„Du hast mein Vertrauen mißbraucht, auf menschlicher Ebene und auf der des ganzen Landes.“ Luigi Di Maio (Fünf-Sterne-Bewegung) macht aus seinem Herzen keine Mördergrube. Das letzte Telefongespräch mit seinem Ex-Kollegen Matteo Salvini (Lega) liest sich wie ein Ehestreit. Salvini macht klar, daß die Zusammenarbeit zu Ende ist.
Seine Lega könnte bei einer Neuwahl ihre Sitze im Parlament verdoppeln. Di Maios Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) droht dagegen die Hälfte ihrer Mandate zu verlieren. Es ist die Machtprobe zwischen beiden Vizepremiers der sovranistisch-populistischen Regierung. Und Di Maio droht: dafür wird er in der Geschichte bezahlen. Das Gespräch findet am 7. August statt.
Zwei Wochen später sieht es so aus, als holte Salvini die Geschichte ein. Die Lega will einen Mißtrauensantrag gegen Premierminister Giuseppe Conte (parteilos) ins Parlament bringen und so die eigene Regierung stürzen. Aber die italienischen Politiker wären nicht die Erben Machiavellis, hätte es im Hintergrund nicht schon Absprachen, Gemauschel und Versprechen gegeben.
Der sozialdemokratische Partito Democratico (PD), der jahrelang das politische Geschehen auf der Halbinsel dominierte, wittert die Gelegenheit, wieder an die Macht zu kommen – ausgerechnet mit dem alten Erzfeind: den Fünf-Sternen. Die gelbgrüne Koalition aus Fünf-Sterne und Lega hatte auch deswegen gehalten, weil sich die Volkstribune als Gegenantwort auf die „Kaste“ sahen.
Mißtrauensantrag gegen Innenminister Salvini?
Alles dummes Geschwätz von gestern: Ex-Premier Matteo Renzi (PD) riskiert sogar die Spaltung seiner eigenen Partei, um den PD wieder in die Regierung zu führen. Zusammen mit dem M5S will er eine stabile Regierung bilden – ohne Neuwahlen. Damit rückt ein Mißtrauensantrag gegen Innenminister Salvini in greifbare Nähe. Ähnlich wie in der Weimarer Republik sind solche Anträge im italienischen Parlament möglich. Der Lega-Chef wird vom Jäger zum Gejagten.
Am Dienstag dann die lang erwartete Rede des Premiers vor dem Parlament. Contes ambitionierter Spagat: Die erfolgreiche Regierungsarbeit hervorheben und zugleich einen Koalitionspartner abwatschen, der dieser Legislatur seinen Stempel aufgedrückt hatte. Ohne die damit gemeinte Lega kein Sicherheitsdekret, keine geschlossenen Häfen, kein Recht auf legitime Selbstverteidigung.
Conte schießt sich daher vor allem auf den Innenminister ein: dieser habe gezielt nach „Vorwänden“ für eine Auflösung der Regierung gesucht, sich „unverantwortlich“ gezeigt, den parlamentarischen Diskurs umgangen, religiöse Symbole für politische Meinung mißbraucht und damit den Laizismus des italienischen States beschädigt.
Salvini habe eine Krise vom Zaun gebrochen, nur aufgrund „persönlicher und parteilicher Interessen“. Conte kritisierte zudem mit aller Schärfe den EU-Kurs der Lega. Zuletzt verkündete der Premier das Ende dieser Regierung und seinen Rücktritt.
„Ich habe die Häfen geschlossen und ich werde es wieder tun“
Salvini verteidigte dagegen seinen Kurs. Er habe ständig den Diskurs gesucht, sei aber in seinen Vorhaben immer wieder blockiert worden: zuletzt beim TAV, dem geplanten Schnellzug zwischen Lyon und Turin, ein europäisches Projekt, das von den Fünf-Sternen verhindert wird. Er warf ihnen und Conte vor, sich mit Angela Merkel und der EU abgesprochen zu haben, um seine Politik der geschlossenen Häfen zu unterminieren.
„Ich habe die Häfen geschlossen. Und ich werde es wieder tun, wenn mir der gute Gott und die Italiener die Kraft dazu geben“, spielte der „Capitano“ auf den möglichen Amtsverlust und eine zukünftige Rückkehr als Premier an. Salvini warf den Abgeordneten der Fünf-Sterne vor, an ihren Sesseln zu kleben, statt die Italiener entscheiden zu lassen – und bot zuletzt an, das Parlament auf die Hälfte seiner Mitglieder für den nächsten Wahlgang zu halbieren.
Das Angebot ist eine alte Forderung der Fünf Sterne. Daß die Lega zusätzlich den Mißtrauensantrag gegen Conte zurückzog, dürfte als weiterer Akt einer möglichen Verständigung mit Di Maio verstanden werden. Denn nach Contes Rückzug liegt der Ball bei Staatspräsident Sergio Mattarella.
Diese drei Szenarien zeichnen sich ab
Drei Szenarien zeichnen sich ab. Die erste: Mattarella beauftragt einen neuen Regierungschef, der eine mögliche Koalition aus Fünf-Sterne und PD schmieden kann. Die zweite: Mattarella beauftragt eine technokratische Übergangsregierung. Die dritte: Neuwahlen. In den ersten beiden Szenarien wäre Salvini sein Amt als Innenminister los.
Die Angst vor einer überstarken Lega treibt die Verantwortlichen zu einer der ersten beiden Lösungen. Ex-Kommissionspräsident Romano Prodi brachte gar eine „Koalition Ursula“ ins Spiel, welche die Parteien umfaßt, die auf EU-Ebene für die neue Kommissionschefin stimmten: neben PD und den Fünf-Sternen wäre das auch Silvio Berlusconis Forza Italia. Das Politikspiel in Rom ist damit vor allem ein Anti-Salvini-Spiel.
Fraglich bleibt, ob die kurzfristige Entmachtung eines Innenministers Salvini langfristig kein Risiko darstellt: das Bündnis mit der verhaßten alten Kaste entzaubert die Fünf-Sterne als Anti-Establishment-Partei, der PD hat als Regierungspartei keine Chance, seine Wunden in der Opposition zu lecken.
Und: eine Fünf-Sterne-PD-Koalition ist keine Garantie für größere Stabilität. Beim Thema TAV, das zum Bruch der aktuellen Koalition führte, vertreten die Sozialdemokraten eine ähnliche Linie wie Salvini. Eine gelbrote Koalition könnte demnach sogar früher scheitern als eine gelbgrüne.