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Rasantes Politkarussell in Tokio

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Schon bald werden sich viele Japaner nur mit Mühe an seinen Namen erinnern, denn die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt wechselt bald im Jahrestakt den Ministerpräsidenten. Derzeit sucht die regierende LDP ihren elften Premier seit 1990. Er soll die Liberaldemokraten, die seit 1955 lediglich zehn Monate lang nicht an der Macht waren, in vorgezogene Neuwahlen führen. Diese könnten dann frühestens am 26. Oktober stattfinden. Premier Yasuo Fukuda (72) hatte am 1. September seinen Rücktritt angekündigt. Vergeblich hatte er es allen recht machen wollen: der destruktiven Opposition im Oberhaus (Sangiin), den feindlichen Fraktionen in seiner LDP, der Bauwirtschaft, den Bauern, den Umweltschützern und dem Ausland — doch damit wurde er immer unbeliebter. Mit Zustimmungsraten von 20 Prozent zeichnete sich eine Niederlage bei den Unterhauswahlen ab, die spätestens im September 2009 hätten stattfinden müssen. Das wollte sich der charismafreie Fukuda, dessen Vater Takeo von 1976 bis 1978 Premier und dann bis 1986 Fraktionschef gewesen war, nicht antun. Vor drei Jahren hatte der Strahlemann Junichiro Koizumi mit Reformversprechen (JF 38/05) noch eine Zweidrittelmehrheit im Abgeordnetenhaus (Shugiin) eingefahren. Japaner lästern nun, die Erben der Politdynastien wie Fukuda oder sein Vorgänger Shinzo Abe (dessen Großvater Nobusuke Kishi von 1941 bis 1943 Industrieminister, von 1945 bis 1948 als mutmaßlicher „Class A war criminal“ ohne Schuldspruch inhaftiert und von 1957 bis 1960 Premier war) hätten weniger Rückgrat als ihre erlauchten Vorväter. Doch Fukuda hatte fast alle Register gezogen: Zunächst startete er den Versuch, mit der oppositionellen Demokratischen Partei (DPJ, JF 38/09) eine Große Koalition zu bilden. Auf Hokkaido hielt er im Juli den G8-Gipfel ab. Freundliche Worte an die dünnhäutigen Führungen in Peking und Seoul brachten Fukuda eine wohlgesonnene internationale Presse, was zu Hause jedoch ebenfalls niemanden interessierte. Dann bildete er sein Kabinett gründlich um. Im August legte er ein Konjunkturpaket von 11,7 Billionen Yen (etwa 75 Milliarden Euro) auf, das mit Bauprogrammen, Staatsbürgschaften und Steuerrabatten die schwächelnde Binnennachfrage stärken soll. Am Ende half auch das nicht mehr. Da der größte LDP-Flügel mit Abe und Fukuda schon zwei Premiers gestellt hat, wähnen sich diesmal andere an der Reihe. Die Nachfolgefrage soll am 22. September entschieden werden. In Führung liegt laut Umfragen der nationalkonservative LDP-Generalsekretär Taro Aso. Der 67jährige ist Erbe der Aso-Zementwerke und deshalb mit der Baulobby verbandelt. Er ist der Bruder von Prinzessin Tomohito von Mikasa und der Enkel des großen Shigeru Yoshida, des japanischen Adenauer. Asos Frau ist die Tochter des Premiers Zenko Suzuki. Aso hat Charisma und rhetorisches Talent, das ihm mit flotten Sprüchen regelmäßig politisch korrekte Mißbilligung und Beliebtheit beim Volk einträgt. So entschuldigt er sich weder für Japans Kolonialherrschaft in Ostasien noch für die Führung des Pazifikkrieges. Seine Außenpolitik würde nach dem Schmusekurs von Fukuda wieder japanischer Realpolitik folgen. Innenpolitisch fordert Aso weitere Konjunkturprogramme, die angesichts der Staatsverschuldung problematisch sind. Bei den letzten Parteiwahlen hatte er 40 Prozent der Stimmen erhalten. Asos Rivalen sind Wirtschaftsminister Kaoru Yosano (70) und Ex-Nachrichtensprecherin und Kurzzeitverteidigungsministerin Yuriko Koike (56), die unter Koizumi als Staatsministerin unter anderem für die 1945 von der Sowjetunion besetzten „Nordgebiete“ zuständig war. Beide wollen die Koizumi-Reformen fortsetzen und trotz der Rezessionsängste vorrangig die Staatsfinanzen sanieren. Yosano will dazu sogar die Verkaufssteuern von derzeit fünf Prozent verdoppeln — ein sicherer Weg die Konjunktur abzuwürgen und die nächsten Wahlen zu verlieren. Weitere Kandidaten sind der an UFOs glaubende Ex-Verteidigungsminister Shigeru Ishiba (51) und Ex-Verkehrsminister Nobuteru Ishihara (51), der Sohn des rechtspopulistischen Gouverneurs der Präfektur Tokio (JF 28/02). Der Wahlsieger erbt zwei Megaprobleme: die Rentenversicherung und den Schuldenberg. Vor Jahresfrist flog auf, daß an die 40 Millionen Überweisungen der Rentenbeitragszahler fehlgebucht bzw. unauffindbar sind. Datenträger fehlten oder waren in früheren Jahrzehnten falsch gelocht worden. Zudem hat die staatliche Versicherung viel Geld in dubiosen Immobilienprojekten verloren. Viele Rentner fühlen sich nun um Jahre ihrer Beitragszahlungen betrogen. Die jüngeren Generationen können in dem rapide alternden Land ohnehin nur noch geringe Pensionen erwarten. Die Staatsverschuldung ist eine Altlast der Konjunkturprogramme von 1992 bis 2002. Die Schulden der Zentralregierung belaufen sich auf 160 Prozent, die aller öffentlichen Haushalte auf 219 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) — sprich etwa sieben Billionen Euro. Allein der Zinsdienst frißt ein Fünftel der Steuereinnahmen. Bei der gegenwärtigen Inflation von 2,4 Prozent würde bei einer Verdopplung des Zinsniveaus (derzeit 1,3 Prozent) dem Staat jeglicher Spielraum (außer Neuschulden) abhanden kommen. Dennoch scheint — nach dem Rückgang der Auslandsnachfrage im Zuge der US-Rezession und der Binnennachfrage durch die gestiegenen Energie- und Lebensmittelpreise — der Griff zur Konjunkturspritze unwiderstehlich, um das Wachstum über die Ein-Prozent-Marke zu hieven. Durch die Auslagerung der Zulieferindustrien nach China liegt die Wirtschaft der japanischen Provinz darnieder. Die Bauwirtschaft, der Handel und die Bauern schreien nach Subventionen. Sie sind das Rückrat der LDP. Bei den Oberhauswahlen 2007 hatten sie die Partei für Koizumis Sanierungspolitik abgestraft und Ichiro Ozawas DPJ ihre Blockademehrheit verschafft.   Dr. Albrecht Rothacher war bis 2006 Direktor an der Asien-Europa-Stiftung (Asef) in Singapur. 2007 erschien sein Buch „Mythos Asien? Licht- und Schattenseiten einer Region im Aufbruch“ (Olzog Verlag, München). Ein Jahr zuvor erschien „Die Rückkehr der Samurai: Japans Wirtschaft nach der Krise“. Foto: LDP-Kandidaten Yosano, Ishiba, Aso, Koike und Ishihara (v.l.): Reform- oder Schuldenpolitik?

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