: „Hegel. Der Weltphilosoph“ (2020), „Let’s Play oder Game Over? Eine Ethik des Computerspiels“ und „Ewigkeit und das Leiden an der Zeit“ (beide 2023). Ende vergangener Woche ist sein neuer Band erschienen: „Serpentinen. Die Gottesbeweise des Thomas von Aquin nach dem Zeitalter der Aufklärung“.

Aus der JF-Ausgabe JF50/25.

Der katholische Philosoph Sebastian Ostritsch wird von einer katholischen Hochschule gecancelt, weil er für katholische Publikationen schreibt. Foto: René Schnitz, JF
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