Die Buchmesse „Seitenwechsel“ am 8. und 9. November in Halle an der Saale war ein emanzipatorischer Akt, ein institutioneller Befreiungsschlag, eine geistig-moralische Unabhängigkeitserklärung. Die alternative Verlags- und Meinungsszene hat sich von der Definitionshoheit eines ihr grundsätzlich feindlich gesinnten Literatur-, Kultur- und Medienbetriebs frei gemacht, sie ist herausgetreten aus dem Bannkreis seiner Zuschreibungen und hat den Katzentisch umgeworfen, den die Veranstalter der Frankfurter und Leipziger Buchmessen ihr jahrelang bereitet hatten (JF berichtete).
Die Umstände in Frankfurt und Leipzig waren auf öffentliche Erniedrigung und Demütigung angelegt. Sich darauf einzulassen, war eben auch ein Akt der Selbsterniedrigung gewesen, der immer unerträglicher wurde. 2017 hatte der Börsenverein des Deutschen Buchhandels in Frankfurt einen lächerlichen Vorbeimarsch an ausgewählten Buchständen veranstaltet; die Teilnehmer reckten Schilder mit Allerweltsprüchen wie „Gegen Rassismus“, „Freiheit und Vielfalt“ und „Respekt für die Würde aller Menschen“ empor. Außerdem wurde zur „aktiven“ – nicht: argumentativen! – „Auseinandersetzung“ mit den gekennzeichneten Verlagen aufgerufen und so eine offen feindselige Atmosphäre provoziert.
Die Botschaft wurde verstanden und aufgenommen, Auslagen „rechter“ Verlage wurden gestohlen, mit Zahnpasta beschmiert oder mit Kaffee übergossen. Der Stand des Manuscriptum-Verlages wurde verwüstet. Die SPD-Zeitung Vorwärts höhnte damals: „Unbekannte haben offenbar in der Nacht die Bücher geklaut – und dem rechten Verlag damit immerhin mal einen echten Grund zum Jammern gegeben.“
„Seitenwechsel“ ist narzißtische Kränkung für Linke
Doch nicht die Übergriffe, sondern ihre mögliche „Instrumentalisierung“ durch die Betroffenen wurde von den Messebetreibern als Problem betrachtet, weshalb sie 2018 ein neues „Sicherheitskonzept“ entwarfen. Die Gebrandmarkten wurden „in einer Gegend auf der Messe untergebracht, wo wir hoffen, das gut kontrollieren zu können“, so die Kommunikationschefin. Die „Gegend“ war ein ghettoartiges Kabuff am Ende einer schmalen Sackgasse, separiert von den Besucherströmen. Wieder machte sich in den Medien höhnische Schadenfreude Luft. „Nicht verboten zu sein, aber trotzdem kaum Wirkung zu entfalten – diese demokratische Erfahrung ist für die Neue Rechte nur schwer auszuhalten.“
Auf der Buchmesse 2021 wurde die antirechte Agenda von einer gänzlich unbedeutenden schwarzen Autorin bestimmt, die angab, sich durch die Anwesenheit des Jungeuropa Verlags an Leib und Leben bedroht zu fühlen. Sie teilte mit, obwohl dies „zum Nachteil für die Präsenz meines Buches und die damit verbundene Werbung“ sei, werde sie „an der diesjährigen Messe nicht teilnehmen“, ihr bleibe „nur das Mittel des Boykotts, um mich als schwarze Frau zu schützen“. Natürlich hatte sie genau umgekehrt kalkuliert, und ihr Kalkül ging auf. Mit der Absage erlangte sie eine Aufmerksamkeit, die ihr das Buch niemals verschafft hätte.
Mit dem „Seitenwechsel“ hat das Buhlen um Anschlußfähigkeit an diese Mischung aus Niedertracht und Verrücktheit ein Ende gefunden. Die Stigmatisierten haben sich den Etablierten weggenommen und – werden von ihnen schmerzlich vermißt. Denn die klare „Haltung“, der gratismutige „Kampf gegen rechts“ geraten zum allseits durchschaubaren Schmierentheater, wenn das Haß- und Feindobjekt sich einfach entzieht. Auf diese Weise seine Irrelevanz attestiert zu bekommen, kratzt am Selbstwertgefühl und löst bei den lizenzierten Zivilcouragierten eine narzißtische Kränkung aus.
„Seitenwechsel“-Berichterstattung ist durchaus interessiert
Der FAZ-Bericht zum Beispiel bewegte sich zwischen Hysterie und Fassungslosigkeit: „So ist diese ‚Büchermesse Seitenwechsel‘ vor allem eins: ein organisierter Angriff auf den Rechtsstaat unter dem Vorwand der Kultur.“ Vergleichbar denunziatorische Sätze hat der Autor Joachim Walther in seinem Buch „Sicherungsbereich Literatur. Schriftsteller und Staatssicherheit in der Deutschen Demokratischen Republik“ zusammengetragen. Die FAZ-Autorin, die das Zitat verzapft hat, darf sich gute Chancen einräumen, im nächsten Jahresbericht des Inlandsgeheimdienstes der Bundesrepublik Deutschland als Kronzeugin und Zuarbeiterin gegen rechts aufgeführt zu werden. Gratulation, Madame!
»Endlich wieder echte Debatten!« »Die besten Veranstaltungen des Jahres!« »Geschichtsträchtig«
Wir haben die Teilnehmer der Buchmesse Seitenwechsel gefragt – und sie sind begeistert! Positive Stimmen, starke Eindrücke von der Buchmesse »Seitenwechsel« in Halle/Saale.… pic.twitter.com/1rNceWPy4Y— JUNGE FREIHEIT (@jungefreiheit) November 10, 2025
Der Sprecher des Berliner PEN, Deniz Yücel, hingegen hat ungeachtet einiger unpassender Bemerkungen („Besser Buchmesse als Menschenjagd“) eine liberale Haltung an den Tag gelegt, indem er es ablehnte, sich den Protesten gegen die Veranstaltung anzuschließen. Von einer durch Ausgrenzung provozierten Selbstausgrenzung zu sprechen, greift allerdings zu kurz und ist aus demselben Grund abzulehnen, aus dem der Bürgerrechtler und spätere tschechische Präsident Václav Havel während der kommunistischen Diktatur seine Bezeichnung als Dissident, als Abweichler, zurückwies: Die Selbstbeschränkung auf die Negation würde die Fixierung auf die Niedertracht und Verrücktheit ja bloß unter neuen Vorzeichen fortsetzen.
Anzumerken ist, daß die Welt und die Berliner Zeitung sehr fair berichtet haben. Überraschenderweise zeigte sich auch der Berichterstatter auf Zeit online interessiert: „Ich ziehe eine grüne Bomberjacke an und eine Fred-Perry-Beanie, das wird ja wohl reichen, um nicht weiter aufzufallen. Und es klappt, auf dem Weg zur Buchmesse, auf der sich rechte Verlage versammeln, werde ich von den Teilnehmern der linken Gegendemonstration als ‚Faschoschwein’ angeschrien.“ Und weiter: „Die Stimmung ist freundlich, man geht sehr höflich miteinander um, das Publikum geht durch alle Altersklassen hindurch; hinsichtlich seiner ethnischen Herkunft hat es einen Zug ins Heterogene.“ Man muß wissen, daß der Autor Jens Balzer sich mit moderner Musik und Popkultur beschäftigt und ein Faible für Schräges und Anarchisches hat.
Wendehauch weht auf der Buchmesse
Zum Schluß der von der DDR-gestählten Dresdner Buchhändlerin Susanne Dagen organisierten Messe wurde in Halle das Lied „Kein Schöner Land“ angestimmt. Man darf es mit den historischen Analogien nicht übertreiben, doch in dem Zusammenhang soll eine Anekdote aus der Zeit des DDR-Wendeherbstes erwähnt werden, mitgeteilt von der Schriftstellerin Christa Wolf, die im Oktober 1989 nach Moskau geflogen war und in der Empfangshalle von Mitgliedern des Hallenser Madrigalchores erkannt und nach den Ereignissen zu Hause befragt wurde.
Zur allgemeinen Erleichterung konnte sie ihnen mitteilen, daß die Leipziger Großdemonstration am 9. Oktober, der man mit Bangen und Zagen entgegengesehen hatte, friedlich abgelaufen war, worauf dankbar das Lied „O Täler weit, o Höhen” angestimmt wurde. Eine zufällig anwesende Touristengruppe aus Westdeutschland klatschte Beifall. Ein Hauch von diesem Geist schwebte auch über der Buchmesse in Halle.





