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Demontage eines Weltkriegsheiligen

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Weihnachts-Abo, Weihnachtsbaum, Zeitungen

Bei Youtube gibt es eine herrliche Hitler-Persiflage von Oliver Kalkofe. Der TV-Satiriker tritt nach einem Time-Life-Fernsehspot auf, in dem für die DVD-Serie „Das Jahrhundert der Kriege“ geworben“ wird. Verkleidet als „Gröfaz“, erklärt er in typischem Hitler-Deutsch: „Vergessen Sie niemals: Krieg ist eine furchtbare Sache.“ Um dann kleinlaut hinzuzufügen: „… wenn man ihn verliert.“ Da ist etwas dran. Aber auch ein gewonnener Krieg ist eine furchtbare Sache. Niemand wußte das besser als Winston Churchill. Der britische Premierminister hat sein Land zweimal in einen Krieg gegen Deutschland gehetzt, zweimal gewonnen und dennoch alles verloren: das Empire, die Überlegenheit der Flotte, die persönliche Macht, den Kampf gegen den Marxismus. Patrick Buchanan räumt jetzt mit dem Churchill-Kult auf, der auch bei uns merkwürdige Blüten geschlagen hat — immerhin schlug Verteidigungsminister Rudolf Scharping vor einigen Jahren vor, Kasernen nach dem Mann zu benennen, der auch für den Bombenkrieg und den Tod von Hunderttausenden Deutschen verantwortlich ist. Und die Briten, well, sie halten ihn für den größten Staatsmann schlechthin. In „Churchill, Hitler and the unnecessary war“ (Churchill, Hitler und der überflüssige Krieg) untersucht der frühere US-Präsidentschaftskandidat die verhängnisvolle Rolle Großbritanniens im 20. Jahrhundert. Buchanan kritisiert alle wichtigen Entscheidungen der britischen Außenpolitik: die gegen Deutschland gerichtete Entente mit Frankreich 1906, das Versailler Diktat 1919, die antiitalienische und antijapanische Haltung in den Folgejahren, den Blanko-Check für Polen 1939 („Londons größter Fehler“) und schließlich Churchills naive Haltung gegenüber dem Despoten Stalin. Buchanans Argumentation ist bestechend. Er räumt alle Argumente beiseite, die die Handlungen der Briten nachträglich rechtfertigen könnten — obenauf sei dieses auserwählt: Durch die Zerschlagung Deutschlands wurde der Holocaust beendet. Das behaupten die Siegermächte. Es hätte, so Buchanan, gar keinen Holocaust geben können, wenn Hitler nicht Westeuropa überrannt hätte. Der Westfeldzug jedoch wurde ihm vom Westen aufgezwungen, er hat den Krieg gegen Großbritannien immer zu verhindern gesucht. Aber auch die Millionen Toten des Ersten Weltkriegs hätten nicht sein müssen. Wenn Großbritannien nicht in den Krieg gegen Deutschland gezogen wäre, wäre Europa 1914 glimpflich davongekommen. Auch damals spielte Winston Churchill, den Buchanan als prinzipienlosen Mann charakterisiert, bereits eine herausragende Rolle. An dieser Stelle orientiert er sich an den zehn Jahre alten Erkenntnissen des Schotten Niall Ferguson, der mit seinen Thesen in „Der falsche Krieg“ (The Pity of War) die Geschichte des Ersten Weltkriegs neu geschrieben hat. Bezogen auf die Zwischenkriegszeit hat Buchanan die von London verursachte Verschlechterung des britisch-italienischen Verhältnisses anschaulich herausgearbeitet. Diesem Aspekt schenkt die deutsche Öffentlichkeit sonst wenig Interesse. Er ist aber wichtig, um zu verstehen, warum der Hitler-Hasser Mussolini plötzlich in die Achse Berlin—Rom einwilligte und damit den Krieg näherbrachte. Die Appeasement-Politik der Briten sei richtig gewesen, sagt Buchanan. Schließlich war es das gute Recht der Sudetendeutschen, sich von den Tschechen zu trennen — eine These, die Buchanan bereits vor zehn Jahren in „A Republic, not an Empire“ vertreten hat. Chamberlains vielleicht zu großzügiges Verhalten gegenüber dem Diktator in Berlin ist gar nichts im Vergleich zu Churchills  „viel größeren Fehlern“ im Umgang mit Stalin. Und dann zitiert Buchanan genüßlich aus den Schriften über Hitler des ach so heldenhaften Siegers Churchill. Aber nicht aus den nachträglichen Ergüssen, mit denen der Ex-Premierminister nach 1945 sein fatales Handeln zu rechtfertigen sucht. Sondern aus den Jubelarien in den dreißiger Jahren, als Churchill neidisch schrieb, er wünsche sich auch für sein Land so einen Führer, der es wieder aufbaut, falls Großbritannien einmal am Boden liegen sollte. Das war 1937. Am Ende des britischen Größenwahns, den Churchill wie kein anderer verkörperte, stand der Zweite Weltkrieg. Buchanan sagt: „Dieser Krieg dauerte sechs Jahre und endete damit, daß Europa in Trümmern lag, mit der Stalinisierung von elf Staaten und dem Kollaps der britischen und französischen Weltreiche.“ Jetzt hieß es auch für Churchill: game over. Sein Land war plötzlich bankrott, abhängig von den USA, regiert von Labour-Sozialisten. Alles das war Churchills Werk. Fazit: „Churchill“ ist ein Buch, bei dem der Leser zunächst denkt: „Was für eine dicke Schwarte über ein Thema, über das doch wirklich alles gesagt ist.“ Doch spätestens, wenn das letzte Kapitel aufgeschlagen wird, denkt er: „Wie schade, daß das Buch schon zu Ende geht.“ Jede Seite Lesespaß plus Erkenntnisgewinn. Schade, daß es bislang nur auf englisch vorliegt. In Amerika wurde das Buch von einer Bertelsmann-Tochterfirma verlegt. Hierzulande wird dies wohl kaum geschehen. Der Arndt-Verlag, der die letzten Buchanan-Bücher in deutscher Übersetzung herausgebracht hat, arbeitet aber bereits an einer deutschen Ausgabe. Im Spätherbst soll es soweit sein.            Patrick J. Buchanan: Churchill, Hitler and the Unnecessary War — How Britain lost its Empire and the West Lost the World, 544 Seiten, Crown Publishers, New York 2008, gebunden, 544 Seiten, Abbildungen, 18,95 Euro

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