BERLIN. Der 3. März 2023 ist in Berlin ein nebliger Tag. Diesig. Auch am Invalidenpark versinkt der Brunnen halb hinter den gräulichen Schwaden. Das ihn umgebende Wasserbassin ist leer. Auf ihm stehen Fotografen und knipsen die Menschenmenge unter ihnen. „Fridays For Future“ (FFF) hat eine Mahnwache organisiert.
Am Rande des Platzes steht eine Musikbühne, daneben haben verschiedene einzelne Organisationen Zelte aufgebaut. Flugblätter werden verteilt und Spendenbehälter aufgestellt. „Volksentscheid: Berlin Autofrei“ fordert ein Plakat an einem der Zelte und spielt dabei auf den Volksentscheid zum „Berlin 2030 klimaneutral“ am 26. März an. „Stop Ecocide“, mahnt ein weiteres Zelt.
Die Besucher sind jung, größtenteils etwa 20 Jahre alt. Aber es laufen auch überraschend viele Kinder über das Gelände. Kinder, die nicht älter als vielleicht zwölf oder 13 Jahre alt sind und die nicht so wirken, als wären sie von ihren Eltern hierher geschleppt worden. Eine vierköpfige Gruppe von Kindern, allesamt Mädchen, verteilen Flugblätter. Auch hier geht es um die kommende Abstimmung. „Briefwahl jetzt oder am 26.3. im Wahllokal!“ steht dort in roter Schrift auf grünem Papier.
Sie seien wegen des „Willow Project“ auf das Thema Umweltschutz gekommen, erklären sie. Das sei der Name für ein Ölförderungsprojekt der amerikanischen Firma ConocoPhillips. In den USA würde man sich gerade dagegen stemmen. Außerdem tun ihnen die vielen Tiere leid, die wegen des Klimawandels sterben müßten. „Lebt vegetarisch“, ruft eine von ihnen noch, bevor sie weiter ziehen, um ihre Flugblätter an den Mann zu bringen.
AntiFa-Fahnen werden geschwenkt
Wie jede jugendliche Protestkultur hat auch diese ihren eigenen Stil, einen eigenen Typus hervorgebracht. Wobei er sich stark mit anderen linken Jugendkulturen überschneidet. Es gibt einige wenige Old-School-Punker und dafür viele wuschelköpfige junge Männer. Einige junge Frauen haben ihre Haare gefärbt, aber es sind nicht viele. Die meisten haben einen ganz eigentümlichen Stil, der sofort zu erkennen, aber schwer zu beschreiben ist. Er wirkt bürgerlich und adrett, und würde an einem gutsituierten Gymnasium oder auch einer Universität nicht fehl am Platz wirken. Gleichzeitig ist er teilweise mit dezenten Anklängen an frühere Ökologiebewegungen versehen: Selbstgenähtes und -gehäkeltes, Second-Hand-Lederjacken.
Was ebenso auffällt, ist das Einbeziehen anderer linker Protestthemen. „Border Violence Kills. Abolish Frontex“ lautet die Aufschrift eines Banners. Im Publikum werden Fahnen der AntiFa geschwenkt, die klassische mit rot-schwarzer Farbgebung, aber ebenso auch eine grün eingefärbte in „Fridays For Future“-Aufmachung. „Down with fascist colonial systems“, mahnt ein weiteres Transparent. Dem entspricht die musikalische Untermalung. Zwischen funkigen Gitarrenliedern über zu laute Partys, bekommt man auch Rap über rechte Gewalt zu hören. Der Schlachtruf „Hoch! Die internationale! Solidarität!“ fehlt ebenfalls nicht.
Ein Zugunglück in Ohio führte ihn her
An der Bühne, wo sich die Presse größtenteils sammelt und die Ordner kontrollieren, daß sich nur Musiker oder Menschen mit Presseausweis in Richtung der Tribüne bewegen, steht David. Er ist einer der Sicherheitskräfte. Es sei seine erste „Fridays For Future“-Demonstration, sagt er. Hergeführt habe ihn ein Ereignis in seiner alten Heimat. David ist in Ohio aufgewachsen, dem US-Bundesstaat, wo Ende letzten Monats ein Zug, der hochgiftige Chemikalien transportierte, vom Gleis abkam und explodierte. Wütend, erklärt der Ordner, sei er auf die Firma gewesen, die den Unfall zu verantworten habe. Dementsprechend sei in ihm der Wunsch wach geworden, etwas zu tun.
Langsam wird es voller auf dem Invalidenplatz. Die Polizei muß die Leute auf den Bürgersteigen ermahnen, nicht stehen zu bleiben. Es sei sonst kein Durchkommen mehr. Tatsächlich herrscht mittlerweile ziemliches Gedränge.
Mitten in der Menge hat jemand eine Konstruktion aufgebaut, die beständig Seifenblasen über die Köpfe pustet. Ein recht treffendes Bild für die Stimmung dieses Nachmittags. Bei all den schneidigen Sprüchen, bei all den Anspielungen auf revolutionäre Bewegungen der Vergangenheit, ist die Stimmung sanft und heiter. Es wird viel gelacht, viele Menschen umarmen sich. Eine Revolte, ein Aufstand sieht anders aus, fühlt sich anders an. Dabei sieht die Bewegung nach ihren eigenen Aussagen unsere gesamte Zivilisation einer existenziellen Bedrohung gegenüber gestellt. Vielleicht ist es eine Form des Optimismus, der aus dieser offensiv zur Schau gestellten Sanftheit spricht. Vielleicht erklärt es teilweise den Erfolg der Bewegung, denn kaum etwas kann auf den ersten Blick harmloser wirken, als dieser Streik.