Zweitstärkste Kraft wurde die AfD bei der Wahl in Ludwigshafen bei der vergangenen Bundestagswahl. Mehr als 20 Prozent erreichten die Blauen und landeten damit in der Industriestadt noch vor der SPD. Doch zur Bürgermeisterwahl darf AfD-Kandidat Joachim Paul nicht antreten. Der Wahlausschuß der Stadt lehnte seine Kandidatur ab.
In dem Gremium sitzen neben der parteilosen Oberbürgermeisterin ausschließlich Vertreter von SPD, CDU, Freien Wählern und der FDP. Die AfD selbst ist in dem sechsköpfigen Gremium nicht vertreten, weil sie ihren Abgesandten zu spät berief. Vor der Entscheidung demonstrierten Linksextremisten gegen den AfD-Politiker. Paul kündigte gegenüber der JF an, juristisch gegen die Entscheidung vorzugehen.
Doch welche konkreten Gründe veranlaßten die Kommunalpolitiker von der Konkurrenz, den AfD-Kandidaten abzulehnen? Nun wird bekannt: Es ist ein Gutachten des Verfassungsschutzes, das das rheinland-pfälzische Innenministerium auf Anfrage der Stadt zur Verfügung stellte. Das Papier, über das zuerst Nius berichtete, hat es in sich.
Gutachten moniert publizistische Aktivitäten
So werfen die Verfassungsschützer Paul eine Reihe von Beiträgen im österreichischen Freilich-Magazin vor. In einem Artikel von September 2022 habe der AfD-Politiker nationalistische Motive sowie die von der „Neuen Rechten“ propagierte „Konservative Revolution“ herausgestellt. Die Protagonisten der Tolkien-Serie „Der Herr der Ringe“ kämpften laut Paul für Heimat, kulturellen Fortbestand und die Abwehr einer Weltgefahr. Was daran verfassungsrechtlich bedenklich sein soll, wird in dem Gutachten nicht erläutert.
Kritik üben die Behörden auch an einem Beitrag von Januar 2023 mit dem Titel „Eine Warnung“. Darin habe Paul Migranten, insbesondere mit islamischem Hintergrund, als von asozialem Gruppenegoismus geprägt dargestellt. Junge, orientalische Männer beschreibe er als Feindbild, das durch kulturelle Unterschiede besonders gewaltaffin sei.
Vernetzung mit Gegenstrukturen stößt auf Kritik
Ein weiterer Vorwurf betrifft Pauls Nähe zur sogenannten GegenUni. Auf der Plattform Gettr bewarb er einen ihrer Vorträge, bot ein eigenes Video-Seminar über das Nibelungenlied an und verloste drei Jahresstipendien der Einrichtung. Der Verfassungsschutz sieht in der GegenUni kein akademisches Projekt, sondern ein Instrument zur „rechtsextremistischen Dominanz im vorpolitischen Raum“.
Im März 2023 kommentierte Paul im Freilich-Magazin eine Umbenennungsaktion der Gruppe „Revolte Rheinland“, bei der ein arabisch beschriftetes Straßenschild in Düsseldorf durch eine Tafel mit der Aufschrift „Karl-Martell-Straße“ ersetzt wurde. Paul sprach in diesem Zusammenhang von „Remigration statt Unterwerfung“ und sah darin eine Reaktion auf eine angeblich expansive Agenda des politischen Islam.
Ein Beitrag vom Juni 2023 befaßte sich mit dem Stadtteil Ludwigshafen-Hemshof. Paul setzte darin das Wort „Bulgaren“ in Anführungszeichen – laut Verfassungsschutz eine abwertende Anspielung auf eine mögliche Zugehörigkeit dieser Bevölkerungsgruppe zu den Sinti oder Roma.
Auftritte, Vorträge und Verbindungen zur identitären Szene
Auch Pauls Verbindungen zur identitären Szene geraten ins Visier. So habe Martin Sellner im Sommer 2023 im „Quartier Kirschstein“ in Koblenz Station gemacht – jenem Gebäude, in dem sich Pauls Wahlkreisbüro befindet. Social-Media-Beiträge ließen laut Verfassungsschutz auf eine persönliche Nähe schließen.
Ein weiterer Punkt ist Pauls Vortrag bei der Hannoverschen Burschenschaft Ghibellinia-Leipzig im November 2023. Dort trat er als AfD-Landtagsabgeordneter und Mitglied der Alten Breslauer Burschenschaft Raczeks zu Bonn auf. Neben Burschenschaftern nahmen auch Mitglieder der Jungen Alternative Niedersachsen teil. Thema war die sogenannte Remigration, also die Rückführung von Migranten in ihre Herkunftsländer.
Im Oktober 2024 meldete sich Paul erneut mit einem Artikel zur Nibelungensage zu Wort. Darin warf er der rheinland-pfälzischen Landesregierung vor, eine filmische Adaption nicht zur Imagepflege genutzt zu haben. Der Film sei „eine Geschichte großer Männer und Frauen, die tun, was getan werden muß“. Es war der dritte Beitrag zur Thematik, den Paul innerhalb eines Jahres veröffentlichte.
CompactTV, Lukreta und der Stolzmonat sollen Verfassungsferne beweisen
Nur wenige Monate später trat Paul auch medienwirksam in Erscheinung: Am 16. Februar 2025 veröffentlichte der YouTube-Kanal „CompactTV“ eine Reportage über seinen Wahlkampf. Die Zusammenarbeit mit dem Compact-Umfeld werten die Behörden als weiteren Hinweis auf ideologische Nähe.
Wenig später bot sich erneut ein Blick auf Pauls Veranstaltungsnetzwerk. Am 8. März 2025 fand im „Quartier Kirschstein“ eine Versammlung der Frauengruppe „Lukreta“ zum Internationalen Frauentag statt. Das Gebäude war laut Bilddokumentation von Paul bereitgestellt worden – ursprünglich war die Veranstaltung für den Raum Mayen angekündigt worden.
Den vorläufigen Schlußpunkt bildet eine von Paul selbst angemeldete Versammlung am 31. Mai 2025 in Koblenz-Stolzenfels. Unter dem Titel „Auftaktveranstaltung Stolzmonat (Internet-Phänomen)“ versammelten sich rund 90 Teilnehmer, darunter Mitglieder der aufgelösten „Revolte Rheinland“ und Vertreter der Jungen Alternative Rheinland-Pfalz. Die Aktion markierte den Beginn des sogenannten Stolzmonats – einer patriotischen Gegenkampagne zum internationalen Pride Month.
Auslöser für das Gutachten war eine Anfrage der Oberbürgermeisterin an das Mainzer Innenministerium. In ihrer E-Mail vom 18. Juli 2025 teilte Jutta Steinruck dem Ministerium über die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion Anhaltspunkte mit, die aus ihrer Sicht gegen die Verfassungstreue des Bewerbers sprächen. Das Ministerium reagierte mit einem anlaßbezogenen Dossier, das offen zugängliche und nach eigener Einschätzung „gerichtsverwertbare Erkenntnisse“ zusammenfaßt. Unterzeichnet ist das Papier vom Abteilungsleiter Verfassungsschutz – es war die Grundlage für die Ablehnung der Kandidatur.