Es ist sattsam bekannt, wie der derzeitige deutsche Außenminister seine Tätigkeit durch gewaltige geschichtspolitische Visionen zu umrahmen und zu legitimieren pflegt. Er tut dies mit der ganzen Selbstsicherheit des Ideologen und oft fern solider Kenntnisse. Vor einigen Jahren hatte er „Auschwitz“ und nichts anderes als „Gründungsmythos“ der Bundesrepublik Deutschland und damit deutsche Kollektivschuld „für immer“ (Michel Friedman) zu etablieren versucht. Später jettete er für teures Steuergeld auf 48 Stunden zur Antirassismus-Konferenz der UNO nach Durban (Südafrika), um dort die „deutsche Schuld“ auch an Kolonialismus und Sklaverei vor der Welt feierlich zu proklamieren. Nun lieferte der Weltstaatsmann ausgerechnet auf Einladung des tschechischen sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Vladimir Spidla in Prag einen weiteren Nachweis schlichter Unkenntnis geschichtlicher Fakten. Er behauptete dort – den Tschechen Musik in den Ohren -, „die Zerstörung der Minderheitenkulturen“ in Mittelosteuropa habe erst mit der Machtergreifung Hitlers und der Nationalsozialisten eingesetzt. Keine Rede und keine Kenntnis von den Nationalitätenkonflikten in diesem Raum seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und dann besonders durch die Friedensverträge von Versailles, Saint Germain und Trianon, die die neuen National-, eigentlichen Nationalitätenstaaten der Polen, Tschechen und Jugoslawien errichteten. In den neuen polnischen Provinzen Westpreußen und Posen wurde zwischen 1919 und 1939 von den anfangs etwa 2,5 Millionen deutschen Bewohnern nahezu die Hälfte aus dem Land gedrängt, faktisch vertrieben. Und vom tschechischen Versprechen 1919 einer musterhaften „zweiten Schweiz“ mit gleichberechtigten Volksgruppen, nicht zuletzt auch der drei Millionen „Sudetendeutschen“ als der stärksten Minderheit neben der tschechischen Titularnation, blieb bis 1935 nichts übrig. Es bezeichnet den eigentlichen Beginn der Tragödie, daß es bis 1933 nicht gelungen war, diese Krisenpotentiale zu entschärfen oder auch nur zu dämpfen, so daß sie zur Startrampe für Hitlers Rassenimperialismus werden konnten. Nur eine Betrachtungsweise, die diese Dialektik zwischen dem vor allem in Mitteleuropa blühenden Nationalismus und Hitlers totalitärem Imperialismus nicht der Schwarzweiß-Zeichnung von Alleinschuld und Unschuld opfert, wird den tatsächlichen Verläufen und damit aber auch der europäischen Zukunft gerecht. Die Singularitätsthese findet keinen Halt in der menschlichen und geschichtlichen Wirklichkeit. Prof. Dr. Klaus Hornung ist Politikwissenschaftler und Präsident des Studienzentrums Weikersheim.
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