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„Den Bürger ans Messer liefern“

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„Den Bürger ans Messer liefern“

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Herr Dr. Beck, was haben Sie falsch gemacht?

Beck: Nichts.

Wie sind Sie dann in diese Lage geraten?

Beck: Mein Fehler war wohl, nicht zu ahnen, was in unserem Land alles möglich ist. Mein Fehler war, mir nicht vorstellen zu können, daß der deutsche Staat zuläßt, daß unbescholtene, ehrliche und leistungsbereite Bürger fertiggemacht und ruiniert werden.

Im Juni 2006 erhielten Sie einen Brief …

Beck: … von einer Frankfurter Firma namens „Westend“, hinter der, wie ich heute weiß, der US-Hedge-Fonds „Lone Star“ steckt. Ich habe den Brief zunächst kopfschüttelnd zur Seite gelegt, weil ich ihn mit meiner Bank gar nicht in Verbindung brachte. Man denkt sich: „Ein Irrtum!“ oder „Das ist doch kompletter Unfug!“

Aber dann bin ich doch unruhig geworden, habe den Brief noch mal hervorgekramt und Freunde und Bekannte angerufen: Anwälte, Notare, Steuerberater und Sparkassendirektoren. Keiner konnte damit etwas anfangen, keiner wußte Bescheid. Niemand war damals darüber informiert, was da dank einer Gesetzesnovelle der Regierung Schröder seit neuestem in Deutschland möglich war und ist.

Das Schreiben informierte Sie darüber, daß Ihr Kredit aufgekauft worden war und Sie ihn sofort zu bedienen hätten.


Beck:
Und das zudem in einer Höhe, mit der ich nie gerechnet habe. Ich bin studierter Wirtschaftswissenschaftler, aber ich habe den Brief dennoch nicht verstanden, auch beim zweiten Lesen nicht, weil ich mir einfach nicht vorstellen konnte, was da vor sich geht. Inzwischen habe ich dazugelernt: Mein Hotel ist zwangsversteigert worden. Ich habe 500.000 Euro verloren, meine komplette Altersvorsorge.

Heute bin ich nur noch Pächter in meinem eigenen Hotel. Zwar brummt der Betrieb, aber wir sind gekündigt zum 31. Dezember. Dann werden meine zehn Angestellten arbeitslos – und das im strukturschwachen Mecklenburg. Und die Gemeinde Daschow verliert einen ihrer sozialen Orte, denn unser Hotel am See ist im Sommer ein beliebtes Feierabendziel, und mit Kunstaustellungen und Aktionen haben wir uns längst als Daschower Institution etabliert. Das Gebäude wird dann das Wochenendhaus eines bayerischen Ehepaares, unser öffentliches Seeufer wohl zu Privatgelände.

„Hinter den meisten dieser Kredite stehen Schicksale“

Warum wurde Ihr Kredit verkauft?

Beck: Mein Kredit paßte der Bank nicht mehr ins Konzept, weil sie sich nach Basel II reorganisiert hat. Auf keinen Fall war er „faul“, wie man so sagt. Wobei ich diesen Begriff ablehne, denn er unterstellt, daß diese Schuldner den Banken faule Eier ins Nest gelegt hätten. Das ist oft aber nicht der Fall. Hinter den meisten dieser Kredite stehen keine Kreditbetrüger, sondern Schicksale: Grundanständige Bürger, die ohne eigene Schuld in Not geraten sind. Können die Mitarbeiter von Nokia in Bochum oder AEG in Nürnberg etwas dafür, daß sie auf der Straße stehen?

Die Politik ist schuld an Ihrer Lage?

Beck: Die Politiker wußten doch, was sie taten, als sie ab 2002 bzw. 2004 die entsprechenden Finanzmarktförderungsgesetze ergänzten. Unter der Leitung der Grünen Christine Scheel hatte der Finanzausschuß des Bundestages Gutachter eingeladen. Doch die Gutachten wurden nicht berücksichtigt! Fazit: Deutsche Politiker haben – trotz Expertenwarnung – nicht an ihre deutschen Landsleute gedacht, sondern waren lieber US-Hedge-Fonds zu Diensten. Sie schwören, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden, und liefern dann Bürger ans Messer!

Der Bundestagsgutachter Hans-Peter Schwintowski (siehe Interview unten) sagt, der Politik war nicht klar, welche Folgen die Gesetzesänderungen haben würden.

Beck: Wenn das stimmt, wäre dies nicht weniger erschreckend, denn das hieße, daß die Politik nicht weiß, was sie tut. Gute Nacht, Deutschland! Ich kann mir aber kaum vorstellen, daß unsere Politiker derart inkompetent sind. Ich halte Gewissenlosigkeit für die plausible Erklärung.

Auch die Union hat sich als Totalausfall erwiesen

Inzwischen haben wir eine neue Bundesregierung – geändert hat sich allerdings nichts.
 
Beck: Nein, zur großen Enttäuschung nicht. Der Bundestag will im April das Thema aufgreifen – ich verspreche mir nichts davon.

Inzwischen ist die Regierung CDU-geführt. Hätte man da nicht Engagement für Häuslebauer und Mittelstand erwarten können?

Beck: Natürlich. Aber: Fehlanzeige! Zwar gibt es unter etlichen Unionsabgeordneten erheblichen Unmut über die Situation, insgesamt aber hat sich auch die Union als Totalausfall erwiesen. Die CDU ist in der Sache sowenig Anwalt des Bürgertums wie die SPD Anwalt des kleinen Mannes. Eines der wichtigsten Mitglieder der CDU-Fraktion und des Finanzausschusses ist sogar selbst beteiligt an einer Mammutkanzlei, die dieses Inkasso-Geschäft betreibt.

Sie sprechen offenbar von Friedrich Merz?

Beck: Ich nenne aus juristischen Gründen keine Namen. Aber ebendieser Politiker füllt sich die Taschen, statt sich für die Bürger einzusetzen – und die Union schaut zu.

„Deutsche Kaufmannsehre und konservative Bürger-Ethik“


Marktwirtschaft hat nun mal kein Herz.

Beck: Nein, das stimmt nicht. Erinnern Sie sich an die Wiedervereinigung? Für viele emotional geprägte, unternehmerische Menschen war das eine aufregende Herausforderung. Was war es für ein Gefühl, damals dabei sein zu dürfen, in Berlin erstmals wieder durch das Brandenburger Tor zu gehen und sich in den neuen Ländern zu engagieren, um etwas zum Aufbau und Zusammenwachsen unseres Landes beizutragen!

Dann kamen all die üblichen, gewaltigen Schwierigkeiten, dennoch ließ man sich nicht entmutigen. – Daß uns nun aber so in den Rücken gefallen wird! Ich kann das nicht fassen. Irgendwo ist man doch auch Mensch und denkt nicht nur an Profit, sondern auch an das große Ganze.

Sie haben formuliert, der Hedge-Fonds, mit dem Sie zunächst noch zu verhandeln versucht haben, sei Ihnen damals „nicht wie ein deutscher Kaufmann begegnet“.

Beck: Ja, es ist falsch, soziale Marktwirtschaft und Turbokapitalismus gleichzusetzen. Diese Art Hedge-Fonds lebt davon, über den Kredithandel zu Preisen an Objekte zu kommen, die weit unter Wert liegen. Das heißt, andere, ehrliche Leute haben einen Mehrwert geschaffen, den die Hedge-Fonds nicht bezahlen, den sie sich aber beim Weiterverkauf bezahlen lassen. Das heißt, sie leben von der Arbeit anderer Leute!

„Leider gibt es am Ende immer jemanden, der so etwas tut.“

Sie sagen, das hat mit Kaufmannsehre nichts zu tun?

Beck: Eben. Bei allem Wandel und allen Brüchen in der Geschichte war der Kaufmannsstand immer auch mit einer gewissen Ethik und Ehrgefühl unterlegt. Kaufmännische Philosophie war immer auch die Idee von der Mehrung des allgemeinen Wohlstands durch Handel und Wandel.

Die Hedge-Fonds dagegen stellen einen Traditionsbruch dar. Ihnen geht es nicht um Profit durch Schaffen, sondern durch Vernichtung: aufkaufen, zerstören, abkassieren. Selbst ihre Gewinne sind nicht produktiv, sondern werden wieder verspekuliert. Wenn wir das weiter zulassen, wird die soziale Marktwirtschaft kippen!

Betreiben Sie nicht romantische Verklärung?

Beck:
Nein. Der Beweis: Die Hedge-Fonds sind darauf angewiesen, daß Dritte die zwangsversteigerten Objekte kaufen. Leider gibt es am Ende immer jemanden, der so etwas tut. Aber was mir Mut macht, sind die vielen Menschen, die vom Kauf unseres Hotels zurückgetreten sind, als sie die Hintergründe erfahren haben. Die gesagt haben: „Nein, an so was beteiligen wir uns nicht. Wir halten Ihnen die Daumen!“

Das sind Menschen, die begriffen haben, daß wir Bürger eine Werte- und Solidargemeinschaft sind und daß Handel und Wandel einen ehrbaren Boden brauchen. Das gibt mir nicht nur Hoffnung, mit dem Ehepaar aus Bayern doch noch eine Lösung für den Erhalt unseres Hotels zu finden, vor allem hat es mir gezeigt, daß es im deutschen Bürgertum noch einen konservativen ethischen Kern gibt. Eine Erfahrung, die mich tief gerührt hat.

Dr. Michael Beck Der Personal- und Unternehmensberater (www.beck-beratung.de) ist eines von Tausenden Opfern des Kredithandels zwischen Banken und Hedge-Fonds.   Zuletzt arbeitete der Wirtschafts-und Sozialwissenschaftler als Geschäftsführer, bevor er sich als Erholungshotelier an der Mecklenburgischen Seenplatte selbständig machte. 2007 ließ der texanische Hedge-Fonds Lone Star sein Landhotel Schloß Daschow zwangsversteigern. Trotz Kündigungsdrohung der neuen Eigentümer bewirtschaftet Beck das Hotel aber vorerst weiter. Geboren wurde er 1950 in Ludwigsburg bei Stuttgart.

Kontakt und Informationen: Landhotel Schloß Daschow,
Schloßstraße 5, 19386 Daschow, Telefon: 038732 / 50 00, im Internet.
Lone Star Funds:  Die US-Investmentfirma mit Sitz in Dallas – deutsche Zentrale in Frankfurt/Main – ist gegenwärtig Marktführer unter den auf Kreditaufkauf spezialisierten Hedge-Fonds. Zwei Drittel aller notleidenden Kredite in Deutschland wurden bislang von Lone Star gekauft.

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