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Litertaur: Bohemien, Kranker, Genie: Das unruhige Leben des Robert Louis Stevenson

Litertaur: Bohemien, Kranker, Genie: Das unruhige Leben des Robert Louis Stevenson

Litertaur: Bohemien, Kranker, Genie: Das unruhige Leben des Robert Louis Stevenson

Links sieht man den britischen Schriftsteller Robert Louis Stevenson auf einem Porträt, mit Schnauzbart und verschränkten Armen, auf dem rechten Bild ist Stevenson in der Südsee zu sehen, umringt von Eingeborenen
Links sieht man den britischen Schriftsteller Robert Louis Stevenson auf einem Porträt, mit Schnauzbart und verschränkten Armen, auf dem rechten Bild ist Stevenson in der Südsee zu sehen, umringt von Eingeborenen
Der britische Schriftsteller Robert Louis Stevenson auf einem Porträt, Stevenson in der Südsee. Foto: picture alliance / opale.photo | Archives ZEPHYR / picture alliance / Mary Evans Picture Library | –
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Bohemien, Kranker, Genie: Das unruhige Leben des Robert Louis Stevenson

Vor 60 Jahren flimmerte Die Schatzinsel über die deutschen Bildschirme – ein Weihnachtsvierteiler, der Generationen prägte und Robert Louis Stevenson zum Klassiker machte. Doch der schottische Autor war weit mehr: Er schuf ein Werk, das von moralischer Tiefe und dichterischer Eleganz lebt.
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Welche Jugendlichen hat vor ziemlich genau 60 Jahren nicht jener legendäre TV-Weihnachtsvierteiler um Jim Hawkins, John Silver und Captain Flint begeistert? „Die Schatzinsel“ (Regie: Wolfgang Liebeneiner) war seinerzeit ein Straßenfeger. Für den Darsteller des Jim, Michael Ande, war es der Beginn einer großen Karriere.

Das Buch zur Serie lag folgerichtig in jenem Jahr 1966 unter vielen Weihnachtsbäumen. Für die meisten Lesehungrigen war es die erste Begegnung mit Robert Louis Stevenson – der aber in jener Zeit zumindest in Deutschland meist als Autor von zwei, drei Abenteuerromanen für die Jugend und mit einigen Schauergeschichten abgetan war und es leider auch heute noch ist. Dabei ist Stevensons Werk von großer Vielfalt: Neben Romanen und Novellen entsprangen Reisebeschreibungen, Essays, Gedichte und Theaterstücke seiner Feder – das meiste davon gerade nicht für die Jugend verfaßt.

Von der Vielzahl seiner Briefe ganz abgesehen. 26 Bände umfaßt die englischsprachige Gesamtausgabe. Eine deutsche gibt es bis heute nicht, die umfassendste Werkausgabe ist eine zwölfbändige Auswahl (herausgegeben von Curt und Marguerite Thesing), die 1924-27 in nur einer Auflage erschien und auch nur sehr selten antiquarisch erhältlich ist. Der Schweizer Diogenes Verlag brachte sie in den 1980er Jahren in einer lieblos gestalteten Taschenbuchedition heraus, doch ist auch diese inzwischen vergriffen.

Stevenson hatte etwas Bohèmehaftes

Daß Stevenson, abgesehen von der „Schatzinsel“, hierzulande nicht jene Breitenwirkung besitzt,  die ihm aufgrund der Qualität seines umfangreichen Œuvres gebühren sollte, mag teils in der doch recht unkonventionellen Lebensgeschichte des Autors, aber auch in der Mannigfaltigkeit seiner Produktion zu suchen sein; die seriöse Literaturwissenschaft ist daher nicht willens, ihn an die Seite anderer großer britischer Schriftsteller wie beispielsweise eines Walter Scott, Charles Dickens oder einer George Eliot einzureihen – die in ihrem Schaffen eben nur die Gattung Roman bedienten.

Robert Stevenson: Die Schatzinsel. 72 Seiten, Arena-Verlag, Jetzt beim JF-Buchdienst bestellen
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Die Biographie des Dichters hat in der Tat etwa Bohèmehaftes. Die übergroße, hagere, ja ausgemergelt zu nennende Gestalt, das schulterlange Haar und der manirierte Schnurrbart trugen sicherlich ebenfalls dazu bei, diesen Ruf zu verstärken. Stevenson, Sohn eines schottischen Ingenieurs, sollte nach Wunsch des Vaters dessen Beruf erlernen. Von Jugend an lungenleidend, brach er 1871 das Ingenieurstudium ab, wollte Schriftsteller werden, was der Vater nur tolerierte, wenn der Sohn zuvor einen „ordentlichen“ Beruf erlernte.

Stevenson studierte nun Jura, schloß 1875 das Studium ab, doch die aufkeimende Tuberkulose läßt ihn den Beruf nach und nach aufgeben. Er suchte Heilung in der Natur und durchwanderte mit einem Freund England und Frankreich. Dort lernte 1876 die acht Jahre ältere, verheiratete Amerikanerin Fanny Osbourne und deren zwei Kinder kennen, die er 1880 heiratete. 1878 durchwanderte Stevenson Zentralfrankreich, der entstandene Reisebericht „Mit dem Esel durch die Cevennen“ wurde anfangs wenig beachtet, gilt aber heute als eine Art Baedeker, der mit seinen eingestreuten Anekdoten und der Selbstironie des Autors ein Lesevergnügen ist. Die Route der Tour ist heute ein vielbegangener Wanderweg.

Am Ende siedelte er in die Südsee

In den folgenden Jahren hielt sich Stevenson mit Fanny wiederholt in den USA auf, doch zwang ihn die schwindende Gesundheit – Stevenson mußte des öfteren ganze Wochen im Bett verbringen, wenn sein Leiden einen neuen Schub bekam – ab 1881 zu mehreren Kuraufenthalten in Davos. Auch Frankreich wurde immer wieder aufgesucht. 1882 war sein erster Roman „Die Schatzinsel“ vollendet, der bereits zu Lebzeiten ein weltweiter Erfolg wurde und bis heute 31mal verfilmt wurde.

1886 ließ der Dichter mit „Entführt“ (Kidnapped) einen weiteren sehr erfolgreichen Roman folgen. Die Handlung spielt in den schottischen Highlands und erzählt von einem jungen Mann, der 1751 manch Strapaze durchlebt, da er von seinem Onkel um sein Erbe betrogen werden soll. Unter dem Titel „Die Abenteuer des David Balfour“ wurde auch dieses Buch als Weihnachtsvierteiler verfilmt (mit dem heute vergessenen Ekkehardt Belle in der Titelrolle) und flimmerte im Dezember 1978 über die Bildschirme. 1893 ließ Stevenson mit „Catriona“ eine Fortsetzung folgen.

Bis zum Tod des Vaters 1887 lebte Stevenson mit seiner Frau je nach Jahreszeit in England und Schottland. Auf Rat der Ärzte ziehen beide zusammen mit Stevensons Mutter in die USA, in die Adirondack Mountains, wo der Dichter in einem Sanatorium sein inzwischen lebensbedrohendes Lungenleiden kurieren wollte. Die Eindrücke einer Südseereise des folgenden Jahres veranlaßten Stevenson 1889 zur gänzlichen Übersiedlung dorthin, die man durchaus eine Flucht nennen kann.

Die Novellen reichen von Horrorgeschichten bis zum Humor

In Vailima auf Samoa erwarb er ein Haus, und setzte dort seine schriftstellerische Arbeit fort, teils in Zusammenarbeit mit seinem Stiefsohn Lloyd. Er genoß bei den Einheimischen ein hohes Ansehen – sie verehrten ihn als „Tusitala“ (Geschichtenerzähler).  Das Lungenleiden schien sich zu bessern. Neue Romanprojekte wurden in Angriff genommen. Doch verstarb er völlig unerwartet am 3. Dezember 1894 an einem Gehirnschlag. Sein letzter, posthum 1896 veröffentlichter, unvollendeter Roman „Die Herren von Hermiston“ begeisterte übrigens den alten Fontane.

Wenngleich die „Schatzinsel“ und „Entführt“ sicherlich Stevensons Namen weltweit bekannt werden ließen, manifestiert sich das eigentliche Wesen des Dichters in seinen Novellen. Sie weisen eine ausgesprochene Vielfalt an Handlungsorten wie Charakteren auf. Teils sind es realistische Erzählungen in historischem Milieu („Das Nachtquartier“, „Olalla“), teils sind es wirkliche Gespenstergeschichten aus den Hochlanden (u. a. „Die krumme Janet“), oft sind es Kriminalgeschichten („Die tollen Männer“, „Der Pavillon in den Dünen“, „John Nicholsons unglückliche Abenteuer“), daneben gibt es leicht parodistische Detektivgeschichten („Der Selbstmörderclub“, „Der Diamant des Radschas“) und unheimliche realistische Erzählungen („Markheim“, „Der Leichendieb“).

Es gibt des weiteren Allegorisches („Will aus der Mühle“). Eine Sonderstellung nimmt „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ ein, der das Motiv der gespaltenen Persönlichkeit aufgreift – eine Thematik, von der Stevenson sich ein Leben lang angezogen fühlte. Die Novelle war neben den beiden erwähnten Romanen mit der größte dichterische Erfolg, davon zeugen allein 36 (!) Verfilmungen zwischen 1908 und 2015. Zu erwähnen von diesen sei der leider verschollene Film „Der Januskopf“ (1920) von Friedrich Wilhelm Murnau.

Es geht um die Frage mach Gut und Böse

Diese sicherlich berühmteste Novelle des Dichters schrieb er 1886 in seinem Haus in Bournemouth, sitzend im Krankenbett, in einem Stück. Fanny lehnte sie als zu reißerisch ab, außerdem habe sie „keinen inneren Gehalt“. Stevenson vernichtete daraufhin das Manuskript und schuf in sechs Tagen das Werk in der heute bekannten Fassung von 60.000 Worten – physisch wie psychisch eine erstaunliche Leistung. Und die auf Samoa entstandenen Erzählungen präsentieren Realistisches wie Unheimliches, doch vor dem Hintergrund einer vom Dichter als paradiesisch empfundenen Welt.

Fast in allen Novellen ist die Frage nach Gut und Böse, nach Recht und Unrecht unüberhörbar. Diese moralisierende Tendenz ist jedoch unaufdringlich, da es erstens der Dichter mit feinem Empfinden versteht, die Atmosphäre des jeweiligen Geschehens, dessen Ort und Zeit mit einer höchst subtilen Phantasie zu intensivieren und darin den Leser zu fesseln.

Das gilt aufs Schönste für die Südsee-Erzählungen (vor allem den „Flaschenteufel“) aus den letzten Lebensjahren (denen eine besondere Aura auch naturgemäß schon innewohnt), wie auch bereits für die frühen Werke. In seiner ersten Novelle „Das Nachtquartier“ (1878) erhält der herumstreunende Poet François Villon Unterkunft bei einem Adeligen und wird von diesem in einen Disput über Moral und Ehre verwickelt, als Villon einer aus materieller Not entstandenen freien Anarchie das Wort redet.

Auch die finsteren Figuren faszinieren

Stevenson baut in die Novelle neben diesem Dialog großartige Schilderungen der winterlichen Landschaft des Jahres 1456 ein, so wie er auch eine überzeugende Charakterisierung des alten Adligen schafft. Er bedient sich, wie es oft in der Sekundärliteratur zu lesen ist, in all seiner Prosa eines besonders „geschliffenen“ sprachlichen Ausdrucks.

Und schließlich gilt: Die Unaufdringlichkeit von Stevensons Moral resultiert zweitens aus seinem Interesse an der Problematik der Persönlichkeitsspaltung. Denn viele von Stevensons negativ gezeichneten Romanfiguren sind schlußendlich gar nicht so unsympathisch oder „faszinieren bei aller Verworfenheit“, wobei sehr oft „alle sittliche Problematik undiskutiert bleibt“, wie es der Stevenson-Biograph Michael Reinbold ausführt.

John Silver in der „Schatzinsel“ wird im ersten Teil des Buchs als höchst brutale, ruchlose Person vorangekündigt, man spricht nur mit größter Angst von ihm – bei seinem Erscheinen dann ist er ein eher gemütlicher, älterer, mobilitätseingeschränkter Seemann, der Jim Hawkins immer wohlwollend gegenübersteht und am Ende des Buchs nur (mit etwas Geld aus Flints Schatz und seiner dunkelhäutigen Lebensgefährtin) seinen Lebensabend ohne Sorge genießen will.

„Es gibt wenige, die mehr geleistet haben“

Der Sire Alain aus „Die Tür des Sire Malétroit“, der Onkel Ebenezer Balfour aus „Entführt“ oder Mr. Northmour aus „Der Pavillon in den Dünen“ sind zwar ziemliche Bösewichte, rühren uns aber dennoch an, vielleicht der Gestalt des „Don Giovanni“ vergleichbar. Ähnliches gilt für die Titelfigur im Roman „Der Junker von Ballantrae“.

Und der dämonische Dr. Jekyll verliert einen großen Teil seines übernatürlichen Schreckens, wenn man Stevensons ganz persönliche Position zur Frage der Persönlichkeitsspaltung bedenkt: Er schrieb einmal, daß „wir alle gleichzeitig Jekyll und Hyde sind, in uns wohnt das Böse und Gute nebeneinander … und in uns allen das Böse überwiegt. Wir alle haben Begierden, die wir zurückdrängen, da sie unseren Anschauungen von Anstand und Moral zuwiderlaufen. Versäumen wir es, sie im Zaum zu halten oder sie zu befriedigen, verlieren wir die Herrschaft über sie … Es erheben sich Süchte bis hin zu Sadismus und Mordgier.“

Es liegt die Vermutung nahe, daß Stevenson diese dunklen Kräfte deutlich in sich spürte und sie ihn mit Angst erfüllten. Doch es gelang ihm, sie durch dichterisches Schaffen zu bändigen. Der britische Literaturhistoriker David Daiches würdigte Stevenson 1951: „Er hat die Grenzen der Prosaerzählung ausgeweitet und einige der bedeutendsten Prosawerke der englischen Literatur hervorgebracht. Er hat zum Vergnügen späterer Generationen eine Menge guten Lesestoffs hinterlassen und ein bewundernswertes Leben geführt. Es gibt wenige, die mehr geleistet haben!“

Der britische Schriftsteller Robert Louis Stevenson auf einem Porträt, Stevenson in der Südsee. Foto: picture alliance / opale.photo | Archives ZEPHYR / picture alliance / Mary Evans Picture Library | –
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