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„Dolchstoßlegende“: Zweifel an den Zweifeln

„Dolchstoßlegende“: Zweifel an den Zweifeln

„Dolchstoßlegende“: Zweifel an den Zweifeln

Dolchstoss
Dolchstoss
Dolchstoß an der Front auf einem Wahlplakat der Deutschnationalen Volkspartei 1924 Foto: picture-alliance/akg-images
„Dolchstoßlegende“
 

Zweifel an den Zweifeln

In den offiziösen Darstellungen des ersten Weltkriegs gilt die sogenannte „Dolchstoßlegende“, nach der das Heer im Felde durch den Verrat in der Heimat gefällt wurde, als widerlegt. Nun meldet Gerd Krumeich, eigentlich ein Gralshüter Historischer Korrektheit, überraschend Zweifel an dieser Deutung an.
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Es gibt eine „Legende von der Weimarer Republik“. Die geht so: An sich war 1919 alles in Ordnung, der lästige Obrigkeitsstaat beseitigt, die Republik errichtet, der Weg nach Westen offen; aber leider bockten die Deutschen und wollten ihn nicht beschreiten; das hatte vor allem mit dem Mangel an Liberalität in der Vorzeit zu tun, dann auch mit den reaktionären Oberschichten, die weiter am Ruder blieben, und mit dem Nationalismus, der sich unbegreiflicher Weise festsetzte und schließlich den Untergang der schönen neuen Demokratie heraufbeschwor. Zu den perfiden Behauptungen der Rechten gehörte einmal die vom „Diktatfrieden“ und dann die vom „Dolchstoß“, durch den das deutsche Heer gefällt wurde.

Gralshüter Historischer Korrektheit

Man könnte einen ganzen Katalog mit Abhandlungen von Historikern, Politologen, Soziologen, Pädagogen und Journalisten füllen, die die fatale Wirkung der „Dolchstoßlegende“ zum Thema haben. Sie alle teilen eine Grundannahme: daß es sich tatsächlich um eine Legende handelte, das heißt, daß die Vorstellung vom „Dolchstoß“ keinerlei sachliche Berechtigung hatte; konsequenter Weise spricht mancher schon von „Dolchstoßlüge“. Entsprechend liest man es in jedem Schulbuch und in jeder Empfehlung für den Geschichtsunterricht, in den offiziösen Darstellungen wie den Materialien zur politischen Bildung.

Umso überraschender, wenn jemand wie Gerd Krumeich, emeritierter Professor für Neuere Geschichte, mit einem Beitrag in der FAZ am Montag gewisse Zweifel anmeldet. Krumeich gehört eigentlich zu den Gralshütern Historischer Korrektheit. Noch unlängst hat er scharf allen Versuchen widersprochen, die deutsche Alleinschuld am Kriegsausbruch von 1914 zu relativieren. Aber nun erfährt man, daß er, was die Deutung des Kriegsendes angeht, Vorbehalte hat.

Veratwortung für sieben Millionen Tote

Erstaunlich ist schon, daß Krumeich seinen Kollegen eine unhistorische Betrachtung der Kriegsfolgen vorwirft. Sie begriffen nicht, heißt es bei ihm, was der Versailler Vertrag für die Deutschen der Zeit war und warum sie den Kriegsschuldartikel als inakzeptabel betrachteten.

Die Äußerung Clemenceaus bei Übergabe der Friedensbedingungen im Mai 1919 („Das Verhalten Deutschlands ist in der Geschichte der Menschheit fast beispiellos. Die schreckliche Verantwortung, die auf ihm lastet, läßt sich in der Tatsache zusammenfassen, daß wenigstens sieben Millionen Tote in Europa begraben liegen, während mehr als zwanzig Millionen Lebender durch ihre Wunden und ihre Leiden von der Tatsache Zeugnis ablegen, daß Deutschland durch den Krieg seine Leidenschaft für die Tyrannei hat befriedigen wollen.“) nennt Krumeich „ungeheuerlich“, die Reaktion des deutschen Vertreters Brockdorff-Rantzau, der bei der Entgegennahme sitzenblieb, „maßvoll“.

Entscheidend ist aber, wie Krumeich mit der „Dolchstoßlegende“ verfährt: Zum einen bezweifelt er, daß die deutschen Streitkräfte Ende 1918 so entscheidend geschwächt waren, daß sie den Kampf nicht mehr fortsetzen konnten, zum anderen weist er auf den Wahrheitskern hin, der in der Behauptung stecke, daß erst der Ausbruch der Revolution in der Heimat alle weiteren militärischen Anstrengungen unmöglich machte.

Deutsche Kriegsschuld bereitwillig akzeptiert

Es seien vor allem die Zivilisten gewesen, die den Krieg „gründlich satthatten“ und nur zu gern der Illusion folgten, daß man für den Fall der Beseitigung des alten Regimes einen glimpflichen Frieden bekommen könnte. Und obwohl dieses Kalkül nicht aufging, habe ein erheblicher Teil der Linken die deutsche Kriegsschuld bereitwillig akzeptiert und damit den Forderungen der Sieger in die Hände gearbeitet.

Diese Tatbestände überhaupt wieder ins Gedächtnis gerufen zu haben, ist verdienstvoll. Aber trotzdem weist Krumeichs Argumentation Lücken an entscheidenden Punkten auf. So bezieht er nicht ein, daß die großen Streikbewegungen seit dem Herbst 1917 – die auch die Mehrheitssozialdemokratie akzeptierte, wenn nicht unterstützte – objektiv zur Schwächung der deutschen Position beitrugen. Weiter ist zu betonen, daß die Linke sich dieser Vorrevolution anfangs rühmte, so lange, bis die Stimmung im Frühjahr 1919 umschlug.

„Friedensfreunde“ im Ausland

Sie stand dabei auf der Seite einer bis in die Mitte des politischen Spektrums reichenden Strömung, die mit den „Friedensfreunden“ im Ausland paktierte, die dem Feind Handlangerdienste leisteten, weil sie von dessen historischem Recht überzeugt waren und sich nach Errichtung der Republik einen natürlichen Vorsprung bei der Machtverteilung erhofften.

Zu erwähnen bleibt schließlich noch, daß es in der politischen Führung Deutschland niemanden gab, der bereit gewesen wäre, Maßnahmen zu ergreifen, die man in Frankreich oder Großbritannien angesichts von existenzbedrohenden Krisen ohne Zögern ergriffen hatte.

Pétain brach die Meuterei ganzer Regimenter mit Hilfe der altrömischen „Dezimierung“, Großbritannien ertränkte den irischen Osteraufstand in Blut und noch 1918 wurden insgesamt 676 Todesurteile wegen Befehlsverweigerung und Desertion ausgesprochen (wenn auch nicht alle ausgeführt).

Dolchstoß an der Front auf einem Wahlplakat der Deutschnationalen Volkspartei 1924 Foto: picture-alliance/akg-images
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