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Bieten bis der Arzt kommt

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Cato, Weidel, Exklusiv

Wenn man sich die alten Disco-Filme aus den siebziger Jahren anschaut, könnte man – sofern man mit der „Gnade der späten Geburt“ gesegnet ist – denken, daß die gesamte westliche Gesellschaft seinerzeit nur noch für eine einzige Sache lebte: Disco! Wenn ich mich heute umschaue, habe ich (ganz selbstkritisch) das Gefühl, daß viele nur für den Feierabend leben, um nach einem öden Tag ihre wahre Berufung als Schnäppchenjäger und Feierabend-Kaufleute auszuleben. Schwebt bei einer konventionellen Einkaufstour stets das Damoklesschwert des Konsumterrors über einem, lockt der virtuelle Flohmarkt von Ebay, auf dem der Großteil der Angebote inzwischen Neuwaren sind, mit einer Art familiärem Flair. So ist das Internet-Auktionshaus durch sein breites Publikum auch ein steter Lieferant für gute Geschichten. Derzeit lacht ganz Deutschland über die Eulenspiegeleien des Hackers Ralph Napierski, der – frustriert, daß seine Sicherheitswarnungen kein Gehör fanden – sich kurzerhand unter der Identität unseres Bundeskanzlers in dem Internetmarktplatz registrierte. BK-G-Schroeder alias Ralph Napierski kaufte sich in einer schwindelerregenden Orgie der Überbietungen ein fingernagelgroßes Digitalbild, einen „echten Napierski“, ab. Dabei schaffte er es, trotz des astronomisch hohen Verkaufspreises von 10.000.000 Euro anonym zu bleiben, gab sich jedoch dem Webzine Spiegel-Online in Form eines Interviews zu erkennen. Was nun einerseits für landesweite Erheiterung sorgt, weicht jedoch auch bald nachdenklichen Zügen, wenn man sich Gedanken um die Sicherheit der eigenen Transaktionen macht, denn es wird erst bezahlt und dann geliefert, wobei die einzigen Kriterien neben dem Preis für oder gegen einen Kauf die Bewertungen des Verkäufers darstellen, die frühere Partner hinterließen. Vertrauen stellt hier also auch eine gewisse Art von Währung dar. Interessant wäre die Ausweitung dieses Prinzips auch auf andere Bereiche der Gesellschaft. So könnte man sich sein nächstes Auto, die neue Hausbank oder Versicherung und auch Zahnärzte, Friseure und Bäcker nach ihrer detaillierten Kundenzufriedenheit aussuchen. Auf den Bereich der Politik angewandt, ergäben sich ebenfalls neue Perspektiven jenseits der üblichen Meinungsumfragen und Politbarometer. Andererseits zeugt der gefakte Kaufrausch unseres Staatsoberhauptes von der Verletzlichkeit gegen Manipulationen oder gar Erpressungen. Trotzdem liegt ein gewisser Reiz in dem Gedankengang, zumal der machtlose und politikverdrossene Wähler seiner Enttäuschung oder Zustimmung häufiger als alle vier Jahre Gehör verschaffen könnte! Einen anderen Aspekt dieser meinungsfreiheitlichen Öffentlichkeit zeigt derzeit auch die Versteigerung der deutschen Sprache. Die Beschreibung des bei ebay eingestellten „Angebots“ anläßlich des Tages der Muttersprachen (21. Februar 2003) lautet: „Erstklassiges, hochentwickeltes Sprachsystem mit dem Markennamen ‚Deutsch‘: rund 1.500 Jahre alt, mit ungefähr 450.000 Wörtern, sehr nützlich vor allem durch seine weite Verbreitung hauptsächlich in Europa. (…) Das Teil hat allerdings durch fahrlässigen Gebrauch vor allem in letzter Zeit einigermaßen gelitten, weist ziemlich viele Anglizismen auf, und ist im Ausland wahrscheinlich mehr beliebt als im deutschsprachigen Raum.“ Die Artikelnummer lautet übrigens 3312466723. Doch kommen wir zurück auf die Bewertungen unserer Ebay-Partner. Auch hier ergibt sich ein voyeuristischer Quell der Freude für alle Neugierigen. Durchsuchte man früher noch mehr oder weniger freiwillig bzw. heimlich den Hausmüll seiner Nachbarn („Na, die müssen ja Geld haben!“), so kann man dies heutezutage völlig anonym und ohne Gefahr des Entdecktwerdens im globalen Umfang betreiben, denn bei den meisten Bewertungen, sofern es sich nicht um Privatauktionen handelt, lassen sich für einige Wochen auch die ge- oder verkauften Artikel anzeigen. So könnte ich an dieser Stelle (ohne jegliche Hacker-Kenntnisse) den Erwerber einer französischen Ausgabe des Playboy (November 1979) öffentlich als Lustmolch bloßstellen. Dem Erwerber Konrad Kiesel (Name geändert) ging es jedoch eher um ein darin enthaltenes Interview mit einem sehr bekannten Philosophen, denn um niedere Motive. Gänzlich indiskreten Naturen sei als Goldgrube jedoch der Erwerb von gebrauchten Festplattenlaufwerken empfohlen, da diese eine der größten Fundgruben für intime Details und sensible Daten darstellen. So lassen sich auf dieses Material gestützt Kontodaten abrufen, Haushaltsrechnungen einsehen und kostenlose Internetverbindungen erschleichen, wie jüngst eine amerikanische Studie herausfand. Manche stammen sogar aus Bankautomaten. Auch für das Außergewöhnliche Präsent ist die Seite sehr zu empfehlen: Flugzeug gefällig? Segelyacht für ein paar Mille? Kein Problem, kürzlich konnte sich eine ausrangierte sowjetische Mig über einen neuen Besitzer freuen. Auch eine Antonow war im Angebot: Erstgebot bei 10.000 Euro – da muß der Freizeitpilot doch einfach mitbieten. Selbst wenn ich kein großer Fan von Online-Einkaufstouren bin, macht mir „ebayen“ großen Spaß. Und ist es nicht gerade in der heutigen Wirtschaftslage besonders amüsant, da einkaufen zu können, wo auch der geliebte Kanzler sein Geld verpulvert?

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