Am Montag öffneten die Schulen in zehn weiteren Bundesländern. In Niedersachsen und Sachsen gab es bereits zuvor wieder eingeschränkten Präsenzunterricht. Angesichts von Inzidenzwerten über 50 und der Sorge vor Virus-Mutanten debattiert die Politik heftig darüber, ob die Schulöffnungen vertretbar sind.
Schaut man auf die Schüler, die zum Teil seit November nicht mehr mit ihren Klassenkameraden gemeinsam unterrichtet wurden, werden die negativen Folgen, die sich draus ergeben, schnell deutlich. Gerade schwache Schüler litten unter der Trennung, berichtet ein Chemielehrer aus Bayern der JUNGEN FREIHEIT. Sie drohten, „in ein Loch zu fallen, da die Motivation durch Lehrer und Mitschüler fehlt“.
Ein Deutschlehrer aus Norddeutschland pflichtet ihm bei. In seinem Kollegium seien sie sich „einig, daß das Distanzlernen größtenteils lernunwirksam ist bei normalen und schlechten Schülern.“ Anders sehe es nur bei den leistungsstarken Schülern aus. „Die kommen aber mit fast allem klar.“
„Eltern sind am Rand ihrer Leistungsfähigkeit“
Neben dem Leistungsstand der Kinder spielt seiner Auffassung nach das Alter die entscheidende Rolle, ob im sogenannten Homeschooling Wissen vermittelt werden kann. „Wir verlangen von Fünftkläßlern und Sechstkläßlern Selbstorganisation, Disziplin und Planungsfähigkeiten, die manche Studienanfänger noch nicht haben. Damit sind sie völlig überfordert und der Lernzuwachs tendiert gegen null“, lautet sein ernüchterndes Fazit.
Auch die teils enormen Belastungen der Eltern kriegen die Pädagogen mit. „Es gibt Eltern, die am Rand ihrer Leistungsfähigkeit sind. Diese Eltern sehen, daß die Kinder nicht ohne einen schulähnlichen Rahmen funktionieren. Also organisieren sie für ihre Kinder neben dem ‘normalen’ Tag auch den Schultag, sind Nachhilfelehrerin oder Lehrer. Das belastet sehr und wenn die Kinder nicht mitspielen, dann steigt der Grad der Belastung.“ Das führe auch wachsendem Frust der Eltern gegenüber der Institution Schule.
Daneben beschäftigten Schüler und Eltern auch ganz praktische Fragen nach Monaten des Heimunterrichts, Videokonferenzen mit den Lehrern und ausgefallenen Stunden. So wird diskutiert, ob ein sogenanntes Corona-Wiederholungsjahr sinnvoll erscheint. Schon machte das Wort vom verlorenen Jahr die Runde.
Lehrer: Corona-Regeln bedeuten Mehrarbeit
Doch dabei werde vergessen, daß ein freiwilliges Wiederholungsjahr ohnehin jederzeit möglich ist, betont ein Erdkundelehrer aus Niedersachsen. Andererseits sei es gerade in den unteren Jahrgangsstufen möglich, „verpaßten Unterrichtsstoff über mehrere Jahre problemlos nachzuholen“, zeigt er sich im Gespräch überzeugt. Allerdings müßten dazu Lehrpläne „entschlackt“ werden.
Oftmals sehen sich Lehrkräfte dem Vorwurf ausgesetzt, zu den „Krisengewinnlern“ zu gehören, da sie weniger Arbeit hätten wegen der Schulschließungen bei vollem Gehalt. Demgegenüber erläutern die befragten Lehrer, wie sehr sich ihr Arbeitsumfang erhöht habe. Denn neben der Arbeit für die Videokonferenzen müßte nun alles, was zuvor im Präsenzunterricht mündlich möglich war, verschriftlicht und Hausarbeiten einzeln kontrolliert werden. Zudem sei man für Eltern und Schülern auch an den Wochenenden erreichbar.
Der bayerische Pädagoge formuliert es so: „Kein Arbeitnehmer würde sich auf einen Deal einlassen, 40 Stunden am Arbeitsplatz mit der halben Mannschaft vor Ort zu arbeiten und dasselbe zu Hause vom Computer aus nochmals zu tun.“
Hoffen auf die Normalität
Sein norddeutscher Kollege für Deutsch und Geschichte ist dankbar, daß „wir als Beamte unseren Sold ohne Kurzarbeitergeld oder betriebsbedingte Kündigungen bekommen“. Von Gewinnern der Corona-Krise zu sprechen, hält er jedoch für unpassend.
Der nun wieder anlaufende Präsenzunterricht mit all seinen zusätzlichen Regelungen scheint jedoch wieder ein Schritt hin zu einem geregelten Schulalltag. Das wünscht sich auch der Geographielehrer: „Wir sind alle froh, wenn die Normalität wieder einkehrt. Und das lieber heute als morgen.“