CDU und CSU halten daran fest, daß die Verbände der deutschen Heimatvertriebenen über ihre Vertretung im Rat der Stiftung ‘Flucht, Vertreibung, Versöhnung’ selbst entscheiden können“, hieß es vor der Wahl im „Regierungsprogramm“ der Union. Doch was nutzen die besten Absichtserklärungen, wenn der Koalitionspartner in dieser Frage eine andere Auffassung vertritt? Schließlich hat FDP-Chef Guido Westerwelle mehr als einmal deutlich gemacht, daß seine Partei einer Entsendung Erika Steinbachs (CDU) in die Vertriebenenstiftung nicht zustimmen will.
Für den Bund der Vertriebenen (BdV) kommt jedoch nichts anderes in Frage: Der Verband hält an seiner Präsidentin fest und beharrt auf seinem Recht, seine Vertreter in der Stiftung selbständig zu benennen. Zudem ist der BdV offenbar nicht gewillt, sich in dieser Angelegenheit auf ewig vertrösten zu lassen. BdV-Vizepräsident Albrecht Schläger (SPD) verlangte am Montag von Bundeskanzlerin Angela Merkel ein Machtwort. Wenn sie ihr Wahlversprechen nicht brechen wolle, müsse sie von ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch machen und Außenminister Westerwelle in die Schranken weisen, sagte Schläger im Deutschlandfunk. Bereits zuvor hatte der CSU-Europaabgeordnete und Sprecher der sudetendeutschen Volksgruppe, Bernd Posselt, gegenüber der JUNGEN FREIHEIT mit einem Rückzug der Sudetendeutschen aus dem Zentrum gegen Vertreibungen gedroht, sollte die Bundesregierung nicht bis Jahresende den Weg für Steinbach in den Beirat der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ freimachen. „Andernfalls hat das Projekt für uns seinen Sinn verloren“, warnte Posselt.
Unterstützung bekam der CSU-Politiker vom Vorsitzenden der Landsmannschaft Schlesien, Rudi Pawelka. Dieser forderte ebenfalls eine zügige Entscheidung der Bundeskanzlerin: „Der Bund der Vertriebenen wird Frau Merkel nicht aus ihrer Verantwortung entlassen. Die Kanzlerin irrt, wenn sie glaubt, sie könnte das aussitzen“, machte Pawelka gegenüber der JF deutlich.
Der Sprecher der Landsmannschaft Ostpreußen, Wilhelm von Gottberg, sagte hingegen, er gehe von einer Entscheidung in den nächsten acht bis zehn Wochen aus. Ob diese jedoch zugunsten von Erika Steinbach ausfallen werde, ließ der stellvertretende BdV-Vorsitzende gegenüber dieser Zeitung offen: „Das Votum für Frau Steinbach ist in der Präsidiumssitzung des BdV einstimmig ausgefallen und wurde auch von mir mitgetragen“, sagte von Gottberg. Wenn es aber übergeordnete Gründe gebe, die gegen eine Entsendung Steinbachs in den Stiftungsrat sprächen, so müßten die Bundeskanzlerin und der Außenminister diese klar benennen. „In dieser Sache braucht es Transparenz“, forderte von Gottberg.
Wie die JF in der vergangenen Woche aus Unionskreisen erfuhr, ist Steinbach während der Koalitionsverhandlungen der Posten als Staatssekretärin im Bildungsministerium angeboten worden. Ob sie im Gegenzug auf ihren Sitz in der Vertriebenenstiftung verzichten sollte, blieb jedoch offen. Fest steht nur, daß sie das Angebot offenbar aus Sorge, sie könne als käuflich gelten, abgelehnt hat. Steinbach selbst war bislang für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.
Dennoch kam zu Beginn der Woche etwas Bewegung in die zunehmend verfahrene Situation: Nachdem die Vertriebenenpräsidentin in der Welt am Sonntag bekanntgab, sie warte seit dem Amtsantritt Westerwelles auf einen Gesprächstermin mit dem Außenminister, signalisierte der FDP-Chef ebenfalls Gesprächsbereitschaft: „Ich habe noch nie ein Gespräch verweigert und werde das auch nicht tun“, sagte Westerwelle laut Medienberichten auf einer Präsidiumssitzung seiner Partei. Allerdings sei seine ablehnende Position gegenüber Steinbachs Anspruch auf einen Sitz in der Vertriebenenstiftung unverändert.
Um so unwahrscheinlicher ist es daher, daß sich die Angelegenheit noch einvernehmlich lösen läßt. Für den vertriebenenpolitischen Sprecher der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Stephan Mayer, trägt dafür allerdings der Außenminister die Verantwortung. „Er hat die ganze Debatte um die Person Steinbachs völlig unnötig bei seinem Amtsantritt in Polen ins Rollen gebracht“, kritisierte Mayer gegenüber der JF Westerwelles Verhalten. Insofern dürfe sich der FDP-Chef auch nicht beklagen, wenn er am Ende einen Gesichtsverlust hinnehmen müsse.
Foto: Erika Steinbach im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses: Geordneter Rückzug als Ausweg?