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Deutsche Geschichte: „Das Kaiserreich rückt uns näher“

Deutsche Geschichte: „Das Kaiserreich rückt uns näher“

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Reichskanzler Otto von Bismarck spricht im Reichstag: Wie liberal war das Kaiserreich? Foto: picture-alliance / akg-images | akg-images
Reichskanzler Otto von Bismarck spricht im Reichstag: Wie liberal war das Kaiserreich? Foto: picture-alliance / akg-images | akg-images
Reichskanzler Otto von Bismarck spricht im Reichstag: Wie liberal war das Kaiserreich? Foto: picture-alliance / akg-images | akg-images
Deutsche Geschichte
 

„Das Kaiserreich rückt uns näher“

War das deutsche Kaiserreich liberal und ein Staat wie andere auch? Über diese Frage streitet die Forschung auch 150 Jahre nach der Reichsgründung. Der Potsdamer Historiker Dominik Geppert plädiert für eine differenzierte Betrachtung und kritisiert eine zu einseitige Bewertung.
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Das deutsche Kaiserreich ist in seiner Ambivalenz auch 150 Jahre nach seiner Gründung immer noch Gegenstand intensiver Debatten. So reicht die Bewertung in der Forschung von der eines fortschrittlichen, dynamischen Nationalstaats bis zum Hort des deutschen Autoritarismus, den sein Militarismus in den Ersten Weltkrieg führte. Dabei schwingt auch immer wieder die Frage mit, ob Deutschland eine Nation wie jede andere sei.

Über dieses Thema diskutierten am Dienstag abend die beiden Historiker Eckart Conze (Marburg) und Dominik Geppert (Potsdam) im virtuellen Streitgespräch unter dem Titel „Wie liberal war das Kaiserreich“ auf Einladung der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung.

Conze machte eingangs der Diskussion seinen Standpunkt deutlich, wonach das Reich von seiner Gründung 1871 bis zu seinem Ende 1918 ein „illiberaler politischer Staat“ gewesen sei. Für ihn stelle auch die Sozialpolitik von Reichskanzler Otto von Bismarck ein Mittel zur Repression und bestenfalls der Pazifizierung der Arbeiterbewegung dar.

War das Kaiserreich eine Nation wie jede andere?

Mit sorgenvollem Unterton stellte Conze fest, daß heute in der öffentlichen Wahrnehmung ein zu rosiges Bild des wilhelminischen Deutschlands gezeichnet werde. Dabei gerate beispielsweise die Nationsbildung durch Ausgrenzung aus dem Blick und ein neuer deutscher Nationalismus suche heute Anschluß an das Reich. In dem Zusammenhang nannte er im Verlauf der Diskussion die AfD und deren Versuch, dem deutschen Kolonialismus positive Aspekte abzugewinnen.

Überhaupt könne das Kaiserreich nicht als eine „Nation wie jede andere auch“ betrachtet werden, betonte Conze, der sich in seiner jüngsten Veröffentlichung mit den Schattenseiten des deutschen Nationalstaates befaßt. Daher funktioniere auch der europäische Vergleich mit den anderen Nationen jener Zeit nicht.

Dem widersprach Geppert deutlich. Zugleich räumte er ein, daß das Kaiserreich zwar keine im heutigen Verständnis liberale Verfassung gehabt habe, aber auch sie habe ungeplante liberale Entwicklungen ermöglicht. Er erinnerte auch daran, daß die SPD 1912 stärkste Reichstagsfraktion geworden war. Errungenschaften wie das allgemeine freie Männerwahlrecht, die Vereinheitlichung der Währung und das Gesellschaftsrecht nannte Geppert als positive Entwicklungen der Reichseinigung.

Geppert plädiert für internationalen Vergleich

Er warnte eindrücklich vor einer „Fehlwahrnehmung“ des damaligen Deutschlands wie sie Conze bisweilen formuliere. Anders als dieser sprach sich Geppert dafür aus, daß Kaiserreich mit den anderen europäischen Staaten der damaligen Zeit zu vergleichen. Deutschland sei vor dem Ersten Weltkrieg von seinen Bürgern und auch im Ausland als erfolgreicher Staat angesehen worden. Heute hingegen würden die negativen Aspekte, die es zweifellos gegeben habe, betont. Auch Conze trage mit seinen Thesen zur geschichtspolitischen Polarisierung bei, wenn er einseitig die Schattenseiten herausstelle und so gegenteilige Reaktionen hervorrufe.

Die Behauptung von Conze, daß „Kaiserreich sei kein Land wie jedes andere“, lehnte Geppert als wissenschaftlichen Kurzschluß ab. So sei der Antisemitismus in Deutschland um 1900 auch nicht anders gewesen, als in Frankreich oder dem zaristischen Rußland. „Der internationale Vergleich ist ein sehr hilfreiches Mittel.“

Das Fremde der Vergangenheit weckt das Interesse

Mit Blick auf Bauprojekte wie die Garnisonskirche in Potsdam und das Berliner Stadtschloß zeigte sich Geppert überzeugt: „Das Kaiserreich rückt uns näher.“ Zuvor hatte Conze in diesem Zusammenhang die Frage aufgeworfen: „Wie beziehen wir uns auf Preußen?“ und kritisiert, daß beides keine Orte seien, die für Demokratie und Toleranz stünden.

Abschließend plädierte Geppert für eine differenzierte Betrachtung des Kaiserreiches mit all seinen Stärken und Schwächen. Man dürfe sich nicht nur einzelne Aspekte heraussuchen. Gerade das, was aus heutiger Sicht nicht leicht zu verstehen sei, könne umso mehr das Interesse wecken. So forderte der Potsdamer Historiker: „Wir müssen uns von dem Fremden der eigenen Vergangenheit ansprechen lassen.“

Reichskanzler Otto von Bismarck spricht im Reichstag: Wie liberal war das Kaiserreich? Foto: picture-alliance / akg-images | akg-images
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