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Entlarvte Versöhnungsrituale Carl Gustaf Ströhm

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Von einem „Waterloo“ konnte man lesen, welches die CDU-Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach in Warschau erleben mußte, als sie dort versuchte, für ihr Konzept eines Berliner Zentrums gegen Vertreibungen zu werben. Der Vergleich mit Napoleons historischer Niederlage hinkt – denn die Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen wollte Warschau ja keineswegs erobern. Allerdings hatte ihr von schrillen Mißtönen und von nicht immer korrektem Benehmen der polnischen Hausherren begleiteter Auftritt doch auch etwas Gutes: Er entlarvte das Versöhnungsgeschwafel, das wie eine dichte Nebelschwade über den deutsch-polnischen Beziehungen hängt. In Wirklichkeit hat es diese Versöhnung nie gegeben, und es wird sie nach menschlichem Ermessen frühestens in Jahrzehnten geben – wenn die heute Lebenden längst das Zeitliche gesegnet haben. Zwischen Deutschen und Polen hat sich nicht erst seit Hitler eine gegenseitige Animosität aufgebaut, die heute von Schuldkomplexen bestimmt wird. Die Deutschen als die Verlierer – und als jene, die man für alle Verbrechen der NS-Zeit verantwortlich macht – sind nicht die einzigen, die einen Schuldkomplex mit sich schleppen. Auch viele Polen wissen genau, daß die heutige polnische Westgrenze ein Danaergeschenk Stalins war. Sie wissen genau, daß die deutschen Ostgebiete ethnisch, kulturell und historisch deutsch und keineswegs polnisch waren. Wer vor hundert Jahren behauptet hätte, Königsberg werde eines Tages russisch und Breslau polnisch sein, hätte Gelächter geerntet. Man muß nur die heutige Oder-Neiße-Linie auf deutscher Seite entlangfahren, man spreche einmal mit den Bewohnern oder den Beamten, die dort Dienst tun – und man erkennt sofort, wie heuchlerisch alle offiziellen „Versöhnungsrituale“ sind. Diese Grenze ist nach wie vor eine offene Wunde quer durch Europa. Daran ändern auch Massen von Einkaufstouristen nichts. Und dann noch die groteske Situation um Stettin, das entgegen dem Willen der Großmächte von „Volkspolen“ 1945 im Handstreich annektiert wurde! Heute, am Vorabend des EU-Beitritts der Polen, herrscht auf beiden Seiten der Grenze untergründige Angst. Die Polen haben Angst, daß die Deutschen das Verlorene wieder zurückkaufen werden – daher die einstweilen inoffizielle Forderung nach „einer Billion Dollar“ Reparationen. Die Deutschen wiederum fürchten, daß sie aus dem Osten von einer Menschenlawine und von billiger Konkurrenz überrollt werden. Leider liegt in der Tradition der polnischen „politischen Klasse“ eine gewisse Neigung zur Maßlosigkeit. Es gibt Polen, die heute noch der These „von Meer zu Meer“ anhängen: daß Polen eigentlich von der Ostsee bis ans Schwarze Meer reichen und die Westgrenze nicht die Oder, sondern die Elbe sein müsse. Interessant ist, daß in der jetzigen Kontroverse die prowestlichen, antikommunistischen Polen die schärfste antideutsche Klinge führen: etwa der von den Deutschen hofierte Ex-Außenminister Wladyslaw Bartoszewski oder der in Oxford residierende Philosoph Leszek Kolakowski. Für die Deutschen ist lehrreich zu erfahren, daß sie immer noch – oder wieder – als „Feindbild“ benötigt werden. Je mehr sich die deutsche Seite anbiedert, desto größer werden die polnischen Forderungen. Folglich wären Zurückhaltung und zugleich ein aufrechter Gang das Beste, was die Deutschen für die europäische Sache und für die deutsch-polnischen Beziehungen tun könnten.

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