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Interview zu Pegida: Patzelt: Demonstranten nicht als Rechtsradikale abtun

Interview zu Pegida: Patzelt: Demonstranten nicht als Rechtsradikale abtun

Interview zu Pegida: Patzelt: Demonstranten nicht als Rechtsradikale abtun

Patzelt
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Werner Patzelt: Der Dresdner Politikwissenschaftler rät der Politik, die Pegida-Demonstranten ernst zu nehmen Foto: picture alliance/ZB/dpa
Interview zu Pegida
 

Patzelt: Demonstranten nicht als Rechtsradikale abtun

„Nazis in Nadelstreifen“ oder einfach besorgte Bürger? Deutschland diskutiert derzeit über die Demonstrationen von Pegida. Der Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt rät im Interview mit der JUNGEN FREIHEIT, die Proteste ernst zu nehmen. Die Demonstranten einfach als Rechtsradikale abzutun, sei falsch.
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„Nazis in Nadelstreifen“ oder einfach besorgte Bürger? Deutschland diskutiert derzeit über die Demonstrationen von Pegida. Der Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt rät im Interview mit der JUNGEN FREIHEIT, die Proteste ernst zu nehmen. Die Demonstranten einfach als Rechtsradikale abzutun, sei falsch.

Herr Professor Patzelt, schämen Sie sich als Bürger Dresdens?

Patzelt: Weshalb sollte ich?

Bundesjustizminister Heiko Maas hat die Demonstrationen als „Schande für Deutschland“ bezeichnet.

Patzelt: Der Minister geht von einer falschen Lagebeurteilung aus, nämlich davon, daß die Demonstranten aus Rechtsextremisten, Rechtsradikalen und von Nazis Verführten bestehen. Diese Ansicht teile ich nicht. Und deswegen habe ich auch keinen Grund, mich fremdzuschämen.

Pegida-Forderungen nicht demokratiefeindlich

Wer demonstriert da Montag für Montag in Dresden?

Patzelt: Wir haben keine belastbaren sozialwissenschaftlichen Untersuchungen. Aber wir konnten beobachten, daß unter den Demonstranten von jungen Erwachsenen bis Rentnern jede Altersschicht vertreten war. Sie scheinen über eine grundständige bis mittlere Bildung zu verfügen und sind wohl mehrheitlich erwerbstätig. Parteipolitisch dürfte es sich um mögliche Wähler von CDU, AfD, Wähler am rechten Rand, Protestwähler sowie Nichtwähler handeln.

Also kein rechtsradikales Spektrum?

Patzelt: Auf den Pegida-Veranstaltungen wurden, so weit ich sehe, von den Rednern keine Forderungen vorgebracht, die unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung widersprechen. Auch in den 19 Positionen von Pegida kann ich nichts erkennen, was sich nicht mit freiheitlicher Demokratie vereinbaren ließe.
 
Führende Politiker haben die Demonstranten aber als „Nazis in Nadelstreifen“, „Mischpoke“, „Rattenfänger“ oder „Brunnenvergifter“ bezeichnet.

Patzelt: Das halte ich für falsche Lagebeurteilungen. Jedenfalls decken sie sich nicht mit meinen eigenen Beobachtungen. Eine Ursache davon, neben oberflächlichem Hinsehen: Wann immer in Deutschland etwas von der politischen Mitte abweicht, und zwar nicht nach links, dann entsteht Sorge, es könnte sich um etwas Rechtsradikales handeln. Anscheinend hat sich als allgemeine Ansicht verbreitet: links ist in Ordnung, mittig ist in Ordnung, doch rechts ist sündhaft.

Der politische Diskurs hat sich nach links verschoben
 
Warum haben die Demonstrationen gerade in Dresden so einen Zulauf und nicht anderswo in Deutschland?

Patzelt: Einesteils gibt es Besonderheiten Ostdeutschlands. Die Menschen haben hier vergleichsweise wenige Erfahrungen mit Ausländern; wo es aber wenige Erfahrungen gibt, gibt es auch wenige gute Erfahrungen und eher Angst vor dem Unbekannten. Zudem haben die Ostdeutschen seit der Wende viele Veränderungen, auch im persönlichen Leben, erfahren.

Nun, da sich gerade alles verbessert hat, von der Arbeitsmarktsituation bis zur Infrastruktur und man auf bessere Zeiten hoffte, droht die nächste Transformation: Ihr müßt bald ebenso viele Ausländer haben wie der Westen! Also sagen sich viele: Wurden wir eigentlich gefragt, ob wir das wirklich wollen? Und sollten sich die Politiker nicht lieber bemühen, Problemlagen wie in einigen westdeutschen Metropolen erst gar nicht entstehen zu lassen?

Woher kommt die Ablehnung der etablierten Medien seitens der Demonstranten?

Patzelt: Der Diskurs in politischer Klasse und Mediensystem hat sich, verglichen mit dem Diskurs an Stamm- und Abendbrottischen, nach links verschoben. In die so entstandene Lücke rechts dringen Protestparteien und Protestbewegungen wie Pegida. Vom Blickwinkel von Medien und politischer Klasse aus erscheint dann als Rechtsradikalismus oder wie „Nazis in Nadelstreifen“, was nichts weiter ist als das durchaus legitime rechte Segment des politischen Meinungsbogens.

Als Folge dessen fühlen sich viele Pegida-Demonstranten und deren Sympathisanten verleumdet. Jedenfalls sehen sie ihr öffentliches Bild von „gleichgeschalteten Staatsmedien“ manipuliert und wollen, schon aus Selbstschutz, nicht mehr mit Journalisten reden. Das wird sich aber nicht mehr lange so durchhalten lassen. Denn wer sich gar nicht äußert, ist schon auch selbst schuld, wenn er mißverstanden wird; und wer – wie Pegida – machtvoll ist, der darf sich in einer Demokratie ohnehin nicht der öffentlichen Diskussion entziehen.

Deutschland braucht ein Einwanderungsgesetz
 
Wie sollte die Politik auf Pegida reagieren?

Patzelt: Der falsche Ansatz wäre, die Demonstranten als Rechtsradikale abzutun und die Sache aussitzen zu wollen. Vielmehr muß man die Anliegen derer, die auf die Straße gehen oder mit Pegida sympathisieren, begreifen und ernstnehmen. Anschließend braucht es öffentliche Diskussionen – einesteils in den Gemeinden und Kommunen, wo die Unterbringung von Flüchtlingen ansteht, andernteils bundesweit über unsere Einwanderungs- und Integrationspolitik überhaupt.

Zu einer solchen deutschlandweiten Diskussion aber käme es unweigerlich, wenn auf Bundesebene ein Einwanderungs- und Integrationsgesetz ausgearbeitet würde. Und am Ende eines solchen Gesetzgebungsverfahrens dürfte ein akzeptabler Kompromiß stehen, der unserer Einwanderungsgesellschaft gut tut, also Erscheinungen wie Pegida überflüssig macht.

Denken Sie denn, daß eine offene Diskussion über die Einwanderungspolitik in Deutschland möglich ist? Die Reaktionen auf Pegida könnten ja eher das Gegenteil vermuten lassen.

Patzelt: Da kommt es auf guten Willen an, gerade seitens jener, die derzeit die Lufthoheit in den Talkshows der Nation haben. Wir sollten nämlich bei unseren Diskussionen über Einwanderung, Asyl und Integration aufhören, in erster Linie danach zu fragen, wes Geistes Kind wohl der Gesprächspartner ist und wo man ihm am Zeug flicken könnte. Im Grunde ist es doch egal, ob jemand ein Spießbürger, Gutmensch, Rechter, Linker oder sonst was ist, denn für die Lösung von Problemen zählt allein, ob das stimmt, was über Tatsachen und Zusammenhänge behauptet wird. Laßt uns also mehr zur Sache als über Ideologie sprechen!

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Prof. Dr. Werner J. Patzelt, Jahrgang 1953, ist Gründungsprofessor des Instituts für Politikwissenschaft an der TU Dresden. Seit 1992 hat er dort den Lehrstuhl für Politische Systeme und Systemvergleich inne. Er ist Mitglied im Kuratorium der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung.

Werner Patzelt: Der Dresdner Politikwissenschaftler rät der Politik, die Pegida-Demonstranten ernst zu nehmen Foto: picture alliance/ZB/dpa
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