FRANKFURT/MAIN. Noch nie in den vergangenen 60 Jahren haben so viele Deutsche beklagt, man könne seine politische Meinung nicht mehr frei äußern. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Allensbach im Auftrag der FAZ gaben 44 Prozent an, es sei besser, vorsichtig zu sein. 45 Prozent sagten, man könne seine Meinung frei kundtun. In den sechziger Jahren bis ins vergangene Jahrzehnt lag dieser Wert jedoch regelmäßig bei zwei Drittel, schrieb Thomas Petersen vom Allensbach-Institut in dem Blatt.
Deutliche Unterschiede ergeben sich demnach mit Blick auf die Parteipräferenz. Nur bei Anhängern von Union (53 Prozent) und Grünen (62 Prozent) glaubt eine Mehrheit, man könne in Deutschland seine Meinung frei äußern. Bei den Wählern aller anderen im Bundestag vertretenen Parteien ist das Gegenteil der Fall. Am deutlichsten empfinden AfD-Sympathisanten, es sei besser, vorsichtig zu sein, was man wozu sagt. Dieser Ansicht sind 62 Prozent, lediglich zwölf Prozent glauben, man könne seine Meinung frei äußern.
59 Prozent glauben, es sei heikel, über Moslems und den Islam zu sprechen
Dahinter folgen FDP-Anhänger (51 zu 35 Prozent), Linkspartei-Wähler (49 zu 40 Prozent) und Sozialdemokraten (46 zu 43 Prozent). Laut Petersen beziehe sich dieses Gefühl „auf die gesellschaftlichen Sanktionen, die drohen, wenn man gegen die Regeln der ‘Political Correctness’ verstößt“.
Dies zeige sich vor allem an den Antworten auf eine Frage, bei der es um „heikle Themen“ gehe, bei denen man sich leicht „den Mund verbrennen“ könne. „Gegenüber dem Jahr 1996, als die Frage zum ersten Mal gestellt wurde, hat die Häufigkeit, mit der verschiedene Themen als ‘heikel’ bezeichnet werden, geradezu dramatisch zugenommen“, betont der Meinungsforscher.
1996 meinten 15 Prozent, es sei heikel, über Moslems oder den Islam zu sprechen, heute sind es 59 Prozent. Daß es problematisch sei, über Vaterlandsliebe und Patriotismus zu sprechen, glaubten vor 25 Jahren 16 Prozent, heute sind es mit 38 Prozent mehr als doppelt so viele. Eine noch deutlichere Entwicklung ist beim Thema Emanzipation und Gleichberechtigung der Frauen zu beobachten, hier stieg der Wert von drei auf 19 Prozent.
Mehrheit der Frauen und jungen Leute lehnt „Gendern“ ab
Eine deutliche Mehrheit von 71 Prozent lehnt zudem das „Gendern“ ab. 19 Prozent sagen, man solle in persönlichen Gesprächen neben der männlichen auch immer die weibliche Form benutzen. Auch bei jungen Leuten, Frauen und Grünen-Wählern gibt es mit je 65 Prozent eine klare Mehrheit gegen die angeblich geschlechtergerechte Sprache. Zu einem ähnlichen Ergebnis war vor kurzem auch eine Insa-Umfrage im Auftrag der JUNGEN FREIHEIT gekommen.
Eine Mehrzahl der Deutschen ist außerdem der Ansicht, es sei übertrieben, wenn eine hellhäutige Frau das Gedicht einer schwarzen Autorin nicht übersetzen dürfe, weil sie sich als Weiße nicht ausreichend in die Welt einer Dunkelhäutigen hineinversetzen könne. 95 Prozent sahen nicht ein, warum sich eine Politikerin offiziell entschuldigen müsse, weil sie in einer Rede gesagt hatte, daß sie als Kind Indianerhäuptling werden wollte.
Massenmedien in den Blick nehmen
Petersen forderte, man müsse bei diesen Betrachtungen die Rolle der Massenmedien mitberücksichtigen. Denn im persönlichen Umfeld komme man nicht in Verruf, wenn man ein Zigeunerschnitzel bestelle oder von Indianerhäuptlingen spreche. Ohne die großen Medien könne ein solcher öffentlicher Druck gegen die Mehrheitsmeinung nicht aufgebaut werden. „Es spricht einiges dafür, daß sich die intellektuellen Diskussionen um solche Themen – einschließlich der Diskussionen in maßgeblichen Massenmedien – teilweise von der Lebenswirklichkeit der Bürger entkoppelt haben.“
Dies berge Konfliktpotential: „Für die beteiligten Medien ist es problematisch, weil Zuspruch und Glaubwürdigkeit in Gefahr sind. Und auch die Bereitschaft der Bevölkerung, sich sprachlich gängeln zu lassen, ist nicht grenzenlos.“ Es sei deshalb bemerkenswert, wenn 55 Prozent der Befragten der Aussage beipflichteten: „Ich weigere mich mit Absicht, meine Ausdrucksweise anzupassen und mich politisch korrekt auszudrücken, weil es mich nervt, wenn andere versuchen, mir ihre Sprachregelungen aufzudrängen.“ (ls)