Herr Professor Patzelt, mit welchem Ergebnis rechnen Sie für die Landtagswahl in Baden-Württemberg?
Patzelt: Die Union wird zwar stärkste Partei werden, aber große Verluste erleiden. Für Schwarz-Gelb wird es wohl nicht mehr reichen. Die Bürger wollen die CDU nicht länger in der Regierungsverantwortung und werden sie deshalb abwählen. Der Wahltag wird also auf einen Regierungswechsel hinlaufen.
Was ist Ihrer Ansicht nach im Wahlkampf falsch gelaufen?
Patzelt: Die CDU geht immer noch davon aus, daß ihr die Wählerstimmen wie von selbst zufallen, wenn sie in Wahlkampfzeiten nur kräftig genug nach links austeilt. Dabei übersieht sie, daß einiges, was sie als links brandmarkt, durchaus dem entspricht, was den eigenen Wählern einleuchtet. Die Grünen beispielsweise vertreten mittlerweile auch Positionen, die dem bürgerlichen Lager entsprechen.
Wenn es für Schwarz-Gelb nicht reicht, was raten Sie dann der CDU? Eine Koalition mit den Grünen, mit der SPD oder den Gang in die Opposition?
Patzelt: Es wird keine Siegerpartei mit der Union koalieren wollen. Ihr wird also nichts anderes übrigbleiben, als mit Anstand in die Opposition zu gehen. Dort sollte sie die Gelegenheit nutzen, gründlich darüber nachzudenken, was die Ursachen ihrer Niederlage sind.
„Mappus verkörpert intellektuelle Entleerung seiner Partei“
Nämlich?
Patzelt: Bei einer Fehleranalyse muß die Situation sowohl in Baden-Württemberg als auch auf Bundesebene betrachtet werden. In Baden-Württemberg verkörpert Stefan Mappus die substantielle intellektuelle Entleerung seiner Partei. Er gehört zu der Sorte von Führungskräften, die außer Politik nichts gelernt haben. Es reicht aber nicht, ein dünnes Konservativismus-Papier mitzuverfassen, wenn da nicht mehr an stimmigen Überzeugungen ist. Entsprechend steht es um seine politische Anziehungskraft und Glaubwürdigkeit. Beispielhaft ist doch sein Umschwung in der Atompolitik: Jeder erkennt, daß dafür allein wahltaktische Gründe verantwortlich waren.
Mappus – und freilich nicht er allein – steht für eine CDU, die nicht nur intellektuell unattraktiv, sondern darauf auch noch stolz ist. Im Übrigen sollte die Union in Baden-Württemberg zur Einsicht gelangen, daß es nicht gut ist, auf Königsmörder zu setzen. Erst stürzte Günther Oettinger Erwin Teufel, um dann selbst von Mappus abgesägt zu werden – mit immer weiter sinkendem Vertrauen in die Partei und ihre Führer, die seit Lothar Späth ja nicht besser geworden sind. Ein solches Verhalten führt über kurz oder lang in die Opposition.
Und was läuft auf Bundesebene falsch?
Patzelt: Da sieht es ähnlich aus: Die Union hat ein massives Glaubwürdigkeitsproblem. Sie hat einfach kein gesamtpolitisches Konzept, das Anhänger von der linken Mitte bis zum rechten Flügel integriert. Hinzu kommt das schlechte Gesamtbild, das die Bundesregierung bietet. Da war die nicht vermittelbare Steuersenkung für Hoteliers, dann ein halbes Jahr Stillstand wegen der Wahl in Nordrhein-Westfalen.
Es folgte die durchgeboxte Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke, wodurch die CDU schwarz-grüne Koalitionsmöglichkeiten verscherzt und sich an die FDP gebunden hat. Dann kam die Abschaffung der Wehrpflicht ohne ausreichendes Konzept. Anschließend bekennt die Kanzlerin in der Plagiatsaffäre ihres Verteidigungsministers, daß man Werte wie Ehrlichkeit als Regierungsmitglied nicht braucht. Zu guter Letzt noch die 180-Grad-Kehrtwende in der Atompolitik nach der Katastrophe in Japan. Und zwischendrin Europapolitik unter Mißachtung des Bundestages.
Innerparteiliches Erdbeben
Welche Konsequenzen hätte eine Niederlage in Baden-Württemberg für die Bundes-CDU?
Patzelt: Es wird eine breite innerparteiliche Diskussion geben, wofür die CDU überhaupt steht, was sie aufrechterhalten will, und was ihr Wertefundament ist. In dieser Diskussion wird sich auch zeigen, wer in der Partei das Zeug hat, glaubhaft für einen erkennbaren Markenkern der CDU zu stehen und entsprechende Verantwortung zu übernehmen. Als vor etwa einem Jahr einige Führungsleute öffentlichkeitswirksam beklagten, der konservative Flügel werde nicht mehr ausreichend repräsentiert, war das nur ein Vorgeschmack auf das, was die CDU nach der Wahlniederlage in Baden-Württemberg erwartet.
Wäre Angela Merkels Vorsitz dadurch gefährdet?
Patzelt: Bei einer Niederlage in Baden-Württemberg wird Merkels Parteivorsitz schwanken, und damit wackelt auch ihr Kanzlerstuhl. Doch sie wird nach einem parteiinternen Erdbeben wohl weiterregieren, weil es in der Partei an Alternativen mangelt. Fähige Köpfe wie Roland Koch wurden nicht gehalten oder wie Friedrich Merz weggebissen. Statt dessen setzte Merkel auf Blender wie zu Guttenberg.
Wer könnte denn Ihrer Meinung nach Angela Merkel beerben?
Patzelt: Sollte es zum Aufstand gegen die Parteivorsitzende und Kanzlerin kommen, muß ihr Nachfolger eine Person sein, die den Bruch mit dem „System Merkel“ verkörpert. Dies wäre beispielsweise bei Ursula von der Leyen nicht der Fall. Auch Norbert Röttgen könnte sich wohl nicht durchsetzten, denn er steht für einen Kurswechsel in der Atompolitik, der in der Partei noch nicht mehrheitsfähig ist. Das Zeug zum Erben hätte gewiß Thomas de Maizière, der sich als politische Allzweckwaffe entpuppt hat. Doch will er reüssieren, darf er nicht zulange auf dem Schleudersitz des Verteidigungsministers bleiben.
Aber gehört nicht auch er zum „System Merkel“?
Patzelt: Er war schon vor Merkel und ohne Merkel ein erfolgreicher Politiker – und kann es auch nach ihr sein.
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Prof. Dr. Werner Patzelt, Politikwissenschaftler an der TU Dresden. 1953 in Passau geboren, war er nach der Wende Gründungsprofessor des Instituts für Politikwissenschaft an der TU Dresden und hat dort seit 1992 den Lehrstuhl für Politische Systeme und Systemvergleich inne. 1994 erhielt er den Wissenschaftspreis des Deutschen Bundestags für seine Arbeit „Abgeordnete und Repräsentation. Amtsverständnis und Wahlkreisarbeit“.