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Unter Ausschluß der Öffentlichkeit

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Vom einst mächtigen Strom marxistisch inspirierter Literatur ist lediglich ein dünnes Rinnsal verblieben. Aufreibende Kapitalstudien als Massenphänomen gehören einer fern zurückliegenden Vergangenheit an, und man kann sich angesichts der Bundesrepublik von heute gar nicht mehr so recht vorstellen, daß es so etwas tatsächlich einmal gegeben haben soll. Die Tradition mag zwar nie gänzlich abgerissen sein, die Bewahrung ihrer Bestände ist aber der Obhut kleiner Zirkel überlassen, die vom Stolz auf ihr Geheimwissen erfüllt stoisch auf bessere Zeiten warten. Wo bereits das Interesse an Karl Marx nur noch bei ausgewählten Geisteswissenschaftlern ohne Hang zur politischen Praxis anzutreffen ist, gilt dies um so mehr für jene Autoren, die den Klassiker fortzuspinnen trachteten. Auch das geistige Nachleben des 1907 in der heutigen Ukraine geborenen und 1995 in Köln gestorbenen marxistischen Sozialwissenschaftlers Leo Kofler kann unter diesen Umständen nicht mehr als ein bescheidenes sein. Den Wiener Karolinger-Verlag hat dies nicht daran gehindert (oder vor dem Hintergrund seiner Programmphilosophie vielleicht sogar eher beflügelt), im Herbst des vergangenen Jahres unter dem Titel „Nation — Klasse — Kultur“ einen Band mit Aufsätzen des Lukács-Schülers aus vier Jahrzehnten vorzulegen, die noch nie zwischen zwei Buchdeckeln erschienen waren, unter ihnen drei bislang gänzlich unveröffentlichte Texte. Die Präsenz dieses Titels im regulären Buchhandel währte indes nur kurz, was leider keiner unerwartet stürmischen Nachfrage geschuldet war. Unter dem Anspruch, die alleinige Erbin aller Urheberrechte an den Schriften ihres verstorbenen Ehemannes zu sein, intervenierte die Kofler-Witwe unter rechtsanwaltlichem Beistand beim Verlag und forderte ihn auf, das Buch vom Markt zu nehmen, da sie zur Veröffentlichung der Texte keine Zustimmung erteilt habe. Da sich die Annahme des Verlages, der herausgebende Arbeitskreis habe zuvor eine Rechteklärung vorgenommen, als schwer beweisbar herausstellte und Ursula Kofler eine nachträgliche Genehmigung verweigerte, sah sich Karolinger gezwungen, der Aufforderung Folge zu leisten. Seither sind Interessenten an diesem Band auf Zufallsfunde im Antiquariat angewiesen — aktuell könnten sie auf einschlägigen Internet-Plattformen Glück haben. Vermutlich tritt man Ursula Kofler nicht zu nahe, wenn man ihr rigides, in der Forderung nach Vernichtung der Restauflage gipfelndes Vorgehen nicht bloß als eine zähe Verteidigung von ererbten Eigentumsrechten interpretiert, hat doch der Wiener Philosoph und Kommunist Reinhard Pitsch als Leiter der Herausgebergruppe in seinem Vorwort unmißverständlich ausgeführt, daß diese Publikation durchaus als Korrektur einer Sicht auf Kofler anzusehen ist, die insbesondere dem seinen Namen tragenden Verein eigen sei. Tatsächlich monieren namhafte Kofler-Kenner bereits seit längerem, daß in Neu-Editionen Textmanipulationen und Auslassungen anzutreffen seien, die darauf zielten, seine der heutigen Linken nicht genehmen Standpunkte zu unterschlagen, und insgesamt eine Weichspülung betrieben. Betroffen von derartigen Textbereinigungen seien unter anderem Koflers Interesse an Carl Schmitt sowie seine ausführliche Auseinandersetzung mit Arnold Gehlen, zudem falle auch sein Eintreten für die deutsche Einheit — unter Einbeziehung Österreichs und vielleicht sogar der Schweiz — unter den Tisch. Auf diese Angriffe hat Christoph Jünke, der Vorsitzende der Leo-Kofler-Gesellschaft, mit einem wütenden, insbesondere den marxistischen Publizisten Stefan Dornuf als vermeintlichen Strippenzieher der unerhörten Kritik aufs Korn nehmenden Pamphlet („Hände weg von Leo Kofler!“) geantwortet, von dem Auszüge in der Jungen Welt veröffentlicht wurden. Dornufs Entgegnung („Wider den linken Blödianismus“) wiederum ist auf der Internetseite des Karolinger-Verlages (www.karolinger.at) zu lesen. Auffällig, wenn auch nicht unbedingt überraschend, ist, daß Jünke zu den eigentlichen Vorwürfen an seine Adresse recht wenig zu sagen hat. Er scheint sich vielmehr darauf konzentrieren zu wollen, eine neuerliche Verschwörung der „Neuen Rechten“ anzuzeigen, die wieder einmal die unstatthafte Vereinnahmung eines ihr fernstehenden Autors unternimmt. Worin diese „Vereinnahmung“ bestehen soll, bleibt allerdings Jünkes Geheimnis. Weder Reinhard Pitsch noch die publizierten Texte und Anmerkungen sind jedenfalls in ernsthafter Betrachtung dem Kontext der „Neuen Rechten“ zuzurechnen. Möglicherweise ist alles noch viel einfacher, als es sich Jünke vorzustellen vermag, und Karolinger hat schlicht aus verlegerischem Ethos heraus Texten Unterschlupf gewährt, die dort, wo sie viel eher zu erwarten wären, niemand unverfälscht publizieren mochte. Es wäre ja nicht das erste Mal gewesen, daß ein Buch Koflers nur im „Exil“ erscheinen konnte. Vielleicht hätte man auch diesmal ein Pseudonym wählen sollen. Foto: Leo Kofler: Unerwünschte Standpunkte 

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