Was für ein Erfolg. Als die Bundesagentur für Arbeit (BA) im Oktober vergangenen Jahres unter dem Eindruck der immer stärker wachsenden Zahl von Asylbewerbern ein Kursprogramm aus dem Boden stampfte, um Flüchtlingen erste Deutschkenntnisse zu vermitteln, rechnete die Behörde mit 100.000 Teilnehmern und Kosten zwischen 54 und 121 Millionen Euro. Doch die Erwartungen wurden weit übertroffen.
Am Ende der Meldefrist für das Kursprogramm am 31. Dezember hatten die für die Kurse zuständigen Bildungsträger deutschlandweit 222.282 Teilnehmer aus den dafür vorgesehenen Ländern Syrien, Irak, Iran und Eritrea gemeldet. Doch nicht nur die Zahl der Asylbewerber, die sich auf diesem Weg erste Kenntnisse der deutschen Sprache aneignen wollten stieg, auch die Kosten schossen in die Höhe. „Die Gesamtkosten lassen sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht genau beziffern. Sie werden voraussichtlich zwischen 320 und 400 Millionen Euro liegen“, teilte die Nürnberger Bundesagentur Anfang Januar unter der Überschrift „Erfolgreiche Bilanz“ mit.
So gut wie keine Kontrolle
Doch nun gibt es in der Behörde offenbar Zweifel, ob die Bilanz am Ende tatsächlich so positiv ausfällt, wie es die Zahlen auf den ersten Blick nahelegen. Der Verdacht: Windige Anbieter könnten die eilig auf den Weg gebrachten Sprachkurse genutzt haben, um öffentliches Geld „abzugreifen“ – ohne dafür die erforderlichen Leistungen zu erbringen. Am Ende könnte es daher zwei Verlierer geben: die öffentliche Hand, die einen hohen Millionenbetrag leichtfertig in teilweise zwielichtigen Kanälen versickern läßt, und Flüchtlinge, die entgegen dem Plan am Ende gar kein Deutsch oder nur sehr wenig gelernt haben.
Nach Informationen der JUNGEN FREIHEIT hat die Bundesagentur für Arbeit mittlerweile eine interne Untersuchung eingeleitet, um zu prüfen, was aus den Kursen geworden ist – und wohin das ganze Geld eigentlich fließt. Dabei zeigt sich, daß mit der unbürokratischen Hilfe, mit der die Behörde die Übernahme des Sprachprogramms, für das unter normalen Umständen das durch die Asylkrise völlig überlastete Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) verantwortlich ist, begründet hatte, vor allem das Fehlen fast jedweder Kontrolle bei der Ausgabe der bereitgestellten Finanzmittel gemeint ist.
Eine effektive Überprüfung, ob und inwieweit die Mittel einer zweckentsprechenden Verwendung zugeführt werden, fehlt offenbar weitestgehend. Die Leistungen können praktisch von jedermann abgerufen werden, der einen solchen Einstiegskurs bis Ende Dezember bei den Agenturen für Arbeit angemeldet hatte. Als Nachweis dafür, daß der Sprachkurs tatsächlich stattgefunden hat, dient lediglich die Vorlage der Kopie einer sogenannten „BÜMA“, also der Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender, die in der Regel von den deutschen Polizei- und Ordnungsbehörden beim Erstkontakt ausgestellt wird.
Keine Vorgaben zum Alter der Teilnehmenden
Der Anbieter des Sprachkurses wiederum muß seine Leistungsfähigkeit lediglich durch eine Eigenerklärung nachweisen. Eine Zertifizierung oder Anerkennung als Sprachschule ist nicht erforderlich. Ob der Sprachunterricht schließlich von den Anbietern tatsächlich erteilt wird, bleibt weitestgehend unkontrolliert. Hier ergeben sich vielfach Zweifel, denn zum Teil handelt es sich um Unternehmen, die über gar keine entsprechenden Räumlichkeiten verfügen. Einige der Schulungsanbieter haben ihr Gewerbe erst vor wenigen Wochen nach Auflage dieses Sonderprogramms aufgenommen.
Auch einzelne Betreiber von privaten Flüchtlingsunterkünften stehen mittlerweile im Verdacht, neben der Unterbringung und Versorgung ebenfalls an der sprachlichen Integration über die Einstiegskurse mitzuverdienen. Denn für die Akquise von Asylbewerbern für die Kursangebote sind allein die Anbieter verantwortlich – und die finden sich in den Unterkünften zu Tausenden. Eine gesonderte Zuweisung durch die Arbeitsagentur oder andere Behörden ist nicht vorgesehen.
Ausschlaggebend ist ausschließlich, daß die von den Anbietern gemeldeten Kursteilnehmer über eine BÜMA verfügen: Aus diesem Grund stießen die Prüfer der Arbeitsagentur in den Meldelisten für die Deutschkurse, die Grundlage für die Auszahlung der Fördergelder sind, nicht nur auf hochbetagte Greise, sondern auch auf Säuglinge. Darüber dürfte sich die Arbeitsagentur allerdings nicht wundern. „Es gibt keine Vorgaben zum Alter der Teilnehmenden“, hatte die Behörde potentiellen Anbietern in einem im Internet abrufbaren Katalog von Antworten auf häufig gestellte Fragen mit auf den Weg gegeben.
Druck von Vorgesetzten
Die Angestellten und Beamten in den für die Auszahlung zuständigen operativen Serviceeinheiten der Bundesagentur werden nach JF-Informationen angehalten, über diese Umstände hinwegzusehen. Vereinzelt wird darüber geklagt, daß seitens der Vorgesetzten ein erheblicher Druck aufgebaut würde, wenn sich Agenturmitarbeiter wegen eines zu befürchtenden Amtshaftungsverfahrens weigern, die Auszahlung der beantragten Fördermittel anzuweisen.
An der Aussagekraft der von der Arbeitsagentur gemeldeten stattlichen Zahl von 222.282 Personen, die an den von ihr geförderten Einstiegskursen teilnehmen sollen, gibt es angesichts dieser Berichte begründete Zweifel. Experten befürchten mittlerweile, daß höchstens rund ein Drittel der gemeldeten Asylbewerber tatsächlich regelmäßig an diesen Schulungsangeboten teilnehmen. „Eine fortlaufende Prüfung der Teilnehmer durch die BA gibt es weder in diesen noch in anderen Kursen. Es ist Sache der Träger, die Anwesenheit der Teilnehmer festzuhalten“, heißt es dazu auf Anfrage der „JUNGEN FREIHEIT“.
Neben den Kursen, die möglicherweise von vornherein nie stattgefunden haben, ist die aktuelle Lebenssituation der meisten Asylsuchenden von Bedingungen geprägt, die eine kontinuierliche Teilnahme an den Kursen kaum zulassen. Insbesondere der Wechsel der jeweiligen Unterkunft führt häufig zu einem Abbruch des Sprachkurses.
Erstaunte Experten
Dieser Umstand ist es wohl auch, der nicht selten zu einer Doppelförderung von Asylsuchenden führt, denn die Arbeitsagenturen erfassen derzeit nach JF-Informationen nicht, für welche Personen bereits ein Einstiegskurs gefördert wurde. Verschiedene Anbieter könnten daher die volle Förderung im Umfang von 320 Unterrichtsstunden à jeweils 45 Minuten für nur einen Asylsuchenden erhalten.
Doch selbst bei den Asylbewerbern, die den bis zu drei Monate dauernden Kurs bis zum Ende absolvieren, stellt sich die Frage nach dem Nutzen. Denn neben den professionellen Bildungsträgern, scheinen sich auch einige Glücksritter auf die Deutschkurse gestürzt zu haben.
Denn unterrichten kann im Prinzip jeder. Vorgaben zu den Qualifikationen der Lehrkräfte für die Flüchtlingssprachkurse macht die Arbeitsagentur nicht: „Es liegt in der Verantwortung des Trägers, die geeigneten Lehrkräfte auszuwählen“, teilte die Behörde auf Anfrage mit. Und auch eine Zielvorgabe für das angestrebte Sprachniveau macht die Behörde nicht. Dementsprechend sind für die Kursteilnehmer auch keine Abschlußprüfungen oder Zertifikate vorgesehen. „Unsere Intention war, die Förderung der Kurse schnell und unbürokratisch zu ermöglichen. Bezüglich Durchführung und Methodik wurden keine Vorgaben gemacht“, lautete die Antwort aus Nürnberg.
Zugespitzt formuliert: Geld bekommt von den Veranstaltern, wer eine Teilnehmerliste einreicht. Egal ob der jeweilige Kurs überhaupt stattfindet – von der Qualität des Unterrichts einmal ganz abgesehen. „Grundlage für die Abrechnung ist die Zahl der Teilnehmenden zum jeweiligen Kursbeginn“, heißt es dazu denn auch von der Behörde. Das erstaunt Experten um so mehr, als sich im erwähnten Internetkatalog der Agentur eine aufschlußreiche Frage findet, die mutmaßlich von einem professionellen Bildungsträger, etwa einer Sprachschule, stammt.
Teurer Schnellschuß
„Aus unseren bisherigen Erfahrungen wissen wir, daß Ausländer ihnen unterbreitete Sprachkursangebote nur sehr unregelmäßig wahrnehmen. Eine große Anzahl kommt gar nicht oder selten zum Unterricht“, heißt es dort. Und weiter: „Auf welche Weise wollen Sie erreichen, daß die Asylsuchenden den Deutschunterricht regelmäßig besuchen? Hat die Arbeitsagentur erwogen, ein Anreiz- oder ein Sanktionssystem zu schaffen?“ Auch hier fällt die Antwort knapp aus: „Hierzu werden keine Vorgaben gemacht. Der Besuch des Sprachkurses ist freiwillig.“ Der Gesetzgeber habe keinerlei Verpflichtung zu der Teilnahme an den Sprachkursen vorgesehen. Die Fehlzeiten der Teilnehmer müßten nicht von den Kursanbietern dokumentiert werden.
Noch liegt der abschließende interne Bericht der Bundesagentur über die Sprachkurse nicht vor. Doch aufgrund der vorliegenden Informationen deutet bereits jetzt vieles darauf hin, daß sich das Sonderprogramm als voreiliger, wenig durchdachter und vor allem sehr teurer Schnellschuß auf Kosten der Steuerzahler erweisen könnte. Aus den Reihen der Arbeitsagentur heißt es dazu resignierend: Seit der unmittelbaren Nachwendezeit in den frühen neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts dürfte es nicht mehr so einfach gewesen sein, an Gelder aus öffentlichen Fördertöpfen zu gelangen.
JF 5/16
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