Es begann als eine von Millionen Vollstreckungen des Rundfunkbeitrags – jetzt ist es Zeitgeschichte im Gefängnis: Der Westdeutsche Rundfunk wollte Georg Thiel hinter Gittern sehen, und er verhinderte am 11. Mai 2021 sogar eine Freilassung. Der Kölner Sender intervenierte wiederholt. Er war hinter den Kulissen treibende Kraft; das beweisen Akten, die beim Verwaltungsgericht Münster liegen. Sie offenbaren noch viel mehr: Der Fall Thiel könnte zur Blaupause werden. Beim WDR denken sie über weitere Verhaftungen von Beitragsrebellen nach.
Georg Thiel zahlt keinen Rundfunkbeitrag, weil er ARD und ZDF nicht nutzt. Vom 25. Februar bis zum 24. August 2021 sitzt er seine Zeit unter Schwerverbrechern ab, 181 Tage: Deutschlands bekanntester Häftling, Deutschlands irrsinnigste Haft – ausgerechnet für Deutschlands umstrittenste Zwangsabgabe.
Schieben wir einmal die 465 Euro beiseite. Die hätte der WDR laut Kostenaufstellung gewonnen, aber Georg Thiel ist vor dem Haftbefehl nicht eingeknickt. Lassen wir auch den Rundfunkbeitrag außer Acht. Was gibt es über den Sinn oder den Irrsinn dieser Zwangsabgabe noch zu sagen, wenn ein Mensch im Gefängnis sitzt?
Sprechen wir über die Haft und den Rundfunk: Ist die ARD von allen guten Geistern verlassen? Möchte sie die Zeit jetzt gewaltsam zurückdrehen? Reitet sie auf dem Rücken der Behörden eine Vollstreckungswelle nach der anderen? Will sie Millionen wieder zum Zahlen erziehen – durch das ultimative Gewaltmittel in diesem Land: Ist der Haftbefehl nun das Mittel der Wahl?
Erleben wir einen Rundfunk, der Menschen drangsaliert, ihr Leben ruiniert und das hinterher als Kollateralschaden abtut? Möchten Senderbosse wie Tom Buhrow diese Verantwortung wirklich schultern und wie erklären sie uns das? Gar nicht. Der Westdeutsche Rundfunk verteidigt die Haft von Georg Thiel monatelang mit Zähnen und Klauen, und dabei stört vor allem eines: die Wahrheit.
Wenn der Rundfunk von Paragrafen raunt
Bereits am 2. März, wenige Tage nach der Verhaftung von Georg Thiel, schreibt die Kommunikationsabteilung des WDR per Mail: Eine Vermögensauskunft mit Haft, also bis zu sechs Monate Gefängnis, das „ist in Deutschland so üblich und greift z.B. auch bei nicht bezahlten Knöllchen oder Müllgebühren“. Der WDR erfährt von den „schärferen Maßnahmen“ leider „oft erst im Nachgang“.
Er hatte die Vollstreckung zwar ausgelöst, ist aber „nicht mehr Herr des Verfahrens“. „Beamte“ hätten die Haft „angeordnet“. Ach, hätte der WDR dabei doch bloß mitreden dürfen, denn er steht zu seinem Wort: „Aus Sicht des WDR ist eine sog. Erzwingungshaft im Zusammenhang mit dem Rundfunkbeitrag in der Regel nicht verhältnismäßig.“
Fassen wir zusammen: Der WDR will von Thiels Verhaftung nichts gewußt haben. Schließlich läßt die ARD doch keine Menschen verhaften. Schuld sind immer die anderen. Zu viele Politiker und Journalisten plappern bei jedem neuen Haftfall des Rundfunks die immer gleichen Textbausteine nach. Es bleibt ein wortreiches Nichts, denn die ganze Wahrheit benötigt bloß einen Satz: Georg Thiel wollte nicht an den WDR zahlen, der WDR hat auf die Verhaftung gedrängt, es war ein ungleiches Machtspiel.
Auf der einen Seite ist da ein Mensch – auf der anderen Seite diese Rundfunkmaschine, die offenbar eines antreibt: ihre Angst, daß unsere Milliarden morgen nicht mehr fließen. Thiel ist nicht der Erste, der so gebrochen werden soll, und er wird nicht der Letzte sein. Haft & Rundfunk – das hat Methode. Inzwischen liegt ein Aktenberg zur Causa Thiel am Verwaltungsgericht Münster. Jedes Blatt für sich ist bloß ein Mosaikstein; zusammengesetzt zeigen sie ein schonungsloses Sittengemälde des WDR in Köln. Unter dem Etikett „Beitragsservice“ treibt er federführend für ARD und ZDF unsere Milliarden ein. Der Sender mit der Maus, das ist der Sender mit den Mäusen.
Unter einem Aktenberg begraben: Sag mir, wo die Fakten sind
Der Weg ins Gefängnis beginnt für Georg Thiel am 23. September 2020 – ein halbes Jahr, bevor er verhaftet wird: Im Borkener Rathaus klingelt das Telefon. Der WDR möchte mit der Stadtkasse sprechen. Eine Mitarbeiterin nimmt das Gespräch entgegen, und sie dokumentiert in einem Aktenvermerk: Nach „Rücksprache mit Frau […] vom WDR soll der Haftbefehl vollstreckt werden“. Nur wenige Stunden später, am 24. September, schreibt die Stadtkasse an das Amtsgericht Borken: „Sie werden beauftragt, die Verhaftung des Schuldners durchzuführen.“
Am 4. November schreitet der WDR wieder am Schreibtisch zur Tat: Beim Amtsgericht Borken klingelt das Telefon, eine Gerichtsvollzieherin nimmt den Hörer in die Hand. Sie wird Georg Thiel später verhaften lassen, und sie notiert jetzt in einem Aktenvermerk: „Ich habe heute einen Anruf […] des Westdeutschen Rundfunks in Köln erhalten.“ Der WDR möchte wissen, „ob bereits eine Verhaftung stattgefunden habe“. Noch nicht.
Die Gerichtsvollzieherin notiert sich die Anweisungen aus der Anstalt: Der Sender von Intendant Tom Buhrow halte „am Verhaftungsauftrag und dem entsprechenden Haftbefehl fest“. Allerdings „soll die kommende Woche abgewartet werden, […] um die aktuelle Situation und weitere Entwicklung (evtl. Presseanfragen etc.) abzuwarten“.
Anruf genügt
„Man erklärte mir weiterhin“, schreibt die Gerichtsvollzieherin, daß der WDR einen „Verdacht“ habe: Georg Thiel sei ein „Reichsbürger“. Das ist ein verhängnisvoller Verdacht – und ohne Beweise sogar eine Verleumdung, also eine Straftat. Was macht Georg Thiel zum Staatsfeind? Nun wird es in der Aktennotiz haarsträubend: Beim WDR seien „diverse Schreiben des Schuldners eingegangen“, er habe darin „seinen Unmut über die GEZ-Gebühren“ geäußert.
Dieses Muster taucht in den Haftfällen des WDR verdächtig oft auf: Als Markus Lynen im Februar 2018 in die JVA Ossendorf eingeliefert wird, entdeckt er ein Formular auf dem Tresen: „Ich habe dann genauer hingesehen, da stand ein Wort, mit einem Kugelschreiber geschrieben. Ich war fassungslos und sagte dem Polizisten: ‘Hör mal, warum steht denn hinter meinem Namen Reichsbürger? Ich bin Altenpfleger. Ich habe damit gar nichts zu tun.’“
Keine Frage: Lynen oder Thiel wollen für den Rundfunk unbequem sein, und sie wollen mit den Medien sprechen. Wenn die ARD die Menschen aber nicht mehr vom Rundfunkbeitrag überzeugen kann, erklärt sie uns dann auch alle zu Staatsfeinden? Im Fall Thiel ist ein extrem effizienter „Verdacht“: Schon die bloße Reizvokabel „Reichsbürger“ versetzt schlafende Behörden in Alarmbereitschaft. Allerdings soll die Gerichtsvollzieherin noch eine Woche abwarten. Der WDR möchte sich scheinbar vergewissern, daß die Luft rein ist.
Am 11. November ist die Schonfrist für Georg Thiel vorbei: Kein Journalist hat beim Westdeutschen Rundfunk angerufen. Zum dritten Mal greift der WDR in Köln zum Hörer. Wieder klingelt das Telefon beim Amtsgericht Borken, die Gerichtsvollzieherin erhält finale Instruktionen: Die „Abteilung Beitragsservice“ habe „Rücksprache mit der Rechtsabteilung gehalten“ und „bitte nun um Fortsetzung des Verfahrens“.
Schildbürgerstreich: Leider kein Blutbad in Borken
Die Gerichtsvollzieherin schreibt an die JVA Münster. Sie möchte wissen, ob „im Hinblick auf die aktuelle Corona-Pandemie“ die „Einlieferung“ von Georg Thiel machbar ist. Ja, Nichtzahler des Rundfunks bekommen in Münster trotz Corona einen Haftplatz; zunächst in der Vier-Mann-Zelle.
Schwieriger gestaltet sich Punkt zwei auf dem Arbeitsplan: „polizeiliche Unterstützung bei der Verhaftung“. Die Gerichtsvollzieherin schreibt an die Borkener Polizei (siehe oben) und bittet um eine Eskorte für ihren Besuch bei Georg Thiel. Der Antrag ist gespickt mit explosivem Vokabular: „Reichsbürger“, „gewalttätiger Widerstand“, „gefährdungsrelevante Aspekte“.
Darf die Blüte der Borkener Beamtenschaft blutig dahingemetzelt werden – und das durch einen Rundfunkterroristen? Zum Glück hat der WDR rechtzeitig gewarnt! Die Polizei sendet Späher aus. Es beginnt ein Schildbürgerstreich, der sich aus einem „Verdacht“ des WDR nährt.
Beide Seiten wissen nichts voneinander und sie sprechen auch nicht miteinander. Die Polizei weiß nicht, wie harmlos Thiel ist. Thiel weiß nicht, wie gefährlich er sein soll. Zur Erinnerung: Auslöser für all das ist ein Streit wegen dieser sinnentleerten Zwangsabgabe für ein paar Fernsehsender. Ein Mann ist im Fadenkreuz, und Thiel erkennt es erst, als er zufällig aus dem Fenster blickt: Ein Uniformierter schleicht über den Hof, kundschaftet die Lage aus und verschwindet lautlos.
„Ich habe geglaubt, es ist so weit“, sagt Georg Thiel. Er versteht nicht, was in der Borkener Bürokratie passiert. Die JUNGE FREIHEIT berichtete bereits über diese Odyssee zwischen Amtsgericht und Polizeiwache. Am Ende will er es hinter sich bringen: „Hier ist mein Haftbefehl, jetzt verhaften Sie mich!“ Die Polizisten schicken Thiel wieder nach Hause. Man könne ihn nicht verhaften, die Gerichtsvollzieherin müßte zuerst einen Termin bestimmen und dann die Anweisung zum Verhaften geben. Ein Teufelskreis: Die Justizbeamtin fürchtet Thiels „gewalttätigen Widerstand“.
Spät, sehr spät kommt die deeskalierende Idee: Ein Streifenpolizist vom Bezirksdienst klingelt todesmutig an der Haustür und stellt sich bei Georg Thiel vor. Auch dieses Gespräch landet beim Amtsgericht Borken in den Akten. Der beherzte Beamte rapportiert am 10. Februar der Gerichtsvollzieherin am Telefon. Georg Thiel sei ihm im Gespräch „sehr klar erschienen“, es war eine „normale Unterhaltung“ möglich und Thiel habe sogar erklärt, „daß er bei einer künftigen Verhaftung keinen Widerstand leisten werde“. Das wollte er nie.
„Ich will auf dieses Problem aufmerksam machen“
Am 25. Februar 2021 schützen zwei Polizisten das Leben der Gerichtsvollzieherin. Georg Thiel öffnet die Wohnungstür und bittet alle Besucher herein. Er leistet keine „freiwillige Zahlung“ des Rundfunkbeitrags, er gibt keine „freiwillige Vermögensauskunft“. Die Gerichtsvollzieherin läßt ihn um 10:15 Uhr verhaften. Was kostet es, in Deutschland einen Menschen ins Gefängnis zu bringen? 39 Euro für die Verhaftung, 20 Euro für den Haftbefehl, die Fahrt ins Gefängnis geht auf Staatskosten: Thiel sitzt auf der Rückbank eines Streifenwagens, er wird in Münster am Gefängnistor abgeladen, der Haftbefehl wird übergeben; die Tür schließt sich für ihn. Wie lange kann eine solche Haft schon dauern? Im Normalfall sind es nur Stunden, der Schock in der Zelle genügt. Thiel möchte aber nicht aufgeben und bis zur Höchstdauer von sechs Monaten durchhalten: „Ich will auf dieses Problem aufmerksam machen.“
Im Grunde ist das Problem sehr einfach: Thiel besitzt weder Fernseher noch Radio. Er will nicht für ein Programm zahlen müssen, das er nicht schaut und dem er nicht traut. Er hat wenig Geld und das möchte er weder ARD noch ZDF geben, weil dann nichts mehr für andere Medien übrigbleibt. Er sieht darin das Gegenteil von Ausgewogenheit und Vielfalt und nach einer aktuellen Insa-Umfrage ist Thiel damit nicht allein: 31 Prozent der Deutschen halten die Öffentlich-Rechtlichen inzwischen für parteiisch, nur noch 45 Prozent glauben an eine ausgewogene Berichterstattung.
Millionen waren wie Georg Thiel einmal offiziell von der GEZ befreit, jetzt nimmt der Rundfunk jeden in die finanzielle Kollektivhaftung, nur, weil er wohnt. Wer sich nicht fügen will, der wird mit staatlichen Zwangsmitteln malträtiert. „Das ist doch Wahnsinn, welche Rechte die haben und wie das alles ineinander verzahnt ist. Es sind doch nur Sender, wer hat das bloß zugelassen?“ Thiel tut, was sich Millionen andere nicht mehr trauen: Er sagt bis zum Schluß: „Nein!“ – mit allen Konsequenzen.
> Lesen Sie am Mittwoch Teil II: Borken erkennt nach acht Wochen: Thiels Haft ist nicht mehr verhältnismäßig. Die Stadt will einen Schlußstrich ziehen, Georg Thiel soll freikommen – doch der WDR legt sein Veto ein.
Am Donnerstag erscheint Teil III: Auf der Zielgeraden: Wie ein Anwalt Georg Thiel aus dem Gefängnis holen will.