Nicht auf gute Wortwahl, sondern auf das richtige „Wording“ pocht das politisch korrekte Deutschland. Anglizismen tauchen vorzugsweise immer dann auf, wenn etwas aus dem Lot gerät. So ist es auch hier: Der Ausdruck „Wording“ soll dabei helfen, etwas zu verschleiern. Auf den ersten Blick könnte der Unbefangene denken, „Wording“ beschreibe das Trachten nach möglichst treffenden und verständlichen Wörtern. Weit gefehlt! Es ist vielmehr nichts anderes als ein schönfärberisches Wort für Zensur.
So verhält es sich auch in einem jüngst bekannt gewordenen Fall. Das baden-württembergische Regierungspräsidium Freiburg entsandte eine Bibliothekarin nach Bad Dürrheim. Einsatzort für Christina Kälberer, so heißt die Dame, war die Stadtbücherei. Der Auftrag der Bücherschnüfflerin lautete unter anderem, bei Jugend- und Kinderbüchern auf das zeitgemäße „Wording“ zu achten, berichtet der „Südkurier“.
Bücher werden vernichtet
Außerdem äugte die Bücherschnüfflerin nach der Orthographie, „wobei die richtige Schreibweise gerade für Kinder wichtig ist.“ Damit meint Kälberer, daß Kinder vor der traditionellen Rechtschreibung behütet werden müssen. Das Regierungspräsidium glaubt offenbar, die mißlungene Rechtschreibreform oder die orthographisch chaotischen Texte in Facebook und Whatsapp hätten mit der wachsenden Rechtschreibschwäche nichts zu tun. Möglicherweise liegt es auch nur daran, daß die Regierung die Rechtschreibung im Internet und in der Schule viel schlechter kontrollieren kann als in Stadtbüchereien.
Alles in allem kamen 40 Prozent des Büchereibestands in den Reißwolf, insgesamt rund 3.200 Werke. Daß eine Bücherei Bücher zerstört, die in besserer Rechtschreibung verfaßt sind, ist kein Einzelfall. Die Rechtschreibreform führte zur größten Büchervernichtung seit dem Zweiten Weltkrieg. Daß nun auch gezielt nach verfemten Wörtern geschnüffelt wird, ist weniger bekannt. Als Beispiel für Wörter, die dem „Wording“ zum Opfer fielen, nennt Kälberer „Neger“.
„Nutte“ erlaubt, „Neger“ nicht
Das Wort „Neger“ gilt als schlimm. So verurteilte das Amtsgerichts Barmbek eine 78jährige Radfahrerin wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 100 Euro. Sie hatte einen Schüler zurechtgewiesen, weil er den Radweg blockierte. Der antwortete bloß: „Nutte, was willst du von mir?“ In der folgenden Auseinandersetzung nannte die Rentnerin den Jungen „Neger“. Der Schüler zeigte sie an und bekam recht. Seine Beleidigung der alten Frau als „Nutte“ blieb hingegen straffrei. Der dunkelhäutige Junge hatte offenbar das richtige „Wording“.
Doch Negerfreunde können sich gelegentlich auch freuen: Der Thienemann-Verlag kündigte nun zum 55. Geburtstag von „Jim Knopf“ an, das Wort „Neger“ aus dem Kinderbuch-Klassiker Michael Endes nicht zu streichen. Derselbe Verlag hatte vor zwei Jahren noch Otfried Preußler auf dem Sterbebett die Erlaubnis abgerungen, das Wort „Negerlein“ aus der „Kleinen Hexe“ streichen zu dürfen. Michael Ende ist bereits seit zwanzig Jahren tot.
Es geht um die folgende Stelle: „‚Ein Baby!‘, riefen alle überrascht, ‚ein schwarzes Baby!‘ – ‚Das dürfte vermutlich ein kleiner Neger sein‘, bemerkte Herr Ärmel und machte ein sehr gescheites Gesicht.“ 2013 machte die damalige Familienministerin Kristina Schröder ein sehr gescheites Gesicht, während sie sich mit der Aussage blamierte, sie würde hier lieber von einem „kleinen Baby mit schwarzer Hautfarbe“ sprechen, wenn sie ihren Kindern vorlese. Folglich würde Frau Schröder vortragen: „‚Ein Baby!‘, riefen alle überrascht, ‚ein schwarzes Baby!‘ –‚Das dürfte vermutlich ein kleines Baby mit schwarzer Hautfarbe sein‘, bemerkte Herr Ärmel und machte ein sehr gescheites Gesicht.“
Auch durch Vorlesen kann man also Bücher zerstören. Wer aber „Jim Knopf“ vorlesen möchte, dürfte in der Stadtbücherei in Bad Dürrheim nicht fündig werden, denn Michael Ende kannte nicht das regierungsamtliche „Wording“ der Bücherschnüffler anno 2015.