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Nachruf auf Wolf Schneider: Wolf Schneider: Er lehrte, was die Schule zu lehren vergaß

Nachruf auf Wolf Schneider: Wolf Schneider: Er lehrte, was die Schule zu lehren vergaß

Nachruf auf Wolf Schneider: Wolf Schneider: Er lehrte, was die Schule zu lehren vergaß

Journalist Wolf Schneider ist im Alter von 97 Jahren gestorben
Journalist Wolf Schneider ist im Alter von 97 Jahren gestorben
FOTOMONTAGE: Der Journalist Wolf Schneider ist im Alter von 97 Jahren gestorben. Foto: picture alliance / SvenSimon | Essler/SVEN SIMON
Nachruf auf Wolf Schneider
 

Wolf Schneider: Er lehrte, was die Schule zu lehren vergaß

Zum Tode des Sprachkritikers Wolf Schneider: Der Journalist kämpfte bis ins hohe Alter von 97 Jahren gegen die „Wichtigtuerei“ des Genderns und für eine klare und schöne deutsche Sprache. Ein Nachruf von Thomas Paulwitz.
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Der Lehrer des verständlichen Journalismus ist gestorben. Für seinen Abgang hat sich Wolf Schneider mit dem 11.11.22 eine Schnapszahl ausgesucht. Doch den Schnaps brauchen wir, um den Schreck zu verdauen. Der Tod des großen Sprachlehrers macht erst einmal sprachlos, denn er hinterläßt eine schmerzliche Lücke. Einen wie ihn brauchen wir nämlich heute mehr denn je.

Daß die meisten regierungsnahen Medien in ihren Nachrufen seine letzte Sprachkritik verschweigen, also seinen heftigen Widerspruch gegen das Gendern, zeigt, wie sehr wir ihn nötig hätten. Klare und schnörkellose Aussagen und Ansagen waren sein Markenzeichen.

Wolf Schneider stellte sich bis ins hohe Alter gegen das Gendern

Im August dieses Jahres stellte er in der BILD-Zeitung klar: „Die ganze Gender-Debatte ist eine Wichtigtuerei von Leuten, die von Sprache keine Ahnung haben. Zwischen dem natürlichen und dem grammatischen Geschlecht besteht nicht der geringste Zusammenhang. Wie könnte es sonst das Weib heißen? Der Löwe, die Schlange, das Pferd. Obwohl sie alle dieselben zwei Geschlechter haben. Die Führungskraft ist heute überwiegend ein Mann – und keiner hat sich je beschwert. Die Liebe ist weiblich, dabei soll es bleiben.“ Mehr muß man zum Irrweg des Genderns nicht sagen.

Die Süddeutsche Zeitung, für die Schneider einst als Korrespondent gearbeitet hatte, erwähnt immerhin indirekt Schneiders Kritik am Denglisch: „Im Jahr 2005 gehörte er zu den Gründern des Vereins Deutsche Sprache (VDS).“ Doch ist an dieser Meldung so gut wie alles falsch: Der Verein wurde erstens 1997 ins Leben gerufen; zweitens war Schneider bei der Gründung gar nicht dabei. Richtig ist, daß er zusammen mit VDS-Gründer Walter Krämer und Josef Kraus, dem Präsidenten des Deutschen Lehrerverbandes, zwischen 2006 und 2010 die „Aktion Lebendiges Deutsch“ verantwortete.

Das öffentliche Echo damals war groß. Die Aktion schlug so schöne Entsprechungen vor wie „Essen nach Ermessen“ für „all you can eat“ oder „Prallsack“ für den „Airbag“. Ins Bewußtsein vieler Menschen drang, daß man eben nicht jeden englischen Ausdruck gedankenlos nachplappern sollte.

Dies zu recherchieren, war aber schon zu viel für die Süddeutsche. Das liefert einen weiteren Beleg, wie sehr der Journalismus in Deutschland in den etablierten Medien auf den Hund gekommen ist. Wenn die richtige Gesinnung mehr zählt als der Anspruch, so zu berichten, wie es gewesen ist, dann leidet zwangsläufig die Qualität.

@reporterfabrik

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♬ Originalton – Reporterfabrik

Schneider hat gegen diesen Niedergang bis zuletzt gekämpft. Im hohen Alter von 97 Jahren trat er noch in kurzen Lehrfilmen für die „Reporterfabrik“ auf der Plattform „Tik-Tok“ auf. Mit der Reihe „Schreiben lernen vom Profi“ erreichte er binnen drei Wochen drei Millionen Leute. Der Titel der Serie spielt auf das erfolgreichste Buch Schneiders an: „Deutsch für Profis“ von 1982, das unzählige Male aufgelegt wurde. Schneider war nicht nur Kritiker, sondern vor allem Lehrer. Die Zahl seiner Schüler läßt sich nicht bemessen – sie ist gewaltig. Das gibt Hoffnung.

Sein Weg begann beim „Stern“

Cordt Schnibben, Leiter der „Reporterfabrik“, die im Netz Fortbildungen anbietet, hatte Wolf Schneider für die Tik-Tok-Filmchen gewonnen. Auch Schnibben ist sein Schüler. Schneider leitete von 1979 bis 1995 als erster die Hamburger Journalistenschule, die 1983 zu Ehren des Stern-Gründers in Henri-Nannen-Schule umbenannt wurde. Schnibben schlägt nun vor, sie in Wolf-Schneider-Schule umzubenennen. Hintergrund ist aber auch die Kritik an Henri Nannen, der als ehemaliger Kriegsberichterstatter in der Untereinheit „Südstern“ der SS-Standarte Kurt Eggers dem Zeitgeist nicht mehr tragbar erscheint, als Namensgeber einer Schule zu dienen.

Henri Nannen hatte Schneider zum Stern geholt; nicht zum „Südstern“, sondern 1966 zur Zeitschrift, die er 1948 mit Erlaubnis der britischen Militärregierung gegründet hatte. Dort arbeitete Schneider zunächst als Chef vom Dienst, dann als Verlagsleiter. Als er zum Stern kam, hatte der am 7. Mai 1925 geborene Schneider bereits seinen 40. Geburtstag hinter sich.

Wer sich mit einer Fremdsprache auseinandersetzt, schärft besonders die Sinne für die Muttersprache. Schneider begann seine journalistische Karriere 1947 in München als Übersetzer bei der Neuen Zeitung der amerikanischen Militärregierung, nachdem er schon kurz nach dem Zweiten Weltkrieg als Dolmetscher für die US-Armee gearbeitet hatte. Sein Weg führte ihn 1950 als Berichterstatter zur Nachrichtenagentur AP und dann nach Washington, wo er für die Süddeutsche Zeitung als Berichterstatter arbeitete und weiter seinen Sprachsinn schärfte.

„Hottentottenstottertrottel“

Der spätere Schulleiter für Journalisten trat seine Laufbahn ohne Studium und ohne Volontariat an. Mit der deutschen Sprache hatte er sich jedoch schon in früher Kindheit mit Schweiß und Tränen auseinandergesetzt. Er arbeitete hart daran, sein Stottern zu überwinden. Als Zehnjähriger im Jungvolk forderte er seine Kameraden am Lagerfeuer heraus. „Hottentottenstottertrottelmutterattentäterlattengitterwetterkotterbeutelrattenfangprämie“: Wer kann das Wort am schnellsten aussprechen? Schneider gewann. Daß er seiner Autobiographie von 2015 den Titel „Hottentottenstottertrottel“ gab, zeigt, wie prägend diese Erfahrung für sein ganzes Leben war.

Außerhalb der Journalistenschule glänzte Schneider als Moderator der „NDR Talk Show“ (1979 bis 1987). 1973/74 arbeitete er als Chefredakteur der Welt, wo er bald wieder aufhören mußte, weil seine Meinung nicht mit der Axel Springers übereinstimmte. In seinem „Ruhestand“ war er bis zuletzt als Autor zahlreicher sprachkritischer Kolumnen und Sachbücher und als Leiter für Sprachseminare erfolgreich.

„Einer muß sich plagen, entweder der Schreiber oder der Leser.“ Aus diesem Grund lehnte Schneider die Rechtschreibreform ab. Er beherrschte die Kunst des Zuspitzens wie kein anderer. „Qualität kommt von Qual.“ – „Mit Worten ordnen wir die Welt.“ – „Liebe deinen Leser wie dich selbst.“ Das sind Sätze wie in Stein gemeißelt.

Keiner konnte so blitzschnell wie Schneider den Finder in die sprachliche Wunde legen

Wolf Schneider ist eine einzigartige Erscheinung des 20. und 21. Jahrhunderts. In seiner Stilkritik ist er vielleicht noch am ehesten vergleichbar mit Eduard Engel (1851 bis 1938) und dem unberechtigterweise bekannteren Ludwig Reiners (1896 bis 1957), der jedoch Engels „Deutsche Stilkunst“ weitgehend abgeschrieben hat. Mit seinem Buch „Speak German. Warum Deutsch manchmal besser ist“ von 2008 lehnt sich Schneider im Titel sogar an Eduard Engels Verdeutschungswörterbuch „Sprich deutsch! Ein Buch zur Entwelschung“ von 1916 an.

Doch keiner konnte so wie Schneider blitzschnell und messerscharf den Finger in die sprachliche Wunde legen. Die Bücher „Deutsch fürs Leben. Was die Schule zu lehren vergaß“, „Deutsch für Kenner. Die neue Stilkunde“ und „Deutsch für Profis. Wege zu gutem Stil“ gehören als Standardwerke in jede Redaktion. Wolf Schneider fehlt, doch seine Werke bleiben, und die Sehnsucht nach verständlichen Journalismus lebt fort.

FOTOMONTAGE: Der Journalist Wolf Schneider ist im Alter von 97 Jahren gestorben. Foto: picture alliance / SvenSimon | Essler/SVEN SIMON
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