STRASSBURG. Die EU-Kommission hat empört auf ein Schreiben von Ratspräsident Donald Tusk reagiert, in dem er die Umverteilung von Flüchtlingen für gescheitert erklärte. Die Einschätzung des polnischen Politikers sei „inakzeptabel“ und „antieuropäisch“, sagte EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos laut Nachrichtenagentur AFP in Straßburg. „Dieses Papier untergräbt einen der Hauptpfeiler des europäischen Projekts: das Prinzip der Solidarität.“
Tusk hatte im Hinblick auf den bevorstehenden EU-Gipfel ein Schreiben an die Staats- und Regierungschefs verschickt. In einer Analyse der bisherigen Einwanderungspolitik bezeichnete er die Festlegung verpflichtender Quoten als „höchst spaltend“. Der Ansatz habe „unverhältnismäßige Aufmerksamkeit“ bekommen und sei zudem unwirksam. Ohnehin könnten nur einzelne Mitgliedstaaten die illegale Einwanderung effektiv angehen – das habe etwa Italiens Vorgehen gegenüber Libyen gezeigt. Er appellierte an alle Gipfelteilnehmer, die Reform des EU-Asylsystems auf „einvernehmliche Art“ zu beschließen.
Arbeitspapier von Tusk stößt auf Widerstand
Das Papier stößt laut Nachrichtenagentur AFP auf erbitterten Widerstand vor allem Deutschlands, aber auch vieler anderer EU-Staaten. In einer Sitzung der europapolitischen Chefunterhändler aus den Hauptstädten sollen nur die Vertreter Ungarns, Polens und Tschechiens die Tusk-Linie unterstützt haben.
„Solidarität zwischen den Staaten ist ein Grundprinzip der EU und das gilt auch beim Thema Migration“, sagte der Fraktionsvorsitzende der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber (CSU). „Ansonsten werden wir Europäer diese Riesenherausforderung niemals bewältigen können, weil mit reiner Freiwilligkeit keine ausreichenden Lösungen möglich sind.“ Es brauche deshalb Solidaritäts-Mechanismen, etwa durch verstärkte finanzielle Beteiligung oder mehr Personal.
Die EU-Innenminister hatten im September 2015 gegen den Widerstand osteuropäischer Staaten die Umverteilung von 120.000 Asylbewerbern beschlossen. Sie sollten nach einem Quotensystem aus den stark belasteten Hauptankunftsländern Italien und Griechenland in die anderen Mitgliedstaaten gebracht werden. Ein zweiter Beschluß der EU sah vor, daß bis September dieses Jahres 160.000 Asylsuchende umverteilt werden sollten. Ungarn, Polen und die Slowakei klagten vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die Umverteilung, kassierten jedoch eine Niederlage. Der Aufnahme von Flüchtlingen verweigern sich die Länder bis heute. (ha)