BERLIN. Gut eine Woche vor der Bundstagswahl ist die Piratenjagd eröffnet. Die Wortmeldungen des stellvertretenden Parteivorsitzenden der Piratenpartei, Andreas Popp, und des Piraten-Chefs Jens Seipenbusch in der JUNGEN FREIHEIT waren für die linken Medien von der taz über Spiegel Online bis zur jungen welt das Signal zum Angriff.
Die Piratenpartei, die einen kometenhaften Aufstieg hinter sich hat und sich in kürzester Zeit zum Liebling der Medien gemausert hat, bekommt nun zum ersten Mal Gegenwind zu spüren.
Denn die Piraten gehen in Gewässern auf Beute, die von der politischen Linken, allen voran den Grünen, beansprucht werden. Wenn es um die Verteidigung der Freiheit der Bürger gegen den Zugriff des Staates geht, duldet die selbsternannte Bürgerrechtspartei keine Konkurrenz.
Vor allem nicht, wenn sich diese wie die Piratenpartei eher unpolitisch gibt und in der Öffentlichkeit als jugendliche Partei wahrgenommen wird. Die Piratenpartei ist für die Jugend heute das, was die Grünen einst waren und immer noch gerne sein würden: Sie ist unverbraucht, alternativ, frech. Sie ist cool. Sie ist die Bionade der Parteienlandschaft.
Gefahr für die Grünen
Wer vom politisch interessierten Nachwuchs heute etwa für die Freiheit im Internet kämpft, macht dies unter dem Segel der Piratenpartei und nicht unter der Sonnenblume der Grünen. Das macht die Partei für die Grünen so gefährlich.
Mit dem Auftauchen der Piratenpartei ist der in die Jahre gekommenen Grünenführung um Renate Künast und Jürgen Trittin schmerzlich bewußt geworden, daß sie längst nicht mehr alle rebellischen Jugendströmungen integrieren kann. Lange Zeit war gerade das ein Markenzeichen der berufsjugendlichen Partei. Nun sehen sie sich mit einer dynamischen und schnell wachsenden Bewegung konfrontiert, die sich respektlos einiger ihrer ureigensten Themen annimmt. Ohne ideologischen Ballast mit sich herumzuschleppen, ohne sich in erster Linie als linke Partei zu verstehen.
Spätestens seitdem die Piraten bei der Europawahl (0,9 Prozent) und der Landtagswahl in Sachsen (1,9 Prozent) erste Duftmarken setzten, haben die Grünen die Gefahr erkannt. Am Ende könnten die ein, zwei oder gar drei Prozent, die Beobachter der Piratenpartei bei der Bundestagswahl zutrauen, den Grünen fehlen und damit alle Aussichten auf eine Machtbeteiligung verbauen.
Es ist vor diesem Hintergrund kein Wunder, daß die Spuren der Angriffe auf die Piratenpartei ins grüne Milieu führen. Den Auftakt zur heißen Phase der Piratenjagd gab Julia Seeliger in der taz.
Material über die Piratenpartei gesammelt
Die ehemalige Grünen-Politikerin arbeitet seit kurzem für die Online-Redaktion des Blattes. Vor ihrer Karriere als Journalistin machte sich die 30jährige als „frauen- und geschlechterpolitische Sprecherin“ der Grünen einen Namen und gehörte zeitweise auch dem Berliner Landesvorstand der Partei an. Zudem genoß Seeliger den Ruf als Grüne „Web 2.0-Pionierin“. Unter anderem gestaltete sie auch den Blog des Spitzenkandidaten der Grünen bei der Europawahl, Reinhard Bütikofer.
In ihrem eigenen Blog sammelte Seeliger bereist seit Anfang September Informationen über die Piratenpartei – angeblich für einen Artikel über die Piraten im Wahlblog der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung. Unter anderem wollte sie wissen, was es für „interessante Aktionen“ der Piratenpartei gab und ob diese überhaupt als „linksliberal“ zu verstehen sei.
Seeligers Manöver gegen die Piraten in der taz vom Dienstag stieß jedoch nicht nur auf Zustimmung. 280 Leserkommentare erntete sie für ihren Artikel bis zum Freitag – der Großteil davon fiel kritisch aus. Ein „klassischer Systemschreiblerlingsbeitrag“ schimpfte ein Leser. „Der 68mief krallt sich an seine Sessel, sobald mal ein ‘frischer’ Wind durchs Fenster kommt“.
Ein anderer warf Seeliger „billigen Kampagnenjournalismus“ vor. Ihr gehe es nicht um eine differenzierte Betrachtung, sondern lediglich um die Bekämpfung politischer Feinde. Wieder andere wunderten sich über die Methoden, „wie hier Grüne versuchen, die ungeliebte Konkurrenz in die rechte Ecke“ zu drängen. Offenbar habe man argumentativ nichts mehr zu bieten.
Auch die SPD fürchtet um Wähler
Argumentativ etwas zu bieten hatte allerdings auch Ole Reissmann nicht, der am Freitag auf Spiegel Online noch einmal gegen die Piratenpartei nachlegte. „Mangel an Einsicht“ warf er ihr vor, weil sich die Partei seiner Ansicht nach nicht deutlich genug von Popps Interview und Seipenbuschs Fragebogen distanziert hatte. Reissmann selbst war bereits ebenfalls als Autor für die taz tätig. Unter anderem schrieb er dort über den Chaos Computer Club.
Aber nicht nur die Grünen scheinen sich ernsthaft Sorgen zu machen, Wähler an die Piratenpartei zu verlieren. Auch die SPD könnte vor allem unter den Jungwählern etliche Stimmen einbüßen. Da dürfte den Sozialdemokraten die Kampagne anläßlich des JF-Interviews ganz gelegen gekommen sein. Gabriele Nandlinger ließ es sich daher auch nicht nehmen, im SPD-eigenen Antifa-Dienst Blick nach rechts, sowie auf der Internetseite des SPD-Organs Vorwärts kräftig gegen die Piratenpartei auszuteilen. Allerdings kritisierte auch sie weniger die Aussagen Popps, sondern vielmehr den Umstand, daß er der JF überhaupt ein Interview gegeben hatte. (ms/krk)