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Michael Klonovsky zum 60. Geburtstag: Ein Fackelträger durch die Trübnis

Michael Klonovsky zum 60. Geburtstag: Ein Fackelträger durch die Trübnis

Michael Klonovsky zum 60. Geburtstag: Ein Fackelträger durch die Trübnis

Publizist Michael Klonovsky: Seinen unbekehrbaren Individualismus hat er in dem Satz zusammengefaßt: „Jede Seite ist die falsche“
Publizist Michael Klonovsky: Seinen unbekehrbaren Individualismus hat er in dem Satz zusammengefaßt: „Jede Seite ist die falsche“
Publizist Michael Klonovsky: Seinen unbekehrbaren Individualismus hat er in dem Satz zusammengefaßt: „Jede Seite ist die falsche“ Foto: picture alliance/Sebastian Kahnert/dpa
Michael Klonovsky zum 60. Geburtstag
 

Ein Fackelträger durch die Trübnis

Michael Klonovsky gehört zu der halben Handvoll Publizisten, die über eine eigene Handschrift verfügen. Der erzliberale Autor, der am Freitag seinen sechzigsten Geburtstag feiert, schreibt ohne Geländer und Sicherheitsgurt und frei von angemaßten, lausigen, längst widerlegten Autoritäten.
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Jeden zweiten oder dritten Tag zeigt der Publizist Michael Klonovsky aufs neue, daß auch in Zeiten wie der unsrigen, in denen das Unterste sich nach oben geschoben hat und die Herrschaft über Mensch und Klima beansprucht, ein wacher Geist nicht verzagen muß, sondern im Gegenteil allen Grund hat, sich herausgefordert zu fühlen. Im durchschnittlichen Zwei- oder Dreitage-Abstand ergänzt Klonovsky sein Internet-Tagebuch „Acta diurna“ (Geschehen des Tages) um einen neuen Eintrag und erläutert anhand des kleinen Beispiels den großen Irrsinn.

Dieser findet keineswegs nur oben statt, denn auf dem Marsch durch die Institutionen haben sich auf allen Ebenen viele kleine Irrsinnige etabliert, die freiwillig und wohlgemut den großen Schwachsinn vorantreiben. Klonovsky hat diesen dynamischen Prozeß scharfsichtig und scharfsinnig dokumentiert. Über die Jahre ist so das inoffizielle Journal einer Nation entstanden, die wild entschlossen der Vollendung ihrer Demenz entgegenstrebt.

Ein Kostprobe vom 30. Juli 2022: In der Wochenzeitung Die Zeit („Hamburger Zentralorgan der Volkspädagogen, Gouvernanten (m/w/d) und Schadgesinnungsbekämpfer“) hatte ein Literaturkritiker (den Klonovsky den „intellektuellen Tippelbrüdern“ zurechnet) den Dichter Novalis von wegen der Romantik und des Irrationalismus als Urheber der Covid-Impfskepsis identifiziert. Was wiederum einen Literaturprofessur zu einem – vom Verfasser als gleichfalls „irre“ bezeichneten – Dementi inspirierte. Derlei Grotesken, die dem „Zauberberg“-Kapitel „Der große Stumpfsinn“ entstammen könnten, heißen heute in der Bundesrepublik: demokratische Debatte mündiger Bürger in einer offenen Gesellschaft.

Frei von Respekt vor lausigen, längst widerlegten Autoritäten

Nun aber Klonovsky: „Natürlich, es ist Feuilleton, Lockendrehen auf Glatzen, Geschwätz; zu einem Räsonneur dieses Schlages würde auch die Frage passen, inwieweit die Neigung westlicher Manager, keine Krawatte mehr zu tragen, auf Rousseau zurückgeht. Seine typisch deutsche Note bekommt der Kokolores durch den ihm zugrundeliegenden Denunziationseifer, den typisch linken Hautgout durch die Schuldzuschreibung – Schuld geben ist seliger denn nehmen –, und das sogar, was wieder knalldeutsch ist, rückwirkend über Generationen hinweg.“ Er fährt fort mit einem Rekurs über das Buch „Die Zerstörung der Vernunft“, in dem der – eigentlich genialische, temporär dem Stalinismus verfallene – Georg Lukács den Nachweis erbrachte, daß so ziemlich die gesamte deutsche Kultur- und Geistesgeschichte eine vorweggenommene Hitler-Verzückung war.

Das kann kein anderer! Klonovsky gehört zu der halben Handvoll Publizisten, die über eine eigene Handschrift verfügen. Das erfordert mehr als eine künstlich verkomplizierte Syntax und exaltierte Wortschöpfungen. Handschrift bedeutet die Einheit aus erhellender Aussage und treffend-einprägsamer Formulierung, die bei ihm mal sarkastisch, mal satirisch, mitunter auch bitter ausfällt. Um auf dieses Niveau zu gelangen, reichen Talent, Sprachwitz, Bildung und Klugheit allein nicht aus. Es braucht den Mut, sich frei zu machen vom Respekt vor angemaßten, lausigen, längst widerlegten Autoritäten. Klonovsky schreibt ohne Geländer und Sicherheitsgurt.

Davon zeugen bereits die Titel der Sammelbände seiner „Acta Diurna“-Texte, die etwa heißen: „Die Liebe in Zeiten der Lückenpresse“, „Schilda wird täglich bunter“, „Goldstück-Variationen“, „Die neuesten Streiche der Schuldbürger“ oder „Im Ernstfall gibt es keine Konstrukte“. Dieser Tage ist der neueste Band „Im Abgang ein Hauch von Schwefel“ erschienen. Der Untertitel ist immer derselbe: „Reaktionäres vom Tage“.

Als Vorbilder lassen sich Nietzsche, Heine, Tucholsky, Thomas Bernhard ausmachen. Am plausibelsten aber erscheint ein Vergleich mit Karl Kraus, der von 1899 bis 1936 im Ein-Mann-Betrieb die Zeitschrift Die Fackel herausgab. Wie Kraus macht auch Klonovsky die Verderbtheit der Politik, des Kultur- und Medienbetriebs, der Institutionen an der Verkommenheit ihrer Sprache fest, an den kleinen, aber folgenreichen Verlogenheiten, den manipulativen Insinuationen, den Weglassungen und am falschen Pathos.

„Land der Wunder“ zeigt die Agonie der DDR auf

Klonovskys Interessen und Betätigungsfelder reichen noch viel weiter. Er hat einen historischen Roman („Der Ramses-Code“) und ein Buch über den Komponisten Giacomo Puccini („Der Schmerz der Schönheit“) verfaßt, andere Bücher beschäftigen sich mit dem Verlust des Helden, mit dem Weingenuß und anderen Lebenswerten. Sein satirischer Roman „Land der Wunder“ von 2006 befindet sich – wie auch „Die Insel“ von Matthias Wegehaupt – unter dem Radar des Literaturbetriebs, dennoch gehört es zu den besten literarischen Zeugnissen über die Agonie der DDR, die Wiedervereinigung und über das Verwestlichungsexperiment in den nunmehr „neuen Ländern“.

Er erzählt den atemberaubenden Aufstieg der Hauptfigur Johannes Schönbach vom jugendlichen Opfer staatlicher Diskriminierung und aus dem Paria-Dasein des Hilfsarbeiters zum hochbezahlten Starjournalisten und Münchner Penthouse-Bewohner. Kaum ist die Mauer gefallen, tauchen in den verunsicherten Zeitungsredaktionen der DDR die Retter aus dem Westen auf. Manche erweisen sich als Scharlatane, andere als sanfte Diktatoren. Nach einer kurzen Phase der Zügellosigkeit implementieren sie Verhältnisse und Regeln, unter denen gerade die bewährten SED-Schreiber sich erneut heimisch fühlten. Zum Schluß der Handlung wird es geradezu herzergreifend, und zwar völlig ohne Kitsch. Lesenswert!

Schönbach ist in vielem das Alter ego des Autors, der 1962 in Sachsen geboren wurde. Gut zwanzig Jahre lang, bis 2016, arbeitete er als Redakteur beim Focus, der einst als Gegen-Spiegel angetreten war, aber sich mehr und mehr als dessen schlechtere Karikatur herausstellte.

Klonovsky verfügt also über das Privileg des Systemvergleichs. Wenn der Bundespräsident verkündet: „Wir leben im besten Deutschland, das es jemals gegeben hat“, dann kontert er aus eigener Erfahrung: „Ich komme aus der DDR. Ich komme aus der Zukunft.“ Was wiederum die Variation eines berühmten Satzes von Karl Kraus sein könnte: „In dieser großen Zeit die ich noch gekannt habe, wie sie so klein war; die wieder klein werden wird, wenn ihr dazu noch Zeit bleibt …“

Klonovsky ist nicht rechts, sondern erzliberal

Als politisch wacher Mensch hat er sich ein weiteres Betätigungsfeld bei der AfD erschlossen. Einige Jahre war er der persönliche Referent von Alexander Gauland. Seitdem haftet ihm endgültig das Prädikat „umstritten“ an, das mehr und mehr zum Ehrentitel wird, dem „Dissidenten“ im real existierenden Sozialismus vergleichbar. Zwei in der Wolle gefärbte Merkel-Buben, die als FAZ-Herausgeber fungieren, brachte er zur Weißglut. Der eine, Berthold Kohler, behauptete in einem Kommentar, Klonovskys „Geschäftsmodell ist eines der Aufwiegelung, der Untergrabung der liberalen Demokratie und der Selbstzerfleischung ihrer Bürgergesellschaft“. Der zweite, Jürgen Kaube, attestierte ihm wegen seiner fehlenden Begeisterung für den Multikulturalismus eine „feinsinnige Niedertracht“.

Klonovsky wird von einem Mißverständnis verfolgt, von dem Mißverständnis, er sei „ein Rechter“. Nicht, daß ihn die Benennung stören würde, wenn sie denn nur zuträfe. Doch nichts könnte falscher sein. In Wahrheit ist er ein Erzliberaler, der zur Orthodoxie jedweder Art absolut unfähig ist. Diesem bekennend heterosexuellen, weißen, grundsätzlich deutschfreundlich gesinnten Mann ist es völlig egal, ob sein Gegenüber hetero oder schwul, ob schwarz, weiß oder gelb, ob Jude oder strohblonder Vollzeit-Arier ist. Sogar radikal linke oder rechte Weltverbesserer kann er tolerieren. Lediglich über menschlichen Anstand und Intelligenz müssen er, sie, es verfügen und von Missionierungsversuchen zum Schwul-, Links-, Rechts-, Schwarz- oder Sonstwas-Sein Abstand nehmen.

Seinen unbekehrbaren Individualismus hat er in dem Satz zusammengefaßt: „Jede Seite ist die falsche.“ Ein gesunder, selbstbewußter Egoismus hält ihn davon ab, sein persönliches Schicksal mit dem der trostlosen Welt in eins zu setzen. „Verschwände Deutschland über Nacht vom Planeten, würde das am Klima nichts ändern. Was mich betrifft: Ich wäre, auf das Risiko der Erwärmung, auch künftig gern mit von der Partie.“ Sein Humor, seine Ironie, sein mitunter beißender Hohn wendet sich nie gegen Schwächere, Erledigte, am Boden Liegende. Das unterscheidet ihn von den öffentlich-rechtlichen Clowns, die ihr Leiden an ihrem Opportunismus und ihrer Feigheit durch Sadismus an Wehrlosen zu kompensieren versuchen.

AfD-Direktkandidat im Wahlkreis Chemnitz

2021 war Klonovsky im Wahlkreis Chemnitz AfD-Direktkandidat für den Bundestag. Der Nominierungsparteitag für die Landesliste ließ ihn jedoch durchfallen und hat ihm damit – als Außenstehender darf man das so sehen – einen Gefallen getan. Seine Bonmots an die Adresse der im Plenarsaal versammelten, von der Links- bis zur CSU reichenden deutschen Einheitspartei wären nur die sprichwörtlichen, vor die Säue geworfenen Perlen gewesen. Die Zeiten, in denen Bismarck im Reichstag Schiller zitierte, Shakespeare im Original memorierte und bildungsaffine Sozialdemokraten darob widerwilligen Respekt empfanden, sind unwiderruflich vorbei.

Karl Kraus verfiel, als die Verhältnisse gekippt waren, in ein monatelanges Schweigen, das er mit den Versen erklärte: „Das Wort erstarb, als jene Welt erwachte.“ Diese Befürchtung muß man bei Klonovsky auf absehbare Zeit nicht haben. Seine geschliffenen Worte wollen kein Schwert sein, sie wirken wie eine Fackel in der allgemeinen Trübnis. Am 19. August wird der Fackelträger runde sechzig.

JF 34/21

Publizist Michael Klonovsky: Seinen unbekehrbaren Individualismus hat er in dem Satz zusammengefaßt: „Jede Seite ist die falsche“ Foto: picture alliance/Sebastian Kahnert/dpa
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