Rocker bis vor wenigen Jahren galt diese Subkultur als anachronistisches Überbleibsel aus der Easy Rider-Ära. Doch seit die Medien massiv von Rockerkriegen berichten, sind die gern mit dem Attribut gesetzlose versehenen Motorradfahrer wieder aktuell. Die neue Aufmerksamkeit bringt den Motorradclubs auch neuen Zulauf: Plötzlich sind es nicht mehr alte Silberrücken, sondern auch junge Männer, die sich wieder für das Bild einer verschworenen und disziplinierten Gemeinschaft begeistern, das gar nicht mehr so recht in unsere individualisierte Gesellschaft paßt. Dabei produzieren die Motorradclubs fast nur Negativschlagzeilen. Vor allem die rivalisierenden Hells Angels und Bandidos gelten als kriminell. Gewalt, Dealergeschäfte und Zuhälterei werden den Rockern nachgesagt. Zum Topthema aller Medien wurde im Mai 2008 die Verurteilung zweier Bandidos zu lebenslangen Freiheitsstrafen vor dem Landgericht in Münster wegen Mordes an einem Hells Angel. Worum geht es dabei eigentlich? Die Geschichte der Outlaw-Motorradclubs beginnt schon in den 1930er Jahren in den USA. Insofern waren die Hells Angels bei ihrer Gründung 1948 in Kalifornien keine Innovation mehr. Die Gründungsmitglieder des Hells Angels MC (Motorcycle Club) der Legende nach Veteranen des Zweiten Weltkriegs übernahmen das Emblem der gleichnamigen Fliegende Festung-Bomberstaffel der US-Luftwaffe. Dem Motorradfan Ralph Sonny Barger gelang es, einige lose Motorradclubs unter diesem Logo zusammenzufassen und zu einer einheitlich auftretenden Gemeinschaft zu formieren. Die Gruppe legte es darauf an, sich durch wüste Auftritte Respekt und einen schmissigen Ruf zu verschaffen. Die Presse tat ihnen den Gefallen und verpaßte den Motorrad-Rabauken ein überlebensgroßes Desperado-Image. So wurden die Hells Angels zum Prototyp und Klischee des bösen, bärtigen Bikers. Den Stempel gemeingefährlich bekamen die Hells Angels endgültig 1969 im kalifornischen Altamont: Von den Rolling Stones als Ordnertrupp engagiert, erstachen Mitglieder des Clubs einen Jugendlichen vor der Bühne. Dieser hatte jedoch im Drogennebel mit einem Revolver herumgefuchtelt. Das Gericht wertete die Tötung als Notwehr. Das Medienbild der Rocker weckte Sympathien bei jungen Männern, denen die Hippie-Subkultur zu weich war. Viele imitierten einfach das, was sie in der Presse sahen, beispielsweise die legendären Massenschlägereien zwischen Rockern und Mods in den südenglischen Seebädern während der späten 1960er Jahre. Die Sensationsberichte generierten ihre eigene Realität. Die ersten deutschen MCs gründeten sich Anfang der 1970er, oft im ländlichen Raum. Es entstand eine vielfältige Szene regionaler Clubs, die selten mehr als eine Ortsvertretung aufwiesen. Nach und nach wuchsen einige Vereine heran und stellten in ihrer Region eine gewisse Hausmacht dar. Diese Ausdehnungen sorgten an den Rändern der Reviere immer wieder für Reibungen. Dabei wird unter MCs nicht lange diskutiert immerhin handelt es sich um Rocker, nicht um Chorknaben. In langen Prozessen entstand schließlich ein mehr oder weniger stabiles Gleichgewicht, auch wenn sich zum Beispiel die Hells Angels mit den Düsseldorfer Bones jahrelang Rangeleien lieferten. Die Hells Angels gründeten ihre erste deutsche Gebietsvertretung (bei den meisten MCs heißt es Chapter, die Hells Angels sagen Charter) 1973 in Hamburg. Dort fielen Mitglieder durch Straftaten im Zusammenhang mit organisierter Bandenkriminalität auf. Beliebt war es in diesen wilden Jahren, von Wirten Wegbleibprämien zu kassieren und bei Zahlungsverweigerung das Lokal zu verwüsten oder die Gäste zu vergraulen. Einigen Mitgliedern konnte gerichtlich nachgewiesen werden, daß sie auf dem Rotlichtkiez von St. Pauli Prostituierte erpreßt und mißhandelt hatten. Berüchtigt wurden die Hamburger Hells Angels, als ein Disko-Besitzer auf Sylt bei einem Streit mit Mitgliedern durch zwanzig Messerstiche verletzt wurde. Das Hamburger Hells-Angels-Charter wurde als kriminelle Vereinigung eingestuft und verboten. Um einem bundesweiten Verbot des gesamten Clubs zu entgehen, legten die Hells Angels ihren Germany-Schriftzug auf dem Rückenwappen ihrer Kutten ab und ersetzten ihn durch regionale Herkunftsbezeichnungen. In den 1980er Jahren setzten die Rocker auf Expansion. Kleine Clubs gaben ihre Identität auf und traten mächtigeren MCs bei; große Clubs übernahmen kleinere (manchmal auch mit Druck). So traten die bis dahin selbst mächtigen Bones ihren früheren Konkurrenten Hells Angels bei. Folge war eine Konzentration der bis dahin vielfältigen Szene. Das lange gewachsene Kräfteverhältnis verrutschte endgültig mit dem Auftauchen eines neuen Faktors: 1999 gründete der US-Club Bandidos eine deutsche Niederlassung, die durch Beitritte anderer Clubs rasant wuchs. Einige kleinere MCs, die unter der Vorherrschaft der Hells Angels nicht viel zu melden hatten, beeilten sich, die Farben der Bandidos zu übernehmen. Der Bandidos MC wurde 1966 in Texas von Vietnam-Veteranen der U. S. Marines gegründet. In den 1990er Jahren faßte der Club dann auch in Europa Fuß, zunächst in Frankreich, Luxemburg und Dänemark. Durch die schnelle Expansion kam es rasch zu handfesten Konflikten. Dabei geht es nicht grundsätzlich um Verteilungskämpfe im Halb- und Unterweltmilieu. Zum Selbstverständnis der Rocker gehört, daß kein Club eine Neugründung in seinem Revier einfach duldet, sondern einen exklusiven Anspruch reklamiert und wie es sich nach dem archaischen Männlichkeitsbild der Rocker gehört notfalls mit Gewalt verteidigt. Rocker mögen eben keine fremden Rocker in direkter Nachbarschaft. Bürgerliche Existenzen mit ordentlichem Beruf Durch das Auftreten der Bandidos in der Colour-Landschaft (Colour, die Farbe, ist das Clubemblem), hat die Konzentration weiter zugenommen: Hells Angels wie Bandidos sammelten jeweils weitere Chapter/Charter und Unterstützerclubs, so die Red Devils als Supporter der Hells Angels. Beide Konkurrenten wuchsen dadurch zahlenmäßig stark an und kommen auf jeweils gut drei Dutzend Gebietsabteilungen. Doch der Druck, weiter expandieren zu müssen, um dem Gegner weiterhin Paroli bieten zu können, verursacht einen Effekt, der auch in der MC-Szene selbst nicht unkritisch betrachtet wird: Das strenge Aufnahmeritual wird zugunsten schnelleren Wachstums zuweilen vernachlässigt. Im Normalfall dauert es mehrere Jahre, bis ein Interessent vom Anwärter zum Vollmitglied wird. Daß ein Novize dabei aufgibt, ist nicht selten. Zumindest den Bandidos wird jedoch nachgesagt, zunehmend großzügiger zu verfahren, um rasch neue Köpfe zu rekrutieren. Traditionsbewußte Rocker kritisieren, daß durch diese Praxis Bewerber in die Clubs schlüpfen können, die sich die Mitgliedschaft nicht erworben haben und das Ideal einer verantwortlichen Bruderschaft schädigen. Zu diesen Idealen gehört an sich auch, Familien aus den Konflikten auszuschließen. Ein Angriff auf Konkurrenten im Beisein von Frau und Kind galt bisher als tabu. Doch im Februar 2008 griffen Hells Angels in Cottbus einen Bandido an, der mit seiner Verlobten und ihrem Baby spazierenging. Die Auseinandersetzung hat ein Niveau erreicht, das beide Gruppen nervös macht. Aber der Generalverdacht, daß es sich dabei um Revierkämpfe von Rotlicht-Banden handelt, ist zu unscharf. Innerhalb der Clubs gibt es Ortsvereine mit größerer Milieu-Affinität (zum Beispiel die Hannoveraner Hells Angels), andererseits auch solche, deren Mitglieder eher bürgerliche Existenzen mit ordentlichen Berufen führen. Daher scheitern eifrige Ermittler und Staatsanwälte regelmäßig mit Verbotsanträgen gegen gesamte Vereinigungen. Neben den Hells Angels und Bandidos gibt es diverse weitere Motorradclubs, die sich noch neutral verhalten, etwa den Lobo MC oder die Free Eagles. Der größte ist der Gremium MC. Gremium ist keine Unterabteilung eines amerikanischen Clubs, sondern ein Motorradverein deutschen Ursprungs; der Gründer nahm die Satzung einer studentischen Burschenschaft zum Vorbild. Statt sich während der Expansionswelle einem großen US-Club anzuschließen, bewahrte Gremium seine Eigenständigkeit und schaffte es, mit über hundert Chaptern (auch in Süd- und Osteuropa) selbst zu einem gewichtigen MC in Europa zu werden. Seit 2004 führt der Gremium MC ein Eisernes Kreuz in seinem Colour, das das frühere Keltenkreuz ersetzte. Dieses Symbol rückt den Club in Augen von Antifa-Gruppen in die Nähe von Neonazis was sowohl das Eiserne Kreuz diffamiert als auch die Rocker, denen jegliches politische Engagement ein Graus ist. Ständige Falschmeldungen auf Kosten unseres Rufs Als die Presse im Zusammenhang mit der Schlägerei um den Äthiopier Ermyas M. in Potsdam (April 2006) die mutmaßlich rechtsextremen Angeklagten spekulativ in den Reihen des Gremium verortete, wandte sich der Gremium-Vorstand mit einer wütenden Gegendarstellung an die Medien. Darin wurden die ständigen Falschmeldungen auf Kosten unseres Rufs durch Fernseh- und Presseberichte angeprangert und unterstrichen: Der Gremium MC duldet keine politisch motivierten Aktivisten und/oder Radikale in seinen Reihen! Wir verfolgen keinerlei politische Ziele. Radikale politische Einstellungen und Handlungen passen nicht zur Lebenseinstellung und -auffassung unserer Mitglieder. Die uns unterstellte ausländerfeindliche Haltung wäre gegenüber unseren europäischen Brüdern und den vielen ausländischen Mitgliedern, aller Hautfarben, Religionen und Abstammungen, in den einzelnen Chaptern nicht zu vertreten. Doch all das fand in den Medien kaum Gehör. Kein Wunder, daß die Rocker der Medienberichterstattung höchst skeptisch gegenüberstehen. So schrieben die Berliner Hells Angels im April 2008 einen Brief an die Redaktion des Magazins Der Spiegel und beschwerten sich über ein nach ihrer Darstellung frei erfundenes Interview in der Ausgabe vom 31. März 2008 (Gefallene Engel). Um den ganzen Schwachsinn, der über uns geschrieben wird, endlich abzustellen, schufen die Hells Angels eigens das Amt eines Pressesprechers, das der Vizepräsident des Charters Westside mit Hauptsitz in Bremen innehat. Sprecher Django ist seitdem ein vielbeschäftigter Mann. Zu den aktuellen Vorwürfen des Spiegel (Ausgabe 2/2009: Die Liaison von Rockern und Rechtsextremen), auch die Hells Angels machten gemeinsame Sache mit militanten Neonazis, sagte er der JUNGEN FREIHEIT: Um es ganz klar zu sagen: Das ist keine Auflagenkampagne des Spiegel, sondern gezielte Umsetzung eines Polizeikonzeptes vom letzten Jahr zur Bekämpfung von Motorradclubs, an dem das LKA Niedersachsen großen Anteil hat. Ob jemand früher rechtsextrem war, interessiert uns nicht, wenn er dem abgeschworen hat. Aber wer heute im Club anfängt zu politisieren, kann gehen. Bei uns gibt es nur eine Politik und die heißt Basisdemokratie. Ein Volk, ein Reich, ein Führer das ist Bullshit! Stichwort: Motorradclubs in Deutschland Die Frage nach der Anzahl der echten Rocker in Deutschland, die sich selbst ironisch 1-Prozenter nennen, ist nicht genau zu beantworten. Letztlich ist von circa 6.000 Rockern die Rede. Parallel zu den 1-Prozentern gibt es in Deutschland noch über 10.000 Colour-tragende Rocker/Biker. Informationen hierzu im Netz unter www.motorradclub.de und unter www.german-colours.de