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Marc Jongen, ESN Fraktion

Schlacht um Budapest 1945: Stalingrad an der Donau

Schlacht um Budapest 1945: Stalingrad an der Donau

Schlacht um Budapest 1945: Stalingrad an der Donau

Budapest
Budapest
Sowjetische Soldaten der 3. Ukrainischen Front bei Kämpfen in Budapest Foto: picture alliance/dpa
Schlacht um Budapest 1945
 

Stalingrad an der Donau

Es war einer der mörderischsten Kämpfe des Zweiten Weltkriegs: Die Schlacht um Budapest im Winter 1944/45. Doch trotz der hohen Verluste auf beiden Seiten ist sie außerhalb Ungarns weitgehend in Vergessenheit geraten.
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Im Winter 1944/1945 fand in Budapest „einer der längsten und blutigsten Stadtkämpfe des Zweiten Weltkriegs“ (Krisztián Ungváry) statt, eine Schlacht, die außerhalb Ungarns weitgehend in Vergessenheit geraten ist. Vom Erscheinen der ersten sowjetischen Truppen am Stadtrand am 4. November 1944 bis zum endgültigen Fall der Stadt am 13. Februar 1945 vergingen 102 Tage. Nach der Einkesselung am 24. Dezember dauerte die eigentliche, durch nahezu ununterbrochene Kämpfe geprägte Schlacht um Budapest 52 todbringende Tage.

Die Schlacht um Berlin dauerte hingegen nur etwas mehr als zwei Wochen (16. April bis 2. Mai 1945). Für die Verteidigung der Reichshauptstadt wurden weniger Mittel eingesetzt als in Westungarn und Budapest. Von September 1944 bis Februar 1945 schickte Hitler 15 Panzer- und 16 Panzergrenadier-, Kavallerie- und Infanteriedivisionen nach Ungarn, so daß sich dort im Februar die Hälfte aller der Ostfront zur Verfügung stehenden deutschen Panzerverbände befanden. Schließlich befahl er auch noch die Verlegung seiner besten Truppen, der 6. Panzerarmee, aus dem Westen nach Ungarn. Dort fand auch im März – nach dem Fall von Budapest – die letzte deutsche Großoffensive („Frühlingserwachen“) statt.

Allerletzte Erdölressourcen für die deutsche Armee

Angesichts des drohenden alliierten Einbruchs in die Kerngebiete Deutschlands wirkt diese militärische Schwerpunktbildung aberwitzig. Doch Hitler wollte so lange wie möglich große Offensiven durchführen, „um das Gesetz des Handelns nicht ganz zu verlieren“. Die Voraussetzungen dafür waren 1945 nur noch im Donauraum vorhanden, da nur dort noch eine nennenswerte Erdölförderung samt Raffinerie-Kapazitäten zur Verfügung stand. Die rumänischen Erdölfelder waren bereits verloren und die deutschen Hydrierwerke zerbombt.

Das von Miklós Horthy als Reichsverweser regierte Königreich Ungarn war seit 1940 ein Verbündeter Deutschlands, das sich 1941 am Angriff auf Jugoslawien und auf die Sowjetunion beteiligte. Der machtpolitische Realist Horthy sah aber ab 1943 die deutsche Niederlage voraus und streckte Friedensfühler zu den Westalliierten aus. Im März 1944 ließ Hitler deshalb Ungarn militärisch besetzen und zwang den Reichsverweser zur Bildung einer Kollaborationsregierung.

Die Scheinselbständigkeit des Landes und seiner Streitkräfte blieb aber bestehen. Das kam den Deutschen zugute, als im August 1944 eine sowjetische Großoffensive die deutsch-rumänische Südostfront durchbrach, die (neue) deutsche 6. Armee vernichtete und Rumänien und Bulgarien zum militärischen Seitenwechsel zwang.

Ungarn hingegen verstärkte an deutscher Seite seine militärischen Anstrengungen. Aufgrund des Widerstandes der ungarischen und der mit schlagkräftigen Panzerverbänden verstärkten deutschen Truppen verlief der weitere sowjetische Vormarsch weit langsamer, als von Stalin erwartet. Aufgrund der gewaltigen zahlenmäßigen und materiellen Überlegenheit der Roten Armee konnte deren Vordringen allerdings nur auf Zeit aufgehalten werden.

Kaum Lebensmittelvorräte

Horthy begann deshalb Mitte Oktober Waffenstillstandsverhandlungen mit den Sowjets. Daraufhin wurde er von SS-Kommandos gefangengesetzt; die radikale, faschistische Pfeilkreuzlerpartei unter Ferenc Szálasi übernahm am 15. Oktober 1944 die Regierung.

Der erste sowjetische Angriff auf Budapest wurde Anfang November noch zurückgeschlagen. Erst nach der Verstärkung der 2. durch die 3. Ukrainische Front gelang der Roten Armee im zweiten Anlauf am 24. Dezember die Einschließung. Doch waren die deutschen Truppen im Januar 1945 noch zu drei Offensiven (Konrad 1-3) zur Entsetzung Budapests in der Lage, die bis auf 17 Kilometer an die Stadt herankamen und beim Feind zu erheblichen Krisen führte.

Die Vorbereitungen in Budapest, das von Hitler Anfang Dezember 1944 zur Festung erklärt worden war, auf eine Einkesselung waren unzureichend. In der von etwa 43.000 deutschen und 36.000 ungarischen Soldaten verteidigten Stadt mit noch 800.000 Einwohnern gab es nur Lebensmittelvorräte für zwölf Tage. Die meisten Wasser-, Gas- und Elektrizitätswerke lagen außerhalb oder in den Randbezirken der Stadt und gerieten bis Anfang Januar in sowjetische Hand bzw. fielen den Kampfhandlungen zum Opfer.

Ähnliches galt für die wenigen Flugplätze im Kessel. Allerdings gelang es bis fast zuletzt, begrenzte Mengen an Lebensmitteln, Munition und Sanitätsgütern mit Hilfe von Lastenseglern in die Stadt zu bringen, die von Hitlerjungen gesteuert wurden.

Gnadenlos verheizt

Die Stadt wurde von der Roten Armee im Kampf von Haus zu Haus erobert. Ihre Infanterie mußte im Häuserkampf schwer bluten; rund die Hälfte aller Verluste, die die Rote Armee in Ungarn erlitt (80.000 Tote und 240.000 Verwundete), entstanden ihr in der Schlacht um Budapest. Am Ende rekrutierte sie „Freiwillige“ unter den ungarischen Kriegsgefangenen mit dem Versprechen, sie kämen nicht nach Sibirien, und reihte sie in die eigene Infanterie ein. Sie wurden bei den Stürmen auf die letzten Stellungen der Gegner gnadenlos verheizt.

Doch auch für die Verteidiger wurde Budapest zum „Stalingrad an der Donau“ (Ungváry), wobei die schwersten Verluste nicht bei den Kämpfen in der Stadt entstanden, sondern bei dem verzweifelten Ausbruchsversuch am 11. Februar. Bis dahin hatte der Kommandeur der „Festung“, General der Waffen-SS Karl Pfeffer-Wildenbruch, strikt Hitlers Haltebefehl befolgt.

Erst als klar war, daß die letzten Stützpunkte um die Burg in Buda in kürzester Zeit fallen würden, entschied er sich für den Ausbruch. Er wagte es aber nicht, die Heeresgruppe Süd von seinen Plänen zu unterrichten, so daß diese keine Unterstützung von außen leisten konnte. Der Ausbruch von 43.000 Deutschen und Ungarn geriet zum Debakel, da er sofort in stärkstes Kreuzfeuer geriet.

Budapest wurde zu mehr als achtzig Prozent zerstört

Nur 700 Soldaten erreichten die deutschen Linien am Plattensee, fast die Hälfte fiel, der Rest geriet in Gefangenschaft, wobei noch Tausende beim Marsch in die Gefangenenlager umkamen. Am 13. Februar 1945 kapitulierten die letzten Verteidiger der zu mehr als 80 Prozent zerstörten Stadt.

Während der Belagerung kamen 38.000 Zivilisten ums Leben, davon waren die Hälfte Juden. Die meisten Juden fielen nicht Kampfhandlungen zum Opfer, sondern Hunger und Verfolgung. Bis zum November waren die Budapester Juden weitgehend von den mit der deutschen militärischen Besetzung im April 1944 in Ungarn einsetzenden Deportationen nach Auschwitz verschont geblieben, allerdings wurden 50.000 zum Stellungsbau an die Reichsgrenze verschleppt. Bei der Einkesselung lebten aber noch rund 140.000 Juden, eingesperrt in ein Ghetto, in der Stadt.

Es waren nun nicht deutsche SS-Einheiten, sondern ungarische Pfeilkreuzler, die zwischen dem Oktober 1944 und dem Februar etwa 15.000 Juden – teilweise am Donauufer vor den Augen der Öffentlichkeit – ermordeten. Generalmajor Gerhard Schmidhuber, der später beim Ausbruchsversuch gefallene Kommandeur der 13. Panzerdivision, verhinderte im Januar 1945 auf Betreiben des schwedischen Diplomaten Raoul Wallenberg das Schlimmste – die „Liquidierung“ des Ghettos durch Pfeilkreuzler-Milizen.

Tragödie ohnegleichen für Ungarn

Für Budapest und Ungarn stellte die volle Einbeziehung in die Vernichtungsorgie der letzten neun Kriegsmonate aufgrund der großen Menschenverluste und Zerstörungen eine Tragödie ohnegleichen dar. Das Land verzeichnete prozentual die fünfthöchsten Menschenverluste des Krieges, verlor rund vierzig Prozent seines Nationalvermögens und geriet für zwei Generationen unter sowjetische Herrschaft.

Aus deutscher und österreichischer Perspektive fällt die Bilanz zwiespältiger aus. Der Chef der Operationsabteilung des sowjetischen Generalstabes, Sergei Štemenko, hielt in seinen Memoiren 1968 fest: „Die Pläne unseres Generalstabes, denen zufolge Ende Dezember Wien und im März Süddeutschland hätten erreicht werden sollen, wurden hauptsächlich durch die lange Belagerung der ungarischen Hauptstadt umgeworfen.“

Auch Churchill hatte im Spätsommer 1944 zunächst ähnlich rasche sowjetische Fortschritte erwartet. Was es für die Nachkriegsgeschichte Deutschlands und Österreichs bedeutet hätte, wenn diese Pläne Stalins termingerecht realisiert worden wären, kann man sich leicht vorstellen.

JF 52/19

Sowjetische Soldaten der 3. Ukrainischen Front bei Kämpfen in Budapest Foto: picture alliance/dpa
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