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Unternehmen in Bedrängnis: Das große Firmensterben und seine Ursachen

Unternehmen in Bedrängnis: Das große Firmensterben und seine Ursachen

Unternehmen in Bedrängnis: Das große Firmensterben und seine Ursachen

Handel leidet unter Wirtschaftskrise Blick auf ein Schild in einem Schaufenster eines Geschäftes- Räumungsverkauf wir schliessen. Durch steigende Preise für Energie, Personal und unsichere Zeiten durch Fehler in der Politik sterben immer mehr Firmen. *** Retail suffers from economic crisis View of a sign in a store window Clearance sale we are closing Due to rising prices for energy, personnel and uncertain times caused by political mistakes, more and more stores in German cities are closing down
Handel leidet unter Wirtschaftskrise Blick auf ein Schild in einem Schaufenster eines Geschäftes- Räumungsverkauf wir schliessen. Durch steigende Preise für Energie, Personal und unsichere Zeiten durch Fehler in der Politik sterben immer mehr Firmen. *** Retail suffers from economic crisis View of a sign in a store window Clearance sale we are closing Due to rising prices for energy, personnel and uncertain times caused by political mistakes, more and more stores in German cities are closing down
Ein Schaufenster bewirbt einen Räumungsverkauf: Deutschland erlebt das stärkste Firmensterben seit Jahren. Foto: IMAGO / Marc Stinger
Unternehmen in Bedrängnis
 

Das große Firmensterben und seine Ursachen

Fast 200.000 Firmen haben im vergangenen Jahr den Betrieb eingestellt. Viele weitere befinden sich in der Krise, nur eine kleine Minderheit plant neue Arbeitsplätze. Doch mit einer Prognose hatte Habeck womöglich recht.
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Die deutsche Wirtschaft soll gerettet werden. Bis zum 11. Juli will das Merz-Kabinett Sofortmaßnahmen vorlegen. Das hat Wirtschaftsstaatssekretärin Gitta Connemann (CDU) im ARD-Morgenmagazin versprochen. Die Unternehmer bleiben skeptisch. Zu viel wurde im Wahlkampf versprochen, um es gleich nach dem 23. Februar wieder ins Gegenteil zu verkehren: Neuverschuldung, Asylwende, Entbürokratisierung oder Beendigung des NGO- und Beauftragtenunwesens. Soforthilfe gab es von Friedrich Merz nur für die Ukraine: fünf Milliarden Euro – die Hälfte der jährlichen Kfz-Steuereinnahmen.

Als eines der „größte Probleme“ hat die Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion die hohen Stromtarife erkannt und verspricht nun: „Energiekosten runter, das heißt Stromsteuer reduzieren auf das europäisch zulässige Mindestmaß, Netzentgelte runter“. Auch der Regulierungswahn soll ein Ende finden. Von einer Kehrtwende bei der Energiewende spricht die CDU-Abgeordnete nicht. Deutschland wird den Atomausstieg nicht revidieren und weiterhin nicht die eigenen Interessen in Brüssel voranstellen, obwohl ohne deutsche Steuermilliarden die EU-Bürokratie arbeitsunfähig wäre.

Firmen hadern mit der Wirtschaftspolitik

Aktuell sehen 59 Prozent der Firmen in Deutschland die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen als größtes Geschäftsrisiko, also hohe Arbeitskosten, überbordende Bürokratie und die neuen Handelsbarrieren durch US-Zölle. Lediglich zehn Prozent wollen ihre Kapazitäten hierzulande ausbauen – so wenig wie noch nie in der bundesdeutschen Geschichte. Nur noch 13 Prozent planen neue Arbeitsplätze, dagegen wollen 22 Prozent Stellen streichen. Und 43 Prozent kämpfen mit finanziellen Problemen. Diesen hilft die Koalitionsvereinbarung, daß Unternehmen ab diesem Jahr drei Jahre lang Ausrüstungsinvestitionen mit je 30 Prozent abschreiben können, nur wenig. Dieser „Investitionsbooster durch Abschreibungen“ kann nur beleben, was noch existiert.

Zu den Ausnahmen zählt das Familienunternehmen Griesson-de Beukelaer, das angekündigt hat, 100 Millionen Euro in seine Keksfabrik im sächsischen Wurzen zu investieren, die Produktionskapazität zu verdoppeln und die Mitarbeiterzahl von 100 auf 350 zu erhöhen. Alltag sind dagegen Meldungen wie von der Venta GmbH aus Weingarten im schwäbischen Landkreis Ravensburg, einem „führenden Anbieter von Luftbefeuchtern, Luftreinigern und Luftwäschern“, die im Mai Insolvenz angemeldet hat. Auch die TF Wickeltechnik GmbH, ein Spezialmaschinenbauer im badischen Neulingen, mußte diesen Schritt gehen.

Die Zahlen sprechen Bände

Voriges Jahr haben 196.100 Unternehmen in Deutschland ihre Produktion aufgegeben, 16 Prozent mehr als 2023. Im März meldeten die Amtsgerichte 1.459 beantragte Firmeninsolvenzen, zwölf Prozent mehr als im Vorjahresmonat. Im April meldeten 1.626 Personen- und Kapitalgesellschaften ihre Zahlungsunfähigkeit, 21 Prozent mehr als im Vorjahresmonat. Von einer „Insolvenzwelle in Deutschland“ spricht die neue CDU-Wirtschaftsministerin Katherina Reiche.

Die Ökonomen des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) sehen eher „notwendige Marktbereinigungen“ nach Jahren niedriger Zinsen und staatlicher Stützungsmaßnahmen während der Corona-Krise. Eine Trendwende ist nicht in Sicht. Der Warenversicherer Allianz Trade rechnet mit einem weiteren Anstieg der Großinsolvenzen. Für viele Traditionsunternehmen gibt es keine Perspektiven in Deutschland mehr. Die Osnabrücker HR Group, einst führender Schuhhändler in Europa mit mehr als 750 Beschäftigten ist ebenso Geschichte wie der Möbelhersteller Hülsta aus dem Münsterland oder der drittgrößte europäische Reisekonzern, die Münchner FTI Group, die im Juni 2024 pleite ging.

Vielleicht hatte Habeck recht

Zu den neuen Erkenntnissen des Inkassodienstleisters Creditreform und des Mannheimer Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) zählt, daß neun von zehn Unternehmen ihr Geschäft beenden, ohne pleite zu sein. Sie sind nicht insolvent, ihre Besitzer sehen aber keine Perspektiven in Deutschland mehr. Nicht selten finden inhabergeführte Firmen keine Nachfolger – weder innerhalb der Familie noch außerhalb. Fast jeder vierte plant oder erwägt, das ergab eine Umfrage von KfW Research, nach dem eigenen Rückzug sein Unternehmen dauerhaft stillzulegen.

Während über Insolvenzfälle oft breit berichtet wird, sterben die meisten Firmen im stillen. Vielleicht hat dies der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck gemeint, als er im September 2022 den Spott der Medien auf sich zog, als er sagte, an massenhafte Insolvenzen glaube er nicht, aber er könne sich vorstellen, daß bestimmte Branchen einfach aufhören zu produzieren: „Dann sind die nicht insolvent, aber sie hören auf zu verkaufen.“ Das Problem sei, daß es zu solchen Betriebsschließungen keine statistischen Daten gebe, hatte der IWH-Ökonom Steffen Müller damals in der Berliner Zeitung erläutert.

Die Gründungszahlen kollabieren

„Der schleichende Rückzug der Unternehmen läßt sich schon länger beobachten“, weiß Michael Schwartz, Mittelstandsexperte bei KfW Research. Der Anteil investierender Mittelständler, die auf Bankkredite zurückgegriffen haben, hat sich von 40 Prozent (2004) auf 23 Prozent (2023) nahezu halbiert. Der demographisch bedingte Fachkräftemangel, Nachfolgeprobleme, eine überbordende Bürokratie und starke Konkurrenz auf den Weltmärkten seien Gründe dafür, daß immer mehr Unternehmen das Geschäft einstellen, erklärte ZEW-Ökonomin Sandra Gottschalk.
Die Grafik zeigt die Entwicklung der Firmenschließungen in Deutschland zwischen 2018 und 2024.

In energieintensiven Bereichen wurden 1.050 Betriebsschließungen registriert: ein Anstieg um 26 Prozent gegenüber dem Vorjahr. In der Chemie- und Pharmaindustrie gaben 360 Unternehmer auf – der höchste Stand seit mehr als 20 Jahren. Im Bereich der technologieintensiven Dienstleistungen gaben rund 13.800 Unternehmen auf. Dabei müßte dieser Sektor als „Zukunftsbranche“ eigentlich wachsen, so Gottschalk. Aber durch den gravierenden Fachkräftemangel können die Unternehmen nicht genug Aufträge entgegennehmen, um wirtschaftlich arbeiten zu können.

Auffällig sei der starke Anstieg der Schließungen von Unternehmen mit mehr als 20 Mitarbeitern, heißt es in der Creditreform/ZEW-Studie. Ein Trend, der sich bereits im dritten Jahr in Folge fortsetzt. 2024 wurden 4.050 solcher Betriebe abgemeldet, fast doppelt so viele wie in einem durchschnittlichen Jahr. Gleichzeitig werden in forschungsintensiven Industrien wie Maschinenbau, Elektrotechnik oder Chemie immer weniger Unternehmen gegründet. Die Gründungszahlen haben sich seit 2002 mehr als halbiert. Auch in der energieintensiven Produktion von Metallerzeugnissen sind die Neugründungen 2022 und 2023 um über zehn Prozent pro Jahr zurückgegangen.

Ökonomin konstatiert „weniger Wettbewerb, weniger Investitionen“

Das bedeutet „weniger Wettbewerb, weniger Investitionen und weniger gute Aussichten“, so Hanna Hottenrott, Leiterin des ZEW-Bereichs Innovationsökonomik. Laut des KfW-Mittelstands­panels ziehen rund 541.000 Inhaber eine Schließung in den nächsten fünf Jahren in Erwägung, für das laufende Jahr planen 231.000 Inhaber eine Stillegung ihres Unternehmens. Das entspricht bei den kurzfristigen Schließungen einem Zuwachs von 41 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Etwa 532.000 Mittelständler suchen bis 2028 eine Betriebsnachfolge, davon 215.000 noch in diesem Jahr. Rund ein Fünftel von diesen werde voraussichtlich keinen Nachfolger finden, schätzt die KfW.

Laut IAB/ZEW-Gründungspanel verbringen Gründer neun Stunden pro Woche mit administrativen Aufgaben – von Datenschutzvorgaben bis hin zu Meldepflichten. Betroffen ist vor allem die Bauwirtschaft, wo die gesetzlichen Dokumentationspflichten überdurchschnittlich hoch sind. Der Koalitionsvertrag sei an vielen Stellen enttäuschend. Die daraus resultierenden Folgen kennt Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Creditreform Wirtschaftsforschung: „Viele Unternehmen verlagern ihre Produktion ins Ausland, schließen Standorte oder investieren gar nicht mehr in Deutschland.“ Die deutsche Wirtschaft verliere so zunehmend an Substanz und Know-how.

Aus der JF-Ausgabe 24/25.

Ein Schaufenster bewirbt einen Räumungsverkauf: Deutschland erlebt das stärkste Firmensterben seit Jahren. Foto: IMAGO / Marc Stinger
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