BERLIN. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat nach der Verurteilung im Mordfall Walter Lübcke (CDU) dazu aufgerufen, weiter gegen „Haß und Hetze“ vorzugehen. „Erst sind es Worte, und am Ende sind es Taten gegen Minderheiten oder auch gegen Menschen, die Verantwortung übernehmen wie Walter Lübcke“, sagte Schäuble am Donnerstag abend im ZDF.
Es gelte, den Anfängen zu wehren, weshalb man Hetze auch in den sozialen Medien früher und entschlossener unterbinden müsse. „Auch die Freiheit im Internet kann nicht dazu dienen, daß man die Freiheit untergräbt“, unterstrich Schäuble. Man könne aus der Geschichte lernen und das Übel von vorneherein unterbinden, ergänzte der Politiker mit Blick auf das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus am Mittwoch. „Und die Gefahr ist groß genug“, fügte er hinzu.
„Wir dürfen keine Angst haben“
Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hatte am Donnerstag den Angeklagten Stephan E. zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, daß der Mann im Juni 2019 den CDU-Politiker Lübcke vor dessen Haus erschossen habe. Die Richter stellten in ihrer Begründung zudem die besondere Schwere der Schuld fest. Stephan E. habe Lübcke wegen dessen liberaler Haltung zur Flüchtlingspolitik getötet.
Es sei wichtig, für die Demokratie einzutreten – das gelte für jeden Bürger und jeden Politiker. „Wir dürfen keine Angst haben“, mahnte Schäuble. „Wir können den Anfängen wehren, indem wir es einfach nicht dulden.“ Alle, die sich an der Hetze beteiligten, trügen eine Mitschuld.
Sicherheitsbehörden bräuchten mehr Kompetenzen
Dies fange bei der Sprache an. „Natürlich müssen wir unterschiedliche politische Meinungen – das ist ja der Sinn unserer freiheitlichen Ordnung – ertragen und akzeptieren“, verdeutlichte Schäuble. Aber es müsse klar sein, wo die Grenze sei. „Und die Grenze ist eben da, wo Minderheiten diffamiert werden, oder wo Haß und Hetze geschürt werden – ob gegen Minderheiten oder gegen Menschen, die ihrer Verantwortung gerecht werden.“
Der frühere Finanzminister gab an, die Vorbereitung schwerer Gewalttaten im Internet nehme zu. Deshalb sei es höchste Zeit, daß alles getan werde, um solchen Taten vorzubeugen. Dazu bräuchten Sicherheitsbehörden aber die notwendigen rechtlichen Instrumente. „Wenn die Verbrecher, die Extremisten, die Terroristen das Internet zur Vorbereitung nutzen, dann müssen auch die, die die Sicherheit gewährleisten müssen, das Internet insoweit kontrollieren können, um solche Straftaten, wenn irgend möglich, zu verhindern.“
Staatsministerin Bär gibt AfD Mitschuld
Digitalstaatsministerin Dorothee Bär (CSU) hat unterdessen der AfD eine Mitschuld am Mord an Lübcke gegeben. Parlamentsmitglieder der AfD hätten zur Tat beigetragen, sagte sie in einer Rede im Bundestag. „Für mich haben Sie mitgeschossen“, verdeutlichte die CSU-Politikerin. „Schauen Sie nach Kassel, wo heute ein Urteil fiel. Ein Urteil über einen der sich von Ihren Worten angesprochen, von ihren Worten ermuntert gefühlt hat.” Der Täter Stephan E. habe den Worten der AfD Tagen folgen lassen.
Bär warf der AfD vor, sie grenze sich nicht eindeutig von Rechtsextremen ab: „Wir haben ja nur geredet. Wir haben ja nur den Boden bereitet für einen der glaubte, dass es folgerichtig ist, Walter Lübcke zu erschießen.” Bär betonte, der AfD werde es aber nicht gelingen, die Demokratie in Deutschland zu zerstören.
Gauland weist „ungeheuerlichen Anschuldigungen“ vehement zurück
AfD-Bundestagsfraktionschef Alexander Gauland wies die Vorwürfe Bärs vehement zurück. Die „ungeheuerlichen Anschuldigungen“ stellten einen „erneuten, nicht hinnehmbaren Bruch mit demokratischen Gepflogenheiten dar“, teilte der AfD-Ehrenvorsitzende mit. „Ein derartiger diffamierender Angriff auf die größte Oppositionspartei ist geeignet, die in unserer Verfassung festgeschriebene Kontrolle der Regierung durch die Opposition – eine unverzichtbare Voraussetzung für unserer freiheitlich-demokratische Grundordnung – zu untergraben.“
Die AfD sei Beschimpfungen durch andere Parteien gewohnt. „Aber daß Mitglieder der Bundesregierung abseits jeder sachpolitischen Debatte versuchen, die größte Oppositionspartei herabzusetzen und zu diskreditieren, werden wir nicht hinnehmen.“ (ls)