Wenn sich politische Veteranen am 50. Jahrestag der Gründung ihrer Partei oder Bewegung erinnern (Ordre Nouveau 1969-1973*), geschieht das mit einem gewissen Stolz auf das Erreichte. Aber es gibt selbstverständlich auch den anderen Fall: Aktivisten, denen nichts bleibt, als das Scheitern einzugestehen. In Bezug auf den Ordre Nouveau (ON) ist nur auf den ersten Blick klar, um welche der beiden Kategorien es geht: Im November 1969 gegründet, verschwand er schon 1973 wieder von der Bühne des Geschehens. Und nicht nur das, der ON wurde als staatsfeindliche Organisation verboten und aufgelöst.
Dieses Ende war alles andere als zufällig. Denn die Existenz des Ordre Nouveau fiel in eine Phase massiver innenpolitischer Konflikte, die Frankreich erschütterten. Im Grunde war das Land seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht zur Ruhe gekommen. Die Befreiung hatte zwar der deutschen Besetzung ein Ende gemacht, aber auch einen verdeckten Bürgerkrieg ausgelöst. Die Versuche, wenigstens etwas vom früheren Großmachtstatus zu erhalten, scheiterten samt und sonders.
Die Aufgabe Algeriens ließ die Auseinandersetzungen noch einmal eskalieren. Sie endeten mit dem Untergang der notorisch instabilen Vierten Republik. Es folgte ein „Staatsstreich auf Velours“ (Charles de Gaulle) und dann die Errichtung der Fünften Republik. Aber auch die verschaffte dem Land nur eine Atempause, bevor Mitte der sechziger Jahre eine revolutionäre Linke und eine revolutionäre Rechte gewaltsam zusammenstießen und die Staatsmacht mühsam ihre Autorität wahrte.
„Anarchischer“ Zug und militantes Erscheinungsbild
Hatte die Linke im „Roten Mai“ 1968 einen Etappensieg errungen, gelang es de Gaulle in der Folge doch, das bürgerliche und das kleinbürgerliche Frankreich weitgehend auf seine Seite zu ziehen. Allerdings war nicht auszuschließen, daß ein massiver Stoß von der Gegenseite folgen würde. Den zu organisieren, war das Ziel des Ordre Nouveau. Seine Führung rechnete fest mit einer weiteren Zuspitzung der Lage.
Dafür sprachen in jedem Fall die gewaltsamen Zusammenstöße an den Universitäten und die Straßenkämpfe zwischen Linken und Rechten in Paris und den übrigen großen Städten des Landes. Das bedeutete allerdings auch, daß sich der ON nicht als Sammlungsbewegung der stark zersplitterten französischen Rechten verstand, sondern als Avantgarde.
Der Versuch, Royalisten und Traditionalisten, Nostalgiker des Vichy-Regimes und Algerienfranzosen, kleinbürgerliche „Poujadisten“ und Männer, die für die Organisation Armée Secrète (OAS) in den Untergrund gegangen waren, zusammenzubringen, erschien seiner Spitze nicht aussichtsreich. Hinzu kam, daß der ON keinen „Führer“ hatte, sondern von einer Art Direktorium geleitet wurde, in dem sich Vertreter einer betont nationalistischen oder nationalrevolutionären Linie sammelten.
Ein ehemaliges Mitglied spricht vom „anarchischen“ Zug der Bewegung, deren Bild vor allem die „militants“ bestimmten, junge Männer in Jeans, schwarzer Lederjacke oder Flecktarn, mit Eisenstangen oder Knüppel in der Hand, den Motorradhelm auf dem Kopf. Die Helme waren oft mit einem Keltenkreuz markiert, dem Symbol des französischen Nationalismus seit den 1950er Jahren.
Moderne Bildsprache
Aber ansonsten wirkte die Bildsprache des ON ausgesprochen modern. Das galt für die Farbgebung der Plakate – insbesondere das ungewohnte Violett – und die verwendete Schrifttype, die an Popart erinnerte. Hinzu kam bei den Kongressen des ON eine Optik, die an einen Parteitag in Moskau einerseits, an die Ausstattung von Science-Fiction-Filmen andererseits erinnerte.
So anziehend dieses Corporate Design auf einen Teil der Jugend wirkte, so irritierend war es für die Masse der Bevölkerung. Auch die ideologische Mischung aus Antikommunismus und Antigaullismus fand keine breitere Unterstützung. Bei Wahlen konnte der ON niemals mehr als 3,2 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen, gewöhnlich lag der Anteil deutlich darunter.
Das führte im Laufe des Jahres 1972 zwar nicht zur Resignation, aber zu dem Entschluß, eine Partei als „republikanisches Schaufenster“ zu gründen. So kam es im Oktober des Jahres zur Bildung des Front National (FN) unter Führung von Jean-Marie Le Pen, der mit François Brigneau als Vizepräsidenten und Alain Robert als Generalsekretär zwei Kader des ON übernahm.
Der Ordre behielt allerdings seine organisatorische Unabhängigkeit und führte einen dritten Kongreß unter dem Titel „Wir sind die soziale, nationale und revolutionäre Rechte“ durch. Es war aber nicht diese Art des Radikalismus, die den weiteren Weg bestimmte, sondern der Entschluß, die Kooperation mit dem FN auszubauen, so daß bei den Parlamentswahlen im März 1973 der ON etwa 70 Prozent aller Kandidaten des Front stellte.
Der Erfolg blieb begrenzt
Der Erfolg dieses Einsatzes blieb wieder begrenzt – die Partei kam gerade auf 2,3 Prozent der Voten –, aber es zeichnete sich zu dem Zeitpunkt deutlich ab, daß neue Entwicklungen einsetzten und die alten Konstellationen der französischen Politik ihre Bedeutung verlieren würden. Eine Woche vor der Auflösung, am 21. Juni 1973, veranstaltete der Ordre Nouveau sein letztes großes „Meeting“ unter dem Titel „Stop der illegalen Einwanderung!“
Einer der Ehemaligen des ON erinnert sich, daß Le Pen das Thema damals für bedeutungslos hielt. Es habe keine „mobilisierende“ Wirkung, soll er geäußert haben. Der weitere Gang der Dinge hat auch diese Einschätzung korrigiert. Die Agitation gegen den Zustrom der Fremden und die Verwandlung Frankreichs in ein multikulturelles Mosaik hat den Front National, der seit 2018 Rassemblement National (RN) heißt, zu einer Volkspartei gemacht. Die Feststellung eines Veteranen, daß es den RN ohne den Ordre Nouveau nicht gäbe, trifft in historischer Perspektive zu. Aber es gehört auch zur Geschichte politischer Parteien, daß sie nur überleben, wenn sie sich den Gesetzen ihres Dschungels anpassen.
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*Ordre Nouveau 1969-1973. Raconté par ses militants – Témoignages et documents, Paris: Editions Synthese 2019, kart., 266 S., einige farbige und Schwarz-Weiß-Abbildungen, € 25.00.
Alle Fotos stammen aus dem Archiv des Verfassers.