Souverän ist, wer Andersdenkende mit der Populismuskeule vom Diskurs ausschließen kann. Was der Staatsrechtler Carl Schmitt vor gut hundert Jahren so einprägsam über den Ausnahmezustand formulierte, beschreibt heute den Versuch selbsternannter Demokraten, der politischen Konkurrenz zu diskriminieren. Wer andere als Populisten brandmarkt, will nicht diskutieren, sondern stigmatisieren und politisch vernichten. Der Begriff hat sich im politischen Nahkampf als tauglich erwiesen, da er zum einen eindeutig negativ konnotiert ist. Des weiteren eignet er sich aufgrund seiner definitorischen Unschärfe gut als Projektionsfläche zur Markierung des Feindes.
Der erste als Populist Verfemte war der FPÖ-Politiker Jörg Haider, dem es nach einem fulminanten Wahlerfolg 2000 gelang, in Österreich als Juniorpartner eine Koalition mit der ÖVP zu schmieden. Ganz Europa, so erinnert sich der ehemalige Leiter der Parlamentsredaktion von Bild und heutige Nius-Journalist Ralf Schuler in seinem neuen Buch „Der Siegeszug der Populisten“, war schockiert: Ein „Rechtsextremer“, ein „Faschist“, ein „Nazi“ an der Macht, welch eine Schande! Haider wehrte sich erfolgreich mit juristischen Mitteln gegen diese Diffamierungen. Übrig blieb schließlich der Begriff Populist, eben weil er hinreichend unscharf und somit rechtssicher war und doch jeder zu wissen schien, was damit gemeint war.
Populisten sind Teil eines demokratieinternen Konflikts
Schulers Buch hat das Potential, zu einem Standardwerk zu werden. Er beschreibt eine Vielzahl konkreter Erscheinungsformen populistischer Politik, wobei er zwischen typischen Inhalten und Stil unterscheidet. Ein weiterer Fokus seiner Arbeit liegt auf der Analyse der Gründe, warum sich Populisten in allen Ländern des Westens seit Jahren auf dem Vormarsch befinden. Gleich im Prolog weist Schuler in einer ausführlichen Fußnote darauf hin, daß er sich die negative Konnotation des Begriffs nicht zu eigen mache, sondern ihn als deskriptives Analyseinstrument zur Beschreibung gesellschaftlicher Phänomene etablieren möchte.
Allen Lesern, die vor allem an einer fundierten Definition ohne diffamatorische Absicht interessiert sind, sei empfohlen, mit dem abschließenden Kapitel „Was also ist jetzt eigentlich Populismus?“ zu beginnen. Hier bezieht sich Schuler auf den Politikwissenschaftler Adrian Walch von der Universität Erfurt, der den Wesenskern von Populismus wie folgt beschreibt: „Beim Konflikt zwischen Populismus und liberaler Demokratie handelt es sich nicht (…) um eine Auseinandersetzung zwischen Demokraten und Nicht-Demokraten, sondern um einen demokratieinternen Konflikt zwischen verschiedenen Auslegungsmöglichkeiten des demokratischen Legitimitätsglaubens.“
So sähen Populisten allein in der Souveränität des Volkes die Quelle politischer Legitimität. Vertreter einer liberalen Demokratie wiederum akzeptierten verschiedene vor allem supranationale Legitimitätsquellen wie EU oder Vereinte Nationen. Mit dieser Begriffsklärung gelingt es dem Leser noch besser, die zahlreichen Erscheinungsformen von Populismus ins große Ganze einzuordnen und zu bewerten.
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Laßt uns (wieder) Populisten sein
Der Populismus, so das vorherrschende Narrativ des politmedialen Kartells, bedrohe die Demokratie. Genau das Gegenteil sei der Fall, argumentiert Schuler. Populisten seien die logische Reaktion auf das Demokratieversagen, welches seit einigen Jahren in nahezu allen Ländern des Wertewestens zu beobachten sei: „‘Populisten‘ sind gelebte Demokratie. Sie sind ein Phänomen, bei dem sich in einer funktionierenden, offenen Demokratie als Reaktionen auf Veränderungen in der Gesellschaft und politisches Unbefriedigtsein neue Parteien und Bewegungen gründen, Zulauf erhalten und sogar Regierungsmacht.“ Populisten verschwinden, so Schuler weiter, wenn die von ihnen adressierten Probleme gelöst werden.
Diese These vertrat er bereits in seinem 2019 erschienenen Buch „Laßt uns Populisten sein“, in dem er für eine offene Streitkultur ohne Denk- und Sprachverbote warb. Doch anstatt Debatte folgte Repression. Weltweit wird versucht, das Führungspersonal der Populisten mit juristischen Mitteln zum Schweigen zu bringen. Bei Trump scheiterte dieser Versuch, ein Prozeß gegen Marine Le Pen wegen angeblicher Veruntreuung von EU-Geldern steht kurz vor dem Abschluß – ihr droht der Ausschluß von kommenden Wahlen. Und die Verbotsdrohungen gegen die AfD gehören mittlerweile zum täglichen medialen Grundrauschen.
Weitaus gefährlicher sind staatliche Einschüchterungsversuche gegenüber dem einfachen Bürger. Der Sinn hinter der Etablierung von juristischen Gummidelikten wie „Haß und Hetze“ ist klar: Sag lieber gar nichts, es könnte Hetze sein, und du weißt, was dir dann droht. Die in vielen Bundesländern eingerichteten anonymen Meldeportale für „Meinungsäußerungen unterhalb der Strafbarkeitsgrenze“ komplettieren dieses zutiefst antidemokratische, totalitäre Bedrohungsszenario. Die Meinungsfreiheit ist das Fundament einer jeden demokratischen Gesellschaftsordnung.
Der stärkste Verbündete des Populisten ist die Realität
Diese existiert in Deutschland nur noch auf dem Papier, zu hoch sind mittlerweile die beruflichen und sozialen Kosten für Äußerungen außerhalb des akzeptierten Meinungskorridors: „Deutschland ist zum Land der gesenkten Stimmen geworden“, bringt Schuler dieses Phänomen präzise auf den Punkt. Als gelernter DDR-Bürger weiß er, wovon er schreibt.
Der stärkste Verbündete der Populisten ist die Realität. Viele der adressierten Probleme begegnen den Menschen in ihrem Alltag: Migration, Kriminalität, Energiewende, Islamisierung. Wer zu diesen Themen keine Lösungsvorschläge vorzuweisen hat, wird verlieren, wie jüngst der Wahlsieg Donald Trumps gezeigt hat. Auch in Deutschland wird die Mischung aus Repression und moralischer Belehrung nicht auf Dauer funktionieren, auch wenn bei uns, wie Schuler pointiert feststellt, die „Mischung aus Schuldkomplex und Selbsthaß“ der politischen Elite so weit fortgeschritten sei, daß eine notwendige Korrektur wohl länger in Anspruch nehmen werde als in Ländern mit einem weniger gestörten Verhältnis zu sich selbst.
In Deutschland herrsche laut Schuler eine politmediale Elite, die von der Alternativlosigkeit ihrer gesinnungsethischen Weltrettungspolitik überzeugt ist. Es entspricht einer gewissen Logik, daß der Andersdenkende als Feind gesehen werden muß. Daß dieser Feind durch die beschriebenen Abwehrreflexe immer stärker wird, ist der sogenannten demokratischen Mitte entweder nicht bewußt oder Teil ihrer Strategie, um zu noch repressiveren Maßnahmen greifen zu können. Wer diese Zusammenhänge verstehen will, kommt an Schulers neuem Buch nicht vorbei!