Anzeige
Marc Jongen, ESN Fraktion
Anzeige
ESN Fraktion, Europa der Souveränen Nationen, ESN Stellenanzeigen

TV-Kritik: Aiwanger auf Angriffskurs

TV-Kritik: Aiwanger auf Angriffskurs

TV-Kritik: Aiwanger auf Angriffskurs

Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) gibt sich angriffslustig Foto: picture alliance/dpa | Peter Kneffel
Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) gibt sich angriffslustig Foto: picture alliance/dpa | Peter Kneffel
Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) gibt sich angriffslustig Foto: picture alliance/dpa | Peter Kneffel
TV-Kritik
 

Aiwanger auf Angriffskurs

Markus Lanz streitet in seiner Sendung mit dem bayerischen Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger kräftig über das Demokratieverständnis. Dabei geht es nicht nur ums Sachthema, sondern auch um die Ausdrucksweise. Haben „die in Berlin den Arsch offen“?
Anzeige

Cato, Palmer, Exklusiv

Die Macht in einer Demokratie geht vom Volk aus. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Am Dienstag abend stritten dennoch in der ZDF-Sendung von Markus Lanz der Moderator und seine Gäste mit dem Chef der bayerischen Freien Wähler und stellvertretenden Ministerpräsidenten des Landes, Hubert Aiwanger, über das genauere Verständnis. Was ist eigentlich genau Demokratie? Um vorzugreifen: Aiwanger verteidigte eine Politik für die Menschen, die Gegenseite warf ihm „AfD-Sprache“ sowie Populismus vor: dem Volk nach dem Mund reden.

Der Bayer, der am Dienstag zum ersten Mal als Gast in der Sendung von Lanz war und mit seiner Person die Sendung dominierte, steht seit seinem Auftritt auf einer Demo in Erding im Juni im Kreuzfeuer der Kritik. Die Grünen-Landtagsfraktion forderte sogar den Rücktritt des Vize-Ministerpräsidenten. Denn Aiwanger rief den rund 13.000 Protestteilnehmern gegen das Heizungsgesetz der Ampel-Regierung zu, daß „endlich die schweigende große Mehrheit dieses Landes sich die Demokratie wieder zurückholen muß“.

Lanz gibt den Spracherzieher

Und auch bei Lanz gab es zu dessen Demo-Auftritt keine Ruhe. Aiwanger zeigte sich daher weniger in sich selbst rechtfertigender Verteidigungshaltung, sondern mißtrauisch und betont angriffslustig. Immer wieder glitt die insgesamt hitzige Diskussion auch von der Sachebene auf die Metaebene über, also in eine Diskussion über die Art und Weise, wie miteinander diskutiert wird. Dabei spielte Markus Lanz wiederholt die Sprachpolizei, bewertete zum Beispiel Aiwangers Wortfetzen „diese Syrer“ kontextlos pauschal als stereotyp fremdenfeindlich. Wie Aiwanger rede, was er sage: Das sei Verrohung der Sprache. „Sie reden ja, was in ihrem Kopf ist. Daß Sie sich die Demokratie zurückholen wollen.“ Auch Donald Trump und der AfD-Politiker Alexander Gauland würden so reden mit: sich „das Land zurückholen“, „wir werden sie jagen“. Genauso der Bayer mit Ausrufen wie „sich die Demokratie wieder zurückholen“ und „haben die in Berlin den Arsch offen?“.

Lanz wirkte dabei wie der Erzieher eines unmündigen Kindes mit unflätiger Sprache. „Wir können doch streiten: Aber warum müssen wir das in dieser Sprache machen?“, fragte er. Vielleicht vergaß er, daß er mit dem Sohn eines Landwirts aus der bayerischen Provinz sprach und der gehobene sprachliche Ausdruck der journalistischen Elite bislang nicht deutschlandweite Verbreitung fand.

Aiwanger: Demokratie ist Politik im Sinne des Volkes

Interessant wurde die inhaltliche Diskussion über Demokratie. Der Moderator fragte den Politiker: „Was ist Ihre Definition von Demokratie?“ Worauf dieser entgegnete: „Politik im Sinne des Volkes, von den Bürgern legitimiert.“ Die Freien Wähler seien sehr basisdemokratisch und wollten eine direkte Wahl des Bundespräsidenten, argumentierte Aiwanger. Das Vorgehen beim Heizungsgesetz sei dagegen nur formal noch demokratisch. Auf Dauer führe es bei den Regierten zu Frust, wenn gegen die Mehrheit regiert werde.

Die Politologin Ursula Münch gab dem studierten Landwirt recht: Ja, es finde eine Rückkopplung zwischen Politik und Bürgern statt. „Aber“, kritisierte sie Aiwanger sogleich, „das bedeutet nicht, daß eine Regierung im ständigen Einklang mit der Bevölkerung sein muß“. Es könne nicht sein, daß die Politik ständig das machen müsse, was sie demoskopisch vom Volk abfrage.

„Finden Sie das gut? Sind Sie stolz darauf?“, fragte Lanz hinsichtlich Aiwangers Rede in Erding, sich die Demokratie „zurückzuholen“. Und der bayerische Vize-Ministerpräsident beharrte: „Ich habe die Leute dort abgeholt, wo sie waren.“ Er habe den Demonstranten gesagt, die Regierung dürfe nicht gegen sie, gegen die Mehrheit regieren. Politik sei, die frustrierten Bürger abzuholen, wo sie stehen, damit sie nicht die AfD wählten. Auf der Demo in Erding habe er den Leuten gesagt: „Wir können euch mit diesem Heizungsgesetz nicht an die Wand fahren lassen.“

Münch warf ein, die Redner auf der Demo hätten falsche Dinge behauptet, so daß man nicht mehr Mama und Papa sagen dürfe. „Sie haben den Leuten Worte in den Mund gelegt und die Stimmung angeheizt. Das finde ich nicht angemessen.“ Sie nerve die Behauptung, das seien Sprachverbote. Auch Lanz fragte Aiwanger, wann ihm zuletzt jemand das Fleischessen verboten habe. Und der Politiker verteidigte sich: Die Meinungsmaschinerie in den Medien gehe doch genau in diese Richtung. „In der Früh schon wieder Weltuntergang“, wenn er morgens in der Zeitung über die „Klimakatastrophe“ lese.

Krawallmacher in Frankreich lehnen den Staat ab

Die Gäste bei Lanz diskutierten auch über die gegenwärtigen Krawalle in Frankreich. Die Autorin und Frankreich-Expertin Annika Joeres sprach von „kriegsähnlichen Zuständen“ im Nachbarland, über Rassismus bei der französischen Polizei und staatlichen Konfrontationskurs mit den meist jugendlichen Krawallmachern. Münch gab zu bedenken: Diese Jugendlichen seien keine Migranten, sondern Staatsbürger mit einem französischen Paß. Das wiederum erstaunte den Investigativreporter Florian Flade von der Süddeutschen Zeitung, der sagte: „Diese Ablehnung, daß ein Mensch sich nicht mit dem Staat identifiziert, obwohl er den Paß hat, das ist erschreckend.“

Aiwanger  kommentierte das wie folgt: „Das ist der springende Punkt, wenn sich ein Mensch sich nicht mit dem Staat identifiziert.“ Damit leitete er auf die innere Sicherheit in Deutschland über und sprach über die Straßenschlachten zwischen libanesischen und syrischen Großfamilien in Nordrhein-Westfalen im Juni. Erst durch einen islamischen Friedensrichter sei es zum „Frieden“ gekommen – nicht durch die deutsche Justiz. Für Aiwanger zeigen sich dabei nicht in die deutsche Gesellschaft integrierte „Parallelwelten“.

Integration geht Einbürgerung voraus

Daraufhin folgerte der bayerische Freie-Wähler-Chef: „Es ist ein großer Fehler der Ampel, daß sie jetzt einbürgern, bevor man integriert hat.“ Damit kritisierte er die Pläne der Regierung, Asylbewerber schon nach drei bis fünf anstatt nach acht Jahren in Deutschland einzubürgern und zu deutschen Staatsbürgern zu machen. Denn die 2015 unter Merkel zugewanderten Syrer seien auch heute noch kaum integriert und die Hälfte auch acht Jahre später noch ohne Arbeit und eigenen Lebensunterhalt – sie lebten von Hartz IV und inzwischen vom Bürgergeld. „Und jetzt rutschen die teilweise in Clans ab, und der Staat schaut wieder tagelang zu, bis ein Friedensrichter eingreift“, argumentierte der Freie-Wähler-Chef.

Stattdessen plädierte er dafür, Kriminelle durch den Rechtsstaat konsequent zu bestrafen, und die Zuwanderer möglichst schnell in Arbeit zu bringen. Lanz entgegnete Aiwanger im Sinne der klassischen Frage „Ist die Flasche halb voll oder halb leer“ nicht ganz zu Unrecht: „Andersherum gesagt: Jeder Zweite ist ja im Arbeitsmarkt.“

Es ist und bleibt eine Frage der Perspektive, ob die eine Hälfte arbeitslose Syrer mißlungene Integration oder die andere Hälfte arbeitende Syrer erfolgreiche Integration ist.

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Facebook. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) gibt sich angriffslustig Foto: picture alliance/dpa | Peter Kneffel
Anzeige
Anzeige

Der nächste Beitrag