Wer ist Oleksandr Syrskyj? Erstmals hat die Ukraine nun die Zahl ihrer Gefallenen benannt: 31.000 Soldaten sollen, so Präsident Selenskyj, seit dem 24. Februar 2022 ihr Leben gelassen haben. Doch ist, wie die Kriegsgeschichte lehrt, diese meist geschönt. Die USA schätzten die Verluste Kiews bereits im Sommer auf 70.000 Mann, sowie ein Vielfaches an Verkrüppelten, Traumatisierten und Vermißten.
Diese Zahlen könnten bald drastisch steigen, nicht nur wegen des seit dem Fall von Awdijiwka Mitte Februar befürchteten russischen Durchbruchs der ukrainischen Front: Manche Kiewer Kämpfer ängstigt ihr neuer Armeechef fast so sehr wie der Feind: „Er wird uns alle umbringen“, zitiert das Magazin Politico einen von ihnen. Gemeint ist Oleksandr Syrskyj, der den Spitznamen „Schlächter“ nicht dem Gegner, sondern Teilen der eigenen Truppe verdankt.
Kritiker werfen Syrskyj vor, in Bachmut sinnlos Soldaten geopfert zu haben.
Denn deren Gefallenenzahl stieg schon einmal rasant, als sich die Schlacht um Bachmut 2022/3 zur „Hölle von Bachmut“ (angelehnt an die „Hölle von Verdun“ 1916) entwickelte, auch der „Fleischwolf“ genannt. In den, obwohl die USA rieten, den völlig vernichteten Ort bei Donezk aufzugeben, General Syrskyj immer neue Männer stopfte.
Ausgebildet wurde der 1965 in Zentralrußland geborene neue Chef der ukrainischen Streitkräfte noch in der Sowjetarmee, was manchem eine Erklärung für dessen rücksichtslosen Einsatz der eigenen Soldaten ist. Syrskyjs Ernennung gilt als Zeichen, denn er ersetzt den bei Volk und Armee populären Walerij Saluschnyj, der im Ruf steht, seine Männer geschont und sehr überlegt gehandelt zu haben. Eine Haltung, die diesen immer wieder in Konflikt mit Selenskyj brachte, mit dem er schon seit Ende 2022 wegen der Schlacht um Bachmut massive Meinungsunterschiede gehabt haben soll. Während Saluschnyj das verlustreiche Festhalten an der Stadt verurteilte und lieber das Momentum der Siege von Cherson und Charkiw nutzen wollte, erklärte der Präsident Bachmut zum Symbol des ukrainischen Widerstands, das um jeden Preis zu halten sei.
Kritiker werfen ihm und Syrskyj nicht nur vor, in Bachmut sinnlos Soldaten geopfert zu haben, sondern auch gutausgebildete Truppen, während die Russen, auch wenn ihre Verluste ein Vielfaches betrugen, vor allem militärisch minderwertige Einheiten verloren. Doch kann Syrskyj auch Erfolge vorweisen, er hat an der Rettung Kiews und dem großen Sieg in Charkiw maßgeblich Anteil.
In Syrskyj sieht Selenskyj den Mann, der seiner Parole Krieg bis zum Sieg folgt.
So fiel die Wahl auf ihn, nachdem Saluschnyj, der die voraussichtliche Undurchführbarkeit erkannte, die groß angekündigte ukrainische Sommeroffensive 2023 nur widerwillig vorantrieb und, als sie deutlich hinter den Erwartungen Kiews zurückblieb, wagte, öffentlich von einem „Patt“ zu sprechen. In Syrskyj sieht der Präsident den Mann, der der Parole Krieg bis zum Sieg folgt, statt zu versuchen, eigenmächtig die politischen Ziele des Landes entlang der militärischen Lage neu auszurichten. Und auch für seine Neigung, sich in Militärisches bis hinab auf die taktische Ebene einzumischen, erhofft sich Selenskyj wohl mehr Akzeptanz.
Ob er mit all dem bei Syrskyj richtigliegt, muß sich zeigen. Der ist dem Ruf nur widerwillig gefolgt, da er weiß, der Präsident erwartet eine Wiederholung seiner Erfolge, um den Westen und das Volk zu überzeugen, ein Sieg sei möglich. Aber auch Oleksandr Syrskyj kann die dazu nötigen Waffen und Divisionen nicht aus dem Ärmel zaubern.