Was ist eigentlich „Debattenkultur“? Ständig predigen Politiker aller Couleur diesen Begriff, schließlich funktioniere die Demokratie nur mit freiem Austausch aller Meinungen. Wir müßten andere Weltanschauungen aushalten, heißt es immer. Doch halten sich die Volksvertreter an ihre eigenen Dogmen?
Um es kurz zu machen: Nein. Die gestrige Folge „Maischberger“ war einmal mehr ein Beweis dafür. Politiker und Journalisten reden so ergebnisoffen und besonnen miteinander, wie Jugendliche an Sonderschulen, wenn auch mit blumigeren Worten.
Zu Gast bei Moderatorin Sandra Maischberger waren der ehemalige deutsche Botschafter in den USA, Wolfgang Ischinger, der ehemalige Handelsblatt-Chefredakteur Gabor Steingart, die ARD-Korrespondentin Kerstin Palzer und der Komiker Oliver Kalkofe, sie unterhielten sich gesittet, schließlich waren sie im Großen und Ganzen einer Meinung.
Angst vor deutschen Alleingängen prägt die Debatte
So betonte Kalkofe, „von Herzen Pazifist“ zu sein, jedoch habe er angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine inzwischen Zweifel. Wer in der U-Bahn oder auf dem Schulhof angegriffen werde, wolle schließlich auch, daß Umstehende eingriffen. „Deshalb glaube ich nicht, daß wir wegschauen können“, schlußfolgerte er. Kerstin Palzer, die früher selbst für die Deutsche Welle in Moskau als Korrespondentin gearbeitet hatte, sah das ähnlich. „Ich kenne keinen Krieg der beendet wurde, ohne Waffeneinsatz“, sagte Palzer. Dem angegriffenen Volk müsse geholfen werden.
Gabor Steingart bezeichnete die Wirtschaftssanktionen gegen Rußland als „Schuß ins Knie“. Deutschland habe sich selbst das Gas abbestellt, dies sei eine „intellektuelle Fehlleistung“ der Ampel-Regierung gewesen. Er sprach von einem „Wirtschaftskrieg gegen die eigene Bevölkerung“. Palzer widersprach: Sie sei der Meinung, die Sanktionen zeigten bereits Wirkung. Die Zahlen aus Rußland seien „schwer einzuschätzen“, doch Menschen in Moskau beklagten sich bereits über höhere Preise, sie habe dies aus Gesprächen mitbekommen. „Wir wollten, daß Gazprom pleite geht, die machen Rekordgewinne“, konterte Steingart.
Wolfgang Ischinger, von ganzem Herzen Diplomat, lobte zwar die jüngsten ukrainischen Erfolge, gab jedoch zu bedenken, daß Rußland nach wie vor rund 20 Prozent des ukrainischen Territoriums unter Kontrolle habe und der Krieg noch lange nicht vorbei sei. Seine Hoffnung setzte er in eine starke Ukraine, die Rußland an den Verhandlungstisch zwingen könne. Moskau sollte die Krim erhalten, dann käme Putin gesichtswahrend aus der Situation heraus und könne dies der eigenen Bevölkerung als Erfolg verkaufen. Auf die Frage, wie er es mit der Lieferung von Kampfpanzern für Kiew halte, betonte Ischinger, das Wichtigste sei, keine Alleingänge zu wagen. Deutschland sollte nach Absprache mit den anderen Nato-Partnern handeln.
Weidel und Strack-Zimmermann zeigen sich bissig
Der letzte Teil der Sendung gehörte den beiden prominentesten Gästen: der Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses des Bundestages, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) und der Vorsitzenden der AfD-Bundestagsfraktion, Alice Weidel. Letztere war damit nach rund einem Jahr wieder einmal in einer Talkshow vertreten. Maischberger startete den großen Schlagabtausch mit einer kurzen Fragerunde. „Sollte Deutschland Kampfpanzer in die Ukraine liefern?“ Strack-Zimmermann: „Ja“, Weidel: „Nein“. „Sind die Sanktionen gegen Rußland ein Erfolg?“ Weidel: „Nein“, Strack-Zimmermann: „Ja“. Die FDP-Politikerin plädierte dafür, Putin vor das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag zu stellen, Weidel wandte sich diesbezüglich um eine klare „Ja oder Nein“- Antwort. Sie erkenne an, daß Rußland einen völkerrechtswidrigen Angriff gestartet habe, doch nach Den Haag „müßten noch ganz andere“.
Die gesamte Debatte werde viel zu verkürzt geführt, mahnte Weidel, bevor ihr Strack-Zimmermann mit der Frage „Also Sie sagen, daß das alles fake ist?“ ins Wort fiel. „Das habe ich nicht gesagt, Sie müssen mich ausreden lassen“, giftete Weidel zurück. Deutsche Politiker hätten primär deutsche Interessen zu vertreten.
Maischberger kann Debattenkultur nicht retten
Strack-Zimmermann wolle Deutschland zum Kanonenfutter machen, warf Weidel der FDP-Politikerin vor. „Es fällt mir schwer, ihr zuzuhören“, monierte Strack-Zimmermann. „Das kann ich mir vorstellen“, entgegnete Weidel und nannte ihre Kontrahentin eine „Lobbyistin der Rüstungsindustrie“, die sich in der Frage nach Waffenlieferungen in einem Interessenskonflikt befände. Die Retourkutsche Strack-Zimmermanns ließ nicht lange auf sich warten: Weidel habe kein Anrecht, von Anstand zu sprechen, schließlich habe sie in der Vergangenheit von „Kopftuchmädchen“ und „Messermännern“ gesprochen.
Maischberger hatte zu diesem Zeitpunkt die beiden Streithennen nicht mehr unter Kontrolle. Keine zwei Sätze konnten von einer Seite gesprochen werden, ohne daß die andere Seite unterbrach, nicht selten mit persönlichen Attacken oder themenfremden „Aber was ist mit“-Einwürfen.
Was bleibt, ist die Erkenntnis, daß Deutschland auf schwere Zeiten zugeht und daß akademische Grade und verantwortungsvolle Spitzenberufe nicht vor schlechtem Benehmen schützen.