Anzeige
Anzeige

Der Nachmittag der zornigen Lehrerinnen

Der Nachmittag der zornigen Lehrerinnen

Der Nachmittag der zornigen Lehrerinnen

 

Der Nachmittag der zornigen Lehrerinnen

Anzeige

Der Weg zur Neuköllner Karlsgarten-Grundschule führt durch einen besonders heruntergekommenen Stadtteil Berlins. Auf der Straße sind mehr Frauen mit Kopftuch als ohne zu sehen. Direkt neben einem Asylantenwohnheim befindet sich die Schule. Dorthin hat die Neuköllner Bezirksleitung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) vergangene Woche Lehrer aus allen Schulen des Stadtteils eingeladen. Das Thema: „Streß mit arabischen Schülern?“ Vierzig Lehrerinnen, zwischen ihnen der eine oder andere männliche Kollege, sind gekommen um „konkrete Lösungen“ für ihren Alltag mit „meist arabischen Problemschülern“ zu suchen, wie sie selbst sagen. Die GEW hat zu dieser Veranstaltung nämlich auch sechs Vertreter von Vereinen arabischer Einwanderer eingeladen, um die Fragen der Lehrer zu beantworten. Erwartete man auf dieser Veranstaltung von der Lehrergewerkschaft Multikulti-Idealismus, irrte man sich diesmal gewaltig. Denn diese Lehrer – vier der Anwesenden waren von der deutschlandweit bekannten Rütli-Schule – kennen die Realität mittlerweile offenbar zu gut, um sie noch „schönreden“ zu können, wie eine Lehrerin sagt. „Ich kann einfach bald nicht mehr“, gesteht eine andere. „Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Sie – ich meine selbstverständlich Euch – alle heute herzlich einladen“, sagt ein Mann in Jeans und einem schlotterigen Pullover und erntet Gelächter. Hier wird nämlich grundsätzlich geduzt. Aber auch sonst ist Form bei der GEW nicht wichtig, das merkt man schnell: Als das Podium von sechs arabischen Männern sich vorstellt, schreien die Lehrer lauthals bereits die ersten Fragen. Der Pulloverträger, der so etwas ist wie ein Moderator ist, versucht vergebens die Unruhe der Lehrer zu zügeln. Die Spannung im Raum ist deutlich spürbar. In Neukölln seien zwanzig Prozent der Einwohner aus dem arabischen Kulturkreis – Tendenz steigend. Denn in den unteren Klassen wachse der Anteil dieser Kinder jedes Jahr deutlich. Der Grund: Arabische Familien seien kinderreicher als die „ursprünglichen Deutschen“. Da die Politik nichts tue, müßten nun die Lehrer selber überlegen, welche Konsequenzen aus Fällen wie der Rütli-Schule zu ziehen seien, sagt der Moderator. „Und dabei wollen wir Ihnen helfen“, so der Vorstandsvorsitzende des Dachverbandes arabischer Vereine, Nabil Raschid. In seiner Rede erzählt er, unter welchen wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Schwierigkeiten Menschen aus dem arabischen Kulturkreis in Deutschland lebten. Er schildert die „Hoffnungslosigkeit“ vieler Jugendlicher, die keinen Ausbildungsplatz finden, weil sie Mohammed oder Fatima hießen. Denn schließlich hörten ja die Arbeitgeber täglich im Fernsehen, daß diese terroristische „Schläfer“ seien. Aber die Vorurteile seien doch zum Teil auch berechtigt, schallt es ihm entgegen. „Es gibt hierzulande auch islamischen Fundamentalismus!“ ruft eine Lehrerin. „Das sieht man jetzt gerade im Ramadan. Sagen Sie mir doch bitte, was ich machen soll, wenn mir die kleinen Zweitkläßler umkippen, weil sie wegen Ramadan fasten. Wir haben schon oft den Notarzt rufen müssen“, sagt sie verzweifelt. Raschid versichert, daß Kinder nicht fasten müßten. „Mir erzählten diese Woche bereits zwei Kinder, daß sie von ihren Vätern oder Onkels Geld bekommen, wenn sie es einen oder zwei Tage aushalten zu fasten“, kontert die Lehrerin. Die Podiumsmitglieder versuchen sich zu verteidigen, aber die aufgebrachten Lehrer lassen sie nicht ausreden. Die Lehrer melden sich beim Moderator, bis er den Überblick verliert und seine Kollegen anfangen, einfach dazwischenzurufen. „Wir sind nicht hierhin gekommen, um irgendwelche Grundsatzdiskussionen zu führen, sondern um konkrete Vorschläge zu hören“, fordern sie. Raschid gerät in die Defensive. Er versucht sich zu retten, indem er selber angreift: Die Deutschen müßten sich langsam daran gewöhnen, daß die Gesellschaft sich verändert. Es gebe einfach keine Leitkultur, sagt er. So etwas zu behaupten, sei eine typisch deutsche Eigenart. Außerdem sei Integration hauptsächlich ein Problem der Deutschen. Die Lehrer sind fassungslos. Darum geht es doch gar nicht, sagen sie. „Auch Sie müssen sich anpassen“, rufen sie. „Wenn von Ihrer Seite langsam nichts kommt, schürt das nur noch mehr Vorurteile.“ Die Situation spitzt sich zu, die Veranstaltung löst sich auf. Nur eins wird an diesem Nachmittag deutlich: Die deutsche Gesellschaft hat jahrzehntelang die Integration verschlafen, nun bekommt sie die Quittung. Foto: Rütli-Schule in Berlin-Neukölln: Deutschlandweit bekannt

Anzeige
Anzeige

Der nächste Beitrag

ähnliche Themen
Hierfür wurden keine ähnlichen Themen gefunden.