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Brüssel: Die deutsche Brandmauer-Debatte und das EU-Parlament

Brüssel: Die deutsche Brandmauer-Debatte und das EU-Parlament

Brüssel: Die deutsche Brandmauer-Debatte und das EU-Parlament

EVP-Chef Manfred Weber (CSU, l.) und Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán (Patrioten für Europa): Steht die Brandmauer im EU-Parlament oder nicht?
EVP-Chef Manfred Weber (CSU, l.) und Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán (Patrioten für Europa): Steht die Brandmauer im EU-Parlament oder nicht?
EVP-Chef Manfred Weber (CSU, l.) und Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán (Patrioten für Europa): Verläuft die Brandmauer entlang der ESN-Fraktion, der die AfD angehört? picture alliance/dpa | Philipp von Ditfurth
Brüssel
 

Die deutsche Brandmauer-Debatte und das EU-Parlament

Das EU-Parlament entschärft das Lieferkettengesetz. Ermöglicht haben das rechte Mehrheiten, inklusive der AfD. Steht die Brandmauer also nur noch in Deutschland? Was die Abstimmung bedeutet – und was nicht.
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Nach der „Omnibus“-Abstimmung vom 13. November im Europäischen Parlament hieß es überall, im Plenum habe sich erstmals eine geschlossene Rechtskoalition aus Europäischer Volkspartei (EVP), Konservativen & Reformern (EKR), Patrioten (PfE, Orbán und Le Pen) und der Fraktion Europa der souveränen Nationen (ESN), in der die AfD die stärkste Partei ist, durchgesetzt. Die Brandmauer sei endgültig gefallen (JF berichtete). „Mit dem Fall der Brandmauer ist es einer Mehrheit auf der rechten Seite gelungen, die schädliche Green-Deal-Gesetzgebung abzuschwächen und dringend benötigte Entlastungen für unsere Unternehmen zu erreichen“, erklärte die EU-Abgeordnete und ESN-Koordinatorin im Rechtsausschuß (JURI), Mary Khan.

„Die Verabschiedung dieser Vereinfachungsmaßnahmen zeigt, daß in diesem Haus ein neuer Realismus Einzug hält“, erklärte dagegen der ECR-Abgeordnete Tobiasz Bocheński, ebenfalls Koordinator der Fraktion im Rechtsausschuß – ohne den Begriff Brandmauer zu erwähnen. Dagegen betonte der EU-Abgeordnete Roman Haider (FPÖ; PfE), daß erstmals der sogenannte „Cordon sanitaire“ in einer Parlamentsabstimmung durchbrochen worden sei: „Eine neue Mehrheit setzt sich für einen verhältnismäßigeren, wachstumsorientierten Ansatz durch, der europäische Unternehmen von kostspieligen und unnötigen Auflagen befreit.“

Tatsächlich hat das EU-Parlament die Nachhaltigkeits- und Sorgfaltspflichten für Unternehmen im Umweltbereich deutlich entschärft. Das hat die Brandmauer weder durchlöchert noch eingerissen. Es gibt weiterhin keine stabile Rechts-der-Mitte-Koalition.

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Tauziehen um Mehrheiten endete überraschend deutlich

Das Omnibus-Paket lockert die Stellschrauben der Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen und der Lieferkettenrichtlinie, die in der vorherigen Wahlperiode von der Mitte-Links-Grün-Mehrheit verabschiedet wurden. In den Wirtschaftsverbänden gilt dieses Regelwerk heute als Wachstumskiller für Wohlstand und Beschäftigung. Die nationalen Parteien nutzen also die neuen Mehrheiten im Plenum für eine realpolitische Anpassung früherer Ambitionen an die heutige Wirklichkeit.

Vorangegangen waren intensive Kompromißdebatten. Am Ende lag ein Paket der vier konservativen Fraktionen auf dem Tisch. Über Nacht stellte die EVP um Manfred Weber (CSU) den eigenen Deal mit den Rechtsfraktionen wieder in Frage. Der Gegenvorschlag aus dem links dominierten Lager lag allerdings so weit jenseits der Schmerzgrenze der Christdemokraten, daß auch daraus kein ernstzunehmender Kompromiß werden konnte.

Dem Rechtsbündnis fehlten Personal mit Verwaltungserfahrung, Verhandlungsroutine und ein Mindestmaß an Vertrauen, um das ursprüngliche Paket gemeinsam durchzuziehen, hört man aus den Reihen der EVP. Die Schlußabstimmung fiel dennoch überraschend deutlich aus – mit 382 Ja-Stimmen, 249 Nein-Stimmen und 13 Enthaltungen. Im Anschluß stellte Weber noch einmal klar, zuletzt beim Deutschlandtag der Jungen Union, daß die EVP nicht auf die Stimmen der AfD angewiesen gewesen sei.

Brandmauer verläuft im EU-Parlament anders als in Berlin

Die Omnibus-Mehrheit ist inhaltlich eng: Es ging um die Entlastung großer Unternehmen von Klimapolitik und Bürokratie. Bei der Wirtschaftspolitik verliefen die klassischen Rechts-Links-Grenzen im EU-Parlament schon immer unscharf. Teile der Liberalen und einzelne nordische Sozialdemokraten teilten die Skepsis gegenüber der Brüsseler Überregulierung. Die dänischen Sozialdemokraten sind gewiß keine Steigbügelhalter von Italiens  Ministerpräsidentin Giorgia Meloni oder Viktor Orbán.

Der Verlauf desselben Sitzungstags zeigt zudem, wie wenig stabil diese rechte Mehrheit ist. Im selben Abstimmungsmarathon beschloß das EU-Parlament ein 90-Prozent-Klimaziel bis 2040, getragen vor allem von Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen; EKR, Patrioten und ESN stimmten dagegen und verloren. Es handelt sich also um wechselnde, auf konkrete Politikbereiche bezogene Mehrheiten, wie sie der Konsensmechanismus der EU ohnehin erzeugt.

Die vielbeschworene Brandmauer steht nicht dort, wo Omnibus angesiedelt ist. Sie verläuft auf den Politikfeldern Rußland/Ukraine, Nato-Bindung, institutionelle Grundarchitektur und Reform der EU sowie zentrale Personalentscheidungen. Dort arbeitet die EVP weiterhin überwiegend mit Sozialdemokraten und Liberalen zusammen. EKR, Patrioten und ESN bleiben auf Distanz, sobald es um Sanktionsregime, Rechtsstaatsmechanismen oder die Wiederwahl der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen geht.

Die EVP sitzt an allen Schalthebeln in Brüssel

Entscheidend für die strategische Bewertung ist der Blick aus der Brüsseler Blase hinaus auf die Staats- und Regierungsebene. Schließlich handelt es sich um EU-Gesetzgebung, die vom nachgeordneten Bundestag und Bundesrat nur noch ins Amtsblatt kopiert wird. Im Europäischen Rat stellen Parteien der EVP-Familie derzeit elf von 27 Staats- und Regierungschefs. Hinzu kommen mehrere liberale, sozialdemokratische und EKR-Regierungen sowie eine Patrioten-Regierung. Damit dominiert die konservativ-liberale Seite jenes Gremium, welches die Grundlinien der europäischen und nationalen Gesetzgebung vorgibt und im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren gleichberechtigter Mitgesetzgeber des Parlaments ist.

Ohne Zustimmung der EVP-Regierungen läuft im Rat weder ein ambitionierter Green Deal noch dessen Demontage. Für qualifizierte Mehrheiten braucht es 55 Prozent der Staaten und 65 Prozent der EU-Bevölkerung. Mit elf Regierungschefs aus der EVP-Familie ist Manfred Weber zwar nicht der alleinige Herr des Verfahrens, aber seine EVP ist die Scharnierkraft: Sie entscheidet, ob sich eine Mitte-Links-Allianz oder eine breit verstandene Mitte-Rechts-Koalition durchsetzt.

Wer die Omnibus-Abstimmung als Fall der Brandmauer liest, blendet die Machtarchitektur in Brüssel aus: Die EVP sitzt institutionell an allen Schalthebeln und kann je nach Dossier nach links oder rechts andocken. Die Frage ist nur, wie sehr sich Links und Rechts abwechselnd als Mehrheitsbeschaffer der EVP anbieten.

Manfred Weber betont immer wieder: „Die Brandmauer steht“

Ist die Brandmauer daher gefallen? Manfred Weber sagt klipp und klar: „Die Brandmauer steht“. Ergo gibt es keine programmatische Allianz der EVP mit EKR, Patrioten und ESN – keine Postendeals, keine gemeinsame Strategie für andere Dossiers. Hier geht es um eine Gelegenheitsmehrheit auf einem umstrittenen technischen Feld nach dem Scheitern eines Kompromisses mit Sozialdemokraten und Grünen und unter Druck der Wirtschaftsverbände und einiger Regierungen.

Für Konservative und Rechte ist diese Konstellation ambivalent. Sie zeigt, daß im Europäischen Parlament auch ohne die ESN eine reale Mehrheit rechts der Mitte existiert, die punktuell mobilisiert werden kann, aber keine automatische Dauerkoalition bildet. Sie ist ein Instrument, das die EVP situativ einsetzt, mal als Drohkulisse gegenüber der Linken, mal als Ventil für den Unmut der Wirtschaft über Brüsseler Hyper-Regulierung.

Aus der JF-Ausgabe 48/25.

EVP-Chef Manfred Weber (CSU, l.) und Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán (Patrioten für Europa): Verläuft die Brandmauer entlang der ESN-Fraktion, der die AfD angehört? picture alliance/dpa | Philipp von Ditfurth
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