Die gegenwärtigen Auseinandersetzungen um die deutschen Opfer des alliierten Bombenterrors und die damit zusammenhängenden Überlegungen zur Einführung eines Gedenktages für diese Opfer haben erwartungsgemäß die bekannten pawlow-reflexartigen Reaktionen ausgelöst. Wenn es inzwischen auch nicht mehr anrüchig sei, „diese Tatsachen anzuerkennen und Trauer nachzuholen“, so eine große deutsche Tageszeitung als ein Beispiel für viele andere, dürfe es doch keine Ablenkung von den deutschen Verbrechen geben. Denn: „Jeder Vergleich, jedes Aufrechnen mit anderen Verbrechen verkennt, daß es die Deutschen waren, die die Welt in Brand steckten. Was in Dresden und Hamburg geschah, war eben eine Reaktion auf Coventry.“ Diese Argumentation verkennt ihrerseits zweierlei. Zunächst die gesicherten Erkenntnisse der internationalen Forschung zu diesem Thema, über die sie sich ebenso ignorant wie arrogant hinwegsetzt. Deshalb gemäß der Devise „Wider das Vergessen“ eine ganz kurze Erinnerung an einige Tatsachen. Der Bombenangriff auf Coventry, einem Zentrum der britischen Rüstungsindustrie, zu Beginn des Krieges richtete sich auf die Zerstörung wichtiger Fabriken und nicht der Kathedrale, auch nicht gegen die Zivilbevölkerung, wenngleich 542 Todesopfer zu beklagen waren. Der Bombenangriff auf das militärisch bedeutungslose Dresden am Ende des bereits entschiedenen Krieges richtete sich eindeutig gegen die Zivilbevölkerung der mit Flüchtlingen aus dem Osten des zerfallenden Reiches vollgestopften Stadt. Von den etwa einer Million Menschen haben mindestens 100.000 Menschen, wahrscheinlich sogar 150.000 bis 200.000 den Tod gefunden. Offiziell wird die Zahl der Opfer seit einigen Jahren auf Grund einer „Revision“ allerdings mit „mehr als 35.000“ angegeben – angesichts des Ausmaßes der Verwüstungen eine höchst unwahrscheinliche Angabe. Die bewußte Verdrängung dieser nur knapp angedeuteten Tatsachen dokumentiert ein bedenkliches Moral- und Rechtsverständnis, indem das schuldhafte Verhalten der einen Seite zur Leitlinie des eigenen Verhaltens erklärt wird. Dabei wird – bewußt oder unbewußt – verdrängt, daß sich das eigene Verhalten sowohl nach den Grundsätzen des Privatrechts als auch des Völkerrechts letztlich an den einschlägigen Rechtsnormen zu orientieren hat, wenn es nicht zum „Recht des Stärkeren“ und zum Faustrecht verkommen soll. Prof. Dr. Klaus Motschmann lehrte Politikwissenschaft an der Hochschule der Künste in Berlin.