Alain de Benoist ist der einflußreichste Rechtsintellektuelle unserer Zeit. Heute vor fünfundsiebzig Jahren, am 11. Dezember 1943, wurde er in Saint-Symphorien geboren, einem kleinen Ort vor den Toren der Stadt Tours. Wie man seinen Lebenserinnerungen entnehmen kann, interessierten ihn als Kind Bücher mehr als Spielzeug. Und bei der Präferenz zu Gunsten der Bücher ist es geblieben.
Grundsätzlich gibt es zwei Sorten von Büchermenschen: aktive und passive. Aber es gibt auch den seltenen Fall, daß jemand gleichermaßen zur einen wie zur anderen Spezies zählt. Alain de Benoist jedenfalls gehört nicht nur zu den produktivsten Autoren der Gegenwart, er läßt sich auch willig als „biblioman“ bezeichnen.
Sehr wahrscheinlich besitzt er die größte Privatbibliothek Frankreichs mit mehr als 200.000 Bänden. In seinem Wohnhaus bei Versailles und in einem Landhaus irgendwo zwischen Normandie und Bretagne hat er unfaßbare Mengen von bedrucktem Papier zusammengetragen: zahllose Reihenwerke und Lexika, Monographien zu allen möglichen Themen der Philosophie, Theologie, Religionswissenschaft, Linguistik, Geschichte, Archäologie, Volks- und Völkerkunde, dazu Zeitschriften und Zeitungen.
Zielsicher durchs Labyrinth
Das meiste steht wohlgeordnet in hohen Regalen oberhalb oder unterhalb der Erde (Benoist erwarb vor Zeiten den Keller seines Nachbarn als Lagerraum), aber manchmal erheben sich irgendwo auch kleinere oder größere Stapel und wackelig aussehende Büchertürme, lagert etwas in Kisten oder liegt ausgebreitet auf dem Boden in sämtlichen Räumen (jedenfalls den für Besucher zugänglichen). Wenn man den Herren dieser Schätze nach einem Thema fragt, wird er zielsicher durch das Labyrinth steuern und das Gewünschte hervorholen.
Zwischendurch hält er inne, bückt sich, um eine der Katzen zu streicheln, die durch das Haus streifen, holt hier etwas hervor, was vielleicht auch interessieren könnte, zeigt dort ein seltenes Stück: die kleinen, auf schlechtem Papier gedruckten Traktate der bretonischen Autonomisten aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, Abhandlungen über die einmal heiß diskutierte Ausgrabung von Glozel, so ziemlich alles, was jemals von einem Autor der Konservativen Revolution veröffentlicht wurde.
Ungeheurer immaterieller Wert
Das ganze Repertoire der französischen Rechten von den Klassikern Barrès und Maurras bis zu den Liederbüchern der Nationalrevolutionäre der 1970er Jahre, die Werkausgabe Degrelles und die Programmschriften des Nationalkommunisten Thiriart (der einzige Rechtsextremist der Nachkriegszeit, mit dem die intellektuelle Auseinandersetzung lohnt, meint Benoist im Vorübergehen), aber auch die Bücher der bedeutenden Linken, vor allem der Ketzer, von Proudhon bis Sorel und Berth, dazu die Publikationen aller möglichen Gruppen und Grüppchen.
Als irgendeine trotzkistische Klein-KP ihre Geschichte zu rekonstruieren suchte, fand sie weder im eigenen noch in den offiziellen Archiven das gesuchte Material, aber Benoist konnte helfen, er besaß eine vollständige Kollektion des Parteiblatts.
Der ungeheure Wert dieser Sammlung ist weniger ein materieller als ein immaterieller. Denn Benoists hoch individuelles Interesse an allem möglichen hat zur Entstehung einer Bibliothek geführt, die sicher auf die Bedürfnisse ihres Schöpfers zugeschnitten ist, aber eben auch Zugriff auf Bereiche bietet, die von vielen Zeitgenossen geringgeschätzt und übersehen wurden, deren Bedeutung sich erst im nachhinein erschließt.
Das ist, was Goethe meinte: „In Bibliotheken fühlt man sich wie in der Gegenwart eines großen Kapitals, das geräuschlos unberechenbare Zinsen spendet.“ Benoist ist einer derjenigen, die solches Kapital angelegt haben.