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Konservative in den USA: Ideologischer Bürgerkrieg – Teil I

Konservative in den USA: Ideologischer Bürgerkrieg – Teil I

Konservative in den USA: Ideologischer Bürgerkrieg – Teil I

Nick Fuentes
Nick Fuentes
Charlie Kirk (l.), NIck Fuentes (M.), Ben Shapiro (r.), im Hintergrund die „Groyper-Armee“ Foto: picture alliance / newscom; picture alliance/ZUMA Press; Twitter
Konservative in den USA
 

Ideologischer Bürgerkrieg – Teil I

In den USA ist im konservativen Lager eine Art ideologischer Bürgerkrieg ausgebrochen. Der Streit zwischen dem konservativen Establishment einerseits – häufig auch als „Conservative Inc.“ bezeichnet – und einer jungen aufstrebenden Rechten andererseits – auch als „Dissident Right“ bekannt – nimmt seit Wochen an Fahrt auf. Wer sind diese jungen Rechten? Was wollen sie? Und woher stammen ihre Ideen?
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Während der politische Mainstream in den USA seinen Blick auf das Amtsenthebungsverfahren gegen Donald Trump gerichtet hat, geschieht aus konservativer Perspektive an ganz anderer Stelle Erstaunliches: Im rechten Lager ist eine Art ideologischer Bürgerkrieg ausgebrochen. Der Streit zwischen dem konservativen Establishment einerseits – häufig auch als „Conservative Inc.“ bezeichnet – und einer jungen aufstrebenden Rechten andererseits – auch als „Dissident Right“ bekannt – nimmt seit Wochen an Fahrt auf. Wer sind diese jungen Rechten? Was wollen sie überhaupt? Und woher stammen ihre Ideen?

Das Wirken der „Dissident Right“ zu verstehen ist zunächst nicht ganz einfach. Der Großteil von ihnen gehört der Generation Z an, geboren in den späten 90er Jahren. Als sogenannte Zoomer sind sie in einer volldigitalisierten Umgebung aufgewachsen, ihr natürliches Habitat ist das Internet. Hier nutzen sie alle Wege und Mittel, um ihre Agenda durchzudrücken, stürzen sich auf Twitter wie Hyänen auf ihnen unliebsame Posts, verklausulieren ihre eigenen Äußerungen hinter Sarkasmus und Ironie, provozieren mit unzähligen Memes und nutzen für Ältere gänzlich unverständliche sprachliche Codes und Insiderwitze.

Klappern gehört zum Handwerk

„Zurück zu den Wurzeln“ könnte die Überschrift lauten, mit dem die Netzgemeinde nun gegen das konservative Establishment rebelliert. Der Vorwurf: Nach einem weitestgehend populistischen Wahlkampf 2016 – „Amerikanismus nicht Globalismus“, versprach Donald Trump damals – falle die republikanische Partei und ihr Umfeld nach und nach in alte, neo-konservative Muster zurück.

Einer der führenden Köpfe der „Dissident Right“ ist Nicholas J. Fuentes, im August 21 Jahre alt geworden. Der hagere junge Mann wirkt eloquent, ist belesen, streng katholisch und führt mit tiefschwarzem Humor durch seine Youtube-Sendung „America First“. Er teilt gerne aus, sprachliche Grenzen gibt es kaum. Klappern gehört für ihn zum Handwerk. Um ihn herum hat er eine treue Fangemeinde versammelt, die sich selbst nur die „Nicker Nation“ nennt.

 

Nick Fuentes Foto: Screenshot Youtube

 

Am Ende des Tages geht es Fuentes um eine aufrichtige Überprüfung von „Conservative Inc.“: „Sind diese Leute überhaupt konservativ? Und wenn ja, was konservieren sie überhaupt?“, fragt er in seiner Show. „Warum beanspruchen sie die Führung auf konservativer Seite, wenn sie Dinge wie Freihandel, weltweite Interventionskriege, die gleichgeschlechtliche Ehe oder milliardenschwere Entwicklungshilfe für Israel befürworten? Das ist nicht patriotisch, christlich oder sonst irgendwas.“ Die Klickzahlen des 21jährigen gehen derzeit durch die Decke. Während die Abonnentenzahl seines Kanals vor zwei Wochen noch bei rund 40.000 lag, sind es mittlerweile knapp 65.000. Und das hat Gründe:

Charlie Kirk etabliert konservative Studentenorganisation

Der derzeitige Hauptfeind der „Nicker Nation“ ist Charlie Kirk. Dieser hatte 2012 mit gerade einmal 18 Jahren die konservative Organisation Turning Point USA (TPUSA) gegründet, die laut eigenen Angaben vor allem junge Studenten erreichen will, „um sie über steuerliche Verantwortung, freie Märkte und eine beschränkte Regierungsgewalt aufzuklären“. Sie gilt als eine Art Vorfeldorganisation für die Republikanische Partei.

Unterstützt wurde er dabei von einflußreichen Spendern, etwa dem millionenschweren Geschäftsmann Foster Friess oder den Waffenlobbyisten der National Rifle Association. Kirks Vater arbeitete lange Zeit für Donald Trump und ist im republikanischen Milieu bestens vernetzt. Mittlerweile ist der TPUSA-Chef 26 Jahre alt, seine Organisation hat an rund 1.000 Universitäten eigene Ableger und expandiert sogar ins Vereinigte Königreich.

Charlie Kirk auf einer „Culture War“-Veranstaltung Foto: Screenshot Youtube

 

Stein des Anstoßes ist Kirks Aussage, die USA seien lediglich ein „Platzhalter für zeitlose Ideen“ – gemeint ist vor allem die Verfassung der USA, die für Kirk einen beinahe sakralen Charakter hat. „Ich liebe die Rocky Mountains, ich liebe Boston, ich liebe Chicago. Aber wenn all das verschwinden würde, und alles was übrigbliebe, wären Ideen und wir wären auf einer einsamen Insel, dann ist eben das Amerika“, verkündete der TPUSA-Gründer. „Das amerikanische Volk und die Nation bedeuten ihm gar nichts“, regt sich Fuentes auf.

Um auf den Verlust der freien Meinungsäußerung in den USA aufmerksam zu machen, veranstaltet Kirk sogenannte „Culture War“-Events an den Universitäten des Landes. Mit verschiedenen Gästen diskutiert er auf dem Podium den aktuellen Geisteszustand an den Hochschulen, warnt vor dem Einfluß radikaler Linker und beklagt die Bedrohung der freien Meinungsäußerung. Anschließend lädt er das Publikum stets dazu ein, in sogenannten Q&A’s (Questions & Answers) Fragen zu stellen. Auch andere populäre Konservative richten solche Veranstaltungen aus. Unter ihnen sind bekannte Namen wie der Autor und politische Kommentator Ben Shapiro, der Comedian Steven Crowder oder der republikanische Kongreßabgeordnete Dan Crenshaw.

Die jungen Rechten wollen wissen: Was an euch ist konservativ?

Kirk betont gerne, wie sehr die Linke die Vorstellung hasse, daß es da draußen auch andere Ideenwelten gebe. Crowder hat daraus ein populäres Sendeformat unter dem Motto „Change my mind“ gemacht. Auch Shapiro sieht sich als rationalen Denker, der Linken erklärt: „Tatsachen interessieren sich nicht für deine Gefühle.“ Was also alle vereint, ist ihr Standpunkt: Wir, die Konservativen, fordern das freie Wort ein, während ihr, die dogmatischen Linken auf der anderen Seite, unterschiedliche Meinungen nicht tolerieren könnt.

Manchmal aber kann die größte Waffe zugleich die größte Schwäche sein. Denn genau auf diesem Territorium greifen nun die jungen Rechten an, um die genannten Personen bloßzustellen. In internen Telegram-Gruppen und in der „America First“-Show von Fuentes wird die Vorgehensweise beinahe militärisch genau geplant. Der Modus operandi für jeden „Groyper“ – so nennen sich die Nachwuchs-Rechten in Anlehnung an eine Art häßlichere und gemeinere Version des bekannten Memes „Pepe the Frog“, das im Wahlkampf 2016 für Furore sorgte – sieht laut Fuentes wie folgt aus:

„Du holst dir ein Ticket für die jeweilige Veranstaltung, du kommst pünktlich, du ziehst dich ordentlich an (viele tauchen tatsächlich im Anzug auf, einige halten einen Rosenkranz in den Händen), du stellst dich höflich in die Schlange und dann fokussierst du dich auf deine Frage. Sie haben dazu eingeladen, Fragen zu stellen, unser Vorgehen ist vollkommen legitim. Wir spielen auf ihrem Territorium, nach ihren Regeln – also konzentriere dich!“ Fuentes schaut sich dazu die Streams der einzelnen Events an und reagiert live auf die gestellten Fragen in der Veranstaltung. Lachend klatscht er Beifall, wenn es mal wieder ein „Groyper“ in die Fragerunde geschafft hat.

Pepe der Frosch (l.) und der Groyper (r.)

 

Wonach aber fragen die „Groyper“? Ein zentrales Anliegen ist vor allem die Demographie. Hierfür setzen die Aufmüpfigen bei einem Satz an, den US-Präsident Trump während seiner Rede zur Lage der Nation im Februar sagte. Während Trump die illegale Immigration als Gefahr darstellte, rief er gleichzeitig Einwanderungswillige dazu auf, legal in die USA einzureisen, und zwar „in der größten Zahl aller Zeiten“. Die Vereinigten Staaten bräuchten legale Einwanderung mehr als je zuvor, gerade um die Wirtschaft am laufen zu halten – ein Argument, das auch Kirk unterstützt.

Wo liegt der Dissens zwischen „Conservative Inc.“ und „Dissident Right“?

Daß die illegale Einwanderung gestoppt werden muß – darüber herrscht auf beiden Seiten des konservativen Lagers Konsens. Daß aber auch die legale Zuwanderung gravierende Folgen hat und sie deshalb ebenfalls eingedämmt werden muß, das fordert nur die „Dissident Right“. Dabei stützen sie sich unter anderem auf wissenschaftliche Studien: „Die Einwanderung in die USA hat erhebliche negative Auswirkungen auf den republikanischen Stimmenanteil“, heißt es etwa in einer 2016 veröffentlichten Arbeit aus dem Nationalen Amt für Wirtschaftsforschung.

Bis zu 70 Prozent der legalen Einwanderer würden nach erfolgter Einbürgerung die Demokraten wählen. Warum also sollte man sein eigenes Grab schaufeln, fragt sich nun die „Nicker Nation“. Vielmehr werde der Republikanischen Partei, die ohnehin vorrangig von weißen US-Amerikanern aus der Unter- und Mittelschicht gewählt werde, so der Todesstoß versetzt.

Statistik der Wählerverteilung in den USA Foto: Roper-Zentrum für Meinungsforschung

 

Auch das Narrativ, wonach die Einwanderer in die USA kämen, um Firmen zu gründen oder neue Ideen ins Land zu bringen, sei falsch. Die Statistiken zeigen tatsächlich, daß die entsprechenden Personen größtenteils im Niedriglohnsektor angestellt sind. Sie arbeiten für geringe Bezahlung in großen Unternehmen, wodurch ein großer Teil der einheimischen Bevölkerung mit ihnen in Lohnkonkurrenz tritt und darunter leiden muß, wenn so die Firmen ihre Gehälter drücken können. Welchen Vorteil sollte der durchschnittliche Amerikaner also davon haben? Aus demselben Grund lehnt Fuentes automatische Greencards für Austauschstudenten ab, die Kirk wiederum befürwortet.

Warum wird die ethnokulturelle Identität Israels unterstüzt, aber nicht die der USA?

Die jungen Rechten hinterfragen zudem heikle Themen wie die mittlerweile engen Verknüpfungen mit der Homo-Lobby. „Gibt es einen Punkt, an dem wir aus Gründen christlicher Moral auch mal Stopp sagen, oder laufen wir der Linken – lediglich zeitversetzt um ein paar Jahre – blind hinterher, so daß als nächstes auch Transgender völlig normal im konservativen Milieu sind?“ will Fuentes in seiner Show wissen.

Heiß diskutiert wird auch die unwiderrufliche Unterstützung Israels. Die „Dissident Right“ verweist auf einen Widerspruch: Ein israelischer Staat mit starker ethnokultureller Identität werde unterstützt, während die ethnokulturelle Identität in den USA gänzlich vernachlässigt, ja außen vor gelassen werde, da es angeblich nur um Werte und Ideen gehe, die den Migranten eingetrichtert werden müßten. Über diesem Kritikpunkt kreist natürlich wie ein Damoklesschwert der Antisemitismus-Vorwurf.

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Ein „Groyper“ fragte Kirk bei einem Q&A: „Würdest du eine politische Entscheidung unterstützen, die den USA nützt, aber Israel schadet? Ja oder nein?“ Eine klare Antwort ließ der TPUSA-Chef vermissen: „Das ist eine falsche Wahl. Nächste Frage“, erklärte der 26jährige unwirsch. Überhaupt vermeiden es Kirk, Shapiro oder Crowder zu bestimmten Fragen klare Antworten zu geben. Häufig bezeichnen sie die Fragesteller als „Alt-Right“-Trolle, mit denen ein normales Gespräch keinen Sinn mache.

Sie flüchten sich in Phrasen, so daß auch der englische Spectator erstaunt feststellte: „Charlie Kirk und seine Kollegen sind selbst in den grundlegendsten konservativen Positionen schmerzlich leicht zu überlisten.“ Die  jungen Rechten hätten ihre Chance genutzt, sich in den Mainstream-Diskurs einzubringen, indem sie „Leute wie Kirk, Crowder oder Shapiro in ihrem eigenen Spiel besiegen“.

TPUSA annulliert die übliche Fragerunde

Einen vorläufigen Höhepunkt fand die Auseinandersetzung am vergangenen Sonntag. TPUSA hielt eine „Culture War“-Veranstaltung an der University of California ab, eingeladen war auch Donald Trump Jr., der Sohn des Präsidenten. Die Fragen der „Groyper“ bei den vorherigen Veranstaltungen schienen einen wunden Punkt getroffen zu haben. Denn urplötzlich annullierte TPUSA die anschließende Fragerunde. Das Publikum reagierte zunächst mit lauten Buhrufen und forderte die Fragerunde ein. Anschließend kippte die Stimmung. „America first, America first, America first“, hallte es durch den Saal, während Charlie Kirk das Handtuch warf und Trump Jr. auf der Bühne verzweifelt nach Worten rang.

Fuentes saß derweil zu Hause in seinem Studio und lachte sich kaputt. „Alles brennt Charliiiiiieee…“, brüllte er in seinem Livestream vor Freude ins Mikrophon. „Das ist wirklich das Beste seit dem Präsidentschaftswahlkampf 2016, Leute. Dieser mentale Zusammenbruch von Charlie Kirk. Das ist erst der Anfang, 2020 geht es richtig los. Ich bin wirklich stolz auf uns.“ Apathisch begann Fuentes den Joker-Tanz aus seinem kürzlich erschienenen gleichnamigen Lieblingsfilm zu tanzen, während im Hintergrund die Videoschnipsel des Veranstaltungsendes liefen.

Man mag dieses skurrile Auftreten der jungen Rechten durchaus für sonderbar halten. Vergessen werden sollte jedoch nicht, daß gerade die massive Mobilmachung im Internet und die Nutzung alternativer Medienkanäle den Trump-Wahlkampf erst ermöglicht hatte und 2016 für seinen Überraschungssieg sorgte. Doch dazu morgen mehr.

Lesen Sie in Teil 2: Was der Paläokonservative Paul Gottfried mit der ganzen Sache zu tun hat, inwieweit sich die „America first“-Bewegung von der „Alt-Right“ unterscheidet – und warum einer der führenden Köpfe der Identitären Bewegung, Martin Sellner, glaubt, daß Fuentes mit seinem Auftreten und seinem Wortwitz die ideale Mischung gefunden hat, um die internetbezogene, alternative Szene zu mobilisieren.

Ideologischer Bürgerkrieg – Teil II

Charlie Kirk (l.), NIck Fuentes (M.), Ben Shapiro (r.), im Hintergrund die „Groyper-Armee“ Foto: picture alliance / newscom; picture alliance/ZUMA Press; Twitter
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