BERLIN. Der frühere SPD-Politiker und Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit, Wolfgang Clement, hat das Ausschlußverfahren seiner ehemaligen Partei gegen Thilo Sarrazin scharf kritisiert.
Es sei erschreckend, daß der Vorstand der SPD einstimmig die Einleitung eines Parteiordnungsverfahrens gegen Sarrazin beschlossen habe, bevor vermutlich auch nur ein Vorstandsmitglied dessen Buch überhaupt gelesen habe, sagte Clement dem Internetportal Legal Tribune Online.
Die Entscheidung sei offensichtlich allein aufgrund der öffentlichen Diskussion und der Lektüre von ein oder zwei Interview-Sätzen gefallen. Mit Sarrazin hätte dagegen wohl niemand gesprochen. „Ein solcher Umgang mit einem Mitglied ist einer Partei, die sich ihres Ranges und ihrer Verantwortung bewußt ist, unwürdig“, kritisierte Clement.
„SPD sollte sich Sarrazins Vorschläge aneignen“
Eine Partei, die sich dermaßen der eingeübten Empörungskultur hingebe, werde zudem blind und taub für die Probleme in der Migrationspolitik. „Eine solche Partei wird dann auch nicht verstehen, wie tiefgreifend die Veränderungen sein müssen, die nötig sind, um die gesellschaftliche Desintegration in unserem Land aufzuhalten“, warnte der frühere Bundesminister.
Sarrazins Vorschläge seien sehr konkret und gingen in die Richtung einer neuen Einwanderungs- und Integrationspolitik, die vor allem auf Bildung und Qualifikation statt auf soziale Reparaturmaßnahmen setze. Die SPD wäre daher gut beraten, sich dessen Vorschläge anzueignen, statt deren Autor zu diskreditieren, riet Clemens seiner ehemaligen Partei.
Unterstützung erhielt Sarrazin zudem vom früheren Bundesminister und Ersten Bürgermeister von Hamburg, Klaus von Dohnanyi (SPD). Das Verhalten seiner Partei sei „völlig unentschuldbar“, sagte Dohnanyi dem Deutschlandfunk. Sarrazin sei weder Rassist noch Ausländerfeind und habe auch nichts geschrieben, was seinen Ausschluß rechtfertigen würde.
„Keine Feigheit mehr vor Worten wie Rasse, Juden, Muslime“
Bereits zuvor hatte von Dohnanyi in einem Beitrag für die Süddeutsche Zeitung geschrieben, der öffentliche Reflex erinnere ihn an die beschämende Behandlung von Martin Walser nach dessen Rede in der Frankfurter Paulskirche 1998. Was Sarrazin bezüglich der Zuwanderungspolitik fordere, sei in anderen Ländern längst Praxis. Nur hierzulande gelte dies immer gleich als rassistisch. „Im Schatten unserer Geschichte und eines oft allzu einseitigen Bildes unserer selbst scheuen wir uns vor Debatten und Worten, die bei anderen Völkern gang und gäbe sind“, schrieb der SPD-Politiker.
So aber könne eine Gesellschaft den Herausforderungen der Gegenwart kaum begegnen. „Also bitte keine Feigheit mehr vor Worten wie Rasse, Juden, Muslime“, forderte Dohnanyi. Es gebe sie und man dürfe über sie nachdenken und sie benutzen. Man dürfe nur nicht „gedankenfeige“ sein.
Ungeachtet der Mahnungen von Clement und Dohnanyi beschloß der Landesvorstand der Berliner SPD am Montag, ebenfalls ein Parteiordnungsverfahren gegen Sarrazin einzuleiten. Mit seinen wiederholten Äußerungen habe der frühere Berliner Finanzsenator gegen die Grundsätze und Ordnung der Partei verstoßen, hieß es in einer Mitteilung des Landesverbands. (krk)