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Sprache der Politik: Migrationsdebatte: Die Zeit der harten Worte

Sprache der Politik: Migrationsdebatte: Die Zeit der harten Worte

Sprache der Politik: Migrationsdebatte: Die Zeit der harten Worte

Die CDU-Bundestagsabgeordnete Serap Güler schlägt in der Migrationsdebatte plötzlich neue Töne an.
Die CDU-Bundestagsabgeordnete Serap Güler schlägt in der Migrationsdebatte plötzlich neue Töne an.
Die CDU-Bundestagsabgeordnete Serap Güler schlägt in der Migrationsdebatte plötzlich neue Töne an Foto: picture alliance/dpa | Sina Schuldt
Sprache der Politik
 

Migrationsdebatte: Die Zeit der harten Worte

Der Ton in der Migrationsdebatte wird umso rauer, je höher die Asylantenzahlen sind. Dann entdeckt so manch Politiker den Nutzen von Abschiebungen und der Versorgung von Flüchtlingen im Ausland. Doch folgen die Sonntagsreden einer eigenen Logik des politischen Tagesgeschäftes. Eine Analyse von Eric Steinberg.
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Nach der Corona-Pandemie und angesichts des Schreckens des Ukraine-Krieges steht das Thema Migrationspolitik erneut auf der Agenda deutscher Talkshows. Während unter anderem Unionspolitiker versuchen, durch eine drastischere Wortwahl den Zuspruch der Bevölkerung zu gewinnen, betreiben Linke erneut eine Symbolpolitik und die Delegitimierung ihrer Gegner. Gegen eine unkontrollierte Zuwanderung regt sich jedoch mittlerweile auch dort Widerstand, wo man ihn auf den ersten Blick nicht erwartet hätte.

Umso verdutzter müssen daher einige Zuschauer vergangene Woche den Auftritt des bayerischen Grünen-Landrats Jens Marco Scherf in der Talksendung von Markus Lanz verfolgt haben. Darin sprach der Politiker offen und unverblümt über die gravierenden Probleme der aktuellen Migrationspolitik. „Wir haben den Platz nicht“, sagte Scherf in Bezug auf die Unterbringung weiterer Flüchtlinge und deren Integration in den regulären Wohnungsmarkt. Jedoch riß der Grüne auch alte Wunden wieder auf, die bereits einen Bestandteil vergangener Migrationsdebatten darstellten, zum Beispiel die Situation von Frauen in muslimisch-patriarchalen Parallelgesellschaften: „Mütter gehen nicht allein zum Elternsprechtag, Frauen werden nicht ernstgenommen oder stehen unter der Beobachtung männlicher Familienmitglieder“, sagte der Landrat.

Zuspruch aus der Runde erhielt er ausgerechnet von Serap Güler, die dem linken Flügel der CDU zuzuordnen ist. Auch sie monierte in der Sendung, daß die massenhafte Aufnahme von Flüchtlingen zu kurz gedacht ist: „Wir möchten viele Menschen aufnehmen, ihnen Schutz bieten, ist ja alles richtig. Aber wenn es nur die Aufnahme ist, das heißt: ein Dach über dem Kopf und eine warme Mahlzeit, muß man sich fragen, ob man nicht eher in den Herkunftsregionen hilft.“

Faeser pocht auf Abschiebungen

Das hörte sich 2015 noch ganz anders an. Damals unterzeichnete Güler gemeinsam mit zwei weiteren Unionspolitikern ein Positionspapier, das für ein neues, offeneres Denken in der Flüchtlingspolitik warb. Damals wollte sie „Migration als Mehrwert verstehen und als Chance denken“. In den Ankömmlingen sah sie keine zusätzliche Belastung für den Staat, sondern eine Chance: „Befähigen wir sie mit gezielter Förderung als demokratische Aufbauhelfer, um zerstörte Staatlichkeit und Strukturen wiederherzustellen.“

Aus dem Vorhaben wurde nichts, ein Großteil der Flüchtlinge half nicht etwa beim Einsatz für die Demokratie, sondern belastet noch immer die Staatskassen. Güler ist jedoch nicht die Einzige, die in der aktuellen Debatte mit überraschenden Positionen aufhorchen läßt. Auch Innenministerin Nancy Faeser (SPD) äußerte sich vor dem Flüchtlingsgipfel vergangene Woche positiv zu Abschiebungen: „Wir haben zu wenige Abschiebungen durch die dafür verantwortlichen Bundesländer“, sagte sie im Gespräch mit der Bild am Sonntag.

Der Ton war vor nicht allzu langer Zeit noch ein anderer: Im vergangenen März setzte sich die Sozialdemokratin dafür ein, daß Flüchtlinge aus der Ukraine unabhängig von ihrer Nationalität aufgenommen werden. So zum Beispiel ausländische Studenten, die nach ihrem Aufenthalt in der Ukraine nicht etwa, wie es üblich wäre, in ihre Heimatländer zurückkehrten, sondern hierzulande ihr Glück suchten. Faesers neuerliches Auftreten als Law & Order-Politikerin dürfte zwar realpolitisch nur wenige Auswirkungen haben, wird vom linken Parteilager aber eher mit Skepsis beäugt.

Migrationskritiker sollen mundtot gemacht werden

Auch das Auftreten von Güler und Scherf in der Lanz-Sendung dürfte nicht jedem Zuschauer geschmeckt haben. Scherf gab zu, überlegt zu haben, ob er sich den Reaktionen auf seine Aussagen stellen wolle und in die Sendung kommt: „Wenn ich darüber spreche, daß nicht alles beim Thema Migration gut läuft, sorgt das natürlich erstmal für eine gewisse Aufmerksamkeit in der Grünen Partei“. Allerdings sind nicht immer nur die Parteien hinter den Akteuren verantwortlich für den migrationsfreundlichen Widerspruch.

Bei Lanz etwa versuchte auch ZEIT-Journalist Martin Machowecz den Widerstand gegen unkontrollierte Einwanderung, der sich in der Bevölkerung entwickelt, zu delegitimieren: „In Upahl da waren schon echt fiese Gestalten unterwegs. Leute, mit denen man eigentlich nicht zusammen demonstriert“. Die Botschaft ist klar: Wer dort mitmarschiert und gegen die Errichtung einer Asylunterkunft demonstriert, macht sich auch selbst verdächtig. Daß in Upahl nur vereinzelt Reichsbürger und Rechtsextreme vor Ort waren, schien den Journalisten wenig zu stören.

Die Nazi-Keule ist in Bezug auf die aktuelle Migrationsdebatte ein uralter Hut. Denn: Entzündet hat sich der Flüchtlingsstreit schon im vergangenen September durch den Zustrom ukrainischer Flüchtlinge nach Deutschland. Für Aussehen sorgte jedoch nicht das eigentliche Thema, sondern der Wortlaut, mit dem der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz die Flüchtlingsströme beschrieb. In einem Interview mit Bild-TV sprach der Sauerländer damals mit Blick auf die üppige Versorgung der Ukrainer auf Hartz-IV-Niveau von Sozialtourismus: „Wir erleben mittlerweile einen Sozialtourismus dieser Flüchtlinge: nach Deutschland, zurück in die Ukraine, nach Deutschland, zurück in die Ukraine.“ Der Startschuß für Empörung und das erneute Aufkochen der Migrationsdebatte war gefallen, Friedrich Merz wurde medial in die rechtsaußen-Ecke gedrängt.

Stimmung zur Migration unterliegt Schwankungen

2015 gab es ein derart breites Spektrum der kritischen Stimmen zum Thema Migration noch nicht. Damals wurde die AfD politisch sowie medial zum alleinigen Feindbild erklärt, während zeitglich der „Wir schaffen das“-Mentalität gefrönt wurde. Das Gesamtbild hängt immer auch von der gesellschaftlichen Stimmung ab. In einer INSA-Umfrage aus dem Dezember vergangenen Jahres etwa gaben 68, 3 Prozent der Befragten an, daß die hohen Flüchtlingszahlen ihnen Sorge bereiten würden.

2017, zwei Jahre nach der Flüchtlingseuphorie und den Willkommensschildern, sah das ähnlich aus. Damals gaben laut der Studie „Willkommenskultur zwischen Skepsis und Pragmatik“ der Bertelsmann-Stiftung 54 Prozent der Befragten an, daß sie der Meinung sind, Deutschland könne keine weiteren Flüchtlinge mehr aufnehmen. Wiederum zwei Jahre später wurde die getrübte Stimmung wieder besser. Nur noch 49 Prozent antworteten, daß ihnen die Zahlen zu hoch seien.

Migrationsdebatte verschwindet aus Öffentlichkeit

Wie die Stimmung im Lande, so auch die Debattenbeiträge aus Politik und Medien. Wenn sie teils auch ungewohnt wirken, verwunderlich sind die aktuell kritischen Stimmen zur Migrationspolitik nicht. Mit Skepsis bleibt jedoch zu betrachten, welche tatsächlichen Konsequenzen aus den Beiträgen gezogen werden. Denn: Immer, wenn es in der Vergangenheit zu hitzigen Debatten kam, erschöpfte sich die Politik nur in symbolpolitischen Gesten. Poller auf Weihnachtsmärkten und Böllerverboten an Silvester ändern jedoch nichts an den massiven Hürden, vor denen Deutschland seit der Flüchtlingswelle 2015 steht.

Da sich seitdem noch unzählige weitere Neuankömmlinge auf den Weg nach Deutschland gemacht haben und auch aktuell noch über die Grenze strömen, ist trotz der härteren Worte ein Umschwenken in der Migrationspolitik unwahrscheinlich. Schwächt sich der Zustrom aus der Ukraine und Afghanistan ab, wird auch die Debatte wieder in der Mottenkiste verschwinden. Bis sie wieder herausspringt, wird es vermutlich weitere drei bis vier Jahre dauern.

Die CDU-Bundestagsabgeordnete Serap Güler schlägt in der Migrationsdebatte plötzlich neue Töne an Foto: picture alliance/dpa | Sina Schuldt
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