Bei asymmetrischen Kriegen ist der vermeintlich Schwächere meist im Vorteil. Beispiel Vietnam früher, Afghanistan heute. Die militärisch-technologische Schwäche machten die Vietcong und Mudschahedin durch menschliche Stärken wie Ortskenntnisse, Sprachen und Motivation wett.
Das entfällt auf dem ewigen Kriegsschauplatz Nahost. Denn die Israelis sind historisch mindestens genauso lange vor Ort wie die Palästinenser, sie sprechen die Sprachen und eine größere Motivation als der Überlebenswille ist kaum denkbar. Unter dem Strich bleibt mithin die technologische Stärke Israels, die selbst westlichen Armeen große Schwierigkeiten bereiten würde. Hamas und Islamischer Dschihad, die zwei dominierenden Formationen im Gaza-Streifen haben trotz ihrer zahllosen Raketenstellungen und unterirdischen Waffenfabriken keine Chance, einen ernsthaften Waffengang zu gewinnen.
Hinzu kommt noch ein funktionierender Geheimdienst, der die technologische Überlegenheit erst richtig zur Entfaltung bringt. So wußte die israelische Armee genau, wann und in welches Gebäude in Gaza-Stadt und dort in welches Stockwerk sie eine Präzisionsrakete lenken sollte. In dem Appartement saßen zu diesem Zeitpunkt drei führende Leute des Islamischen Dschihad. Ein vierter, der Chef der Raketenbrigaden, wurde in und mit seinem Auto durch eine weitere Präzisionsrakete vernichtet. Es sind diese chirurgischen Schläge, die die terroristische Hydra der Hamas köpfen. Natürlich wachsen sofort andere Köpfe nach, aber Israel gewinnt durch diese Schläge Zeit.
Israels Reaktion ist wirksam
Die Hamas kann dem nur ein massives Feuerwerk entgegensetzen. Mehr als 500 Raketen mit einer Reichweite bis zu 80 Kilometern (bis nach Tel Aviv) regneten in den vergangenen Tagen auf Israel herab. Mehr als 95 Prozent konnten von den Raketenabwehrsystemen „Eiserner Dom“ und „Davidschleuder“ im Anflug zerstört werden.
— Imshin (@imshin) May 11, 2021
Die wenigen Raketen, die die Schutzschirme durchbrechen konnten oder die herabfallenden Teile der zerstörten Raketen richteten keine substantiellen Schäden an. Anders wird es auf der Gegenseite sein. Die Antwort der israelischen Luftwaffe und der aufgefahrenen Panzerverbände wird die militärische Infrastruktur der Hamas weitgehend zerstören. Auch einige Tunnel, durch die Terroristen sich nach Israel durchgraben wollten, wurden zerstört, weitere werden ebenfalls zum Einsturz gebracht werden.
Es wird vermutlich keinen länger andauernden Raketenkrieg geben und auch keinen Einmarsch der israelischen Armee in den Gaza-Streifen. Diesen Fehler werden die Israelis kein zweites Mal machen wollen. Aber der Waffengang wird einige Tage anhalten, jedenfalls solange, bis keine Raketen mehr aus dem Gaza-Streifen abgefeuert werden.
Die Schuldfrage interessiert nicht mehr
Schon jetzt ist es die heftigste militärische Auseinandersetzung seit Jahren mit fünf Toten auf israelischer und an die 100 auf palästinensischer Seite. Die Eskalation ist so weit fortgeschritten, daß die Schuldfrage nicht mehr relevant ist.
Israel gibt die Schuld den Steine werfenden Jugendlichen auf dem Platz vor der Al Aksa-Moschee und der Hamas, die zuerst Raketen abgefeuert hat. Auch der Frust über die erneut verschobenen Wahlen in den palästinensischen Autonomiegebieten mag eine Rolle spielen.
Aber klar ist auch, daß die übliche Unruhe unter Islamisten in Zeiten des Ramadan und Provokationen der israelischen Polizei und Siedler sich zu einem explosiven Gemisch vermengt haben, die dem amtierenden Premier Netanjahu in die Hände spielen. Ihm ist zuzutrauen, daß er wegen persönlicher Interessen (Verhinderung des Beginns des Korruptionsprozesses gegen ihn) weiterhin zündeln läßt.
Die Zwei-Staaten-Lösung hat sich erledigt
Generalstabschef Kokhavi dagegen denkt strategisch. Er und die Politiker, die Netanjahu endlich in die Wüste beziehungsweise vor Gericht schicken wollen, wollen die Hamas und den Islamischen Dschihad eindämmen. Andere mögliche Fronten sind gefährlicher. Zum Beispiel eine innere Spaltung zwischen israelischen Arabern und jüdischen Siedlern. Genau darauf zielen auch die Raketen der Hamas und die Unruhen vor der Al Aksa-Moschee ab.
Die Zwei-Staaten-Lösung, die die Europäer und die US-Regierung unter Präsident Joe Biden im Kopf haben, ist längst passé. Auch die meisten arabischen Staatenlenker halten sie für irreal und – mit Blick auf die Hamas – wohl auch für gefährlich. Dieser Kairos der Geschichte ging vorbei.
Was die Zukunft bringt, weiß allerdings keiner. Dafür gilt das Wort des kolumbianischen Philosophen Nicolas Gomez Davila: „Es gibt Probleme, die haben keine Lösung, nur Geschichte“.