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Rechte Hand an die Brust

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Das Barock ist zurück auf der Bühne. Die Zeiten, als etwa Stadttheater in der Provinz die Aufführung von Händels „Giulio Cesare“ als Rarität an den Mann bringen konnten, sind endgültig vorüber – es sei denn, es wird ganz tief im Fundus bislang kaum wahrgenommener Antiquitäten gestöbert. Doch insgesamt gilt: Die Barockoper hat sich als feste Größe wieder einen Platz im Repertoire des Musiktheaters gesichert. Freilich betrifft das nur den musikalischen Aspekt des Unterfangens, der sich zwischenzeitlich selbst an kleinen Theatern durch die Verwendung einer historisch informierten Annäherung an den „Originalklang“ auszeichnet. Szenisch herrscht hingegen weitgehend das Regietheater, welches in punkto Barockoper zumeist zwei Tendenzen folgt: Entweder werden die Werke auf „heutig“ (Theatermachers Lieblingswort) getrimmt oder aber schlicht veralbert. Im letzteren Fall purzeln dann die running gags im wahrsten Sinn des Wortes „vom laufenden Band“, wie beispielsweise in Martin Duncans Inszenierung von Georg Friedrich Händels „Serse“ an der Bayerischen Staatsoper zu besichtigen. Das nennt sich dann Barock-Pop und wird im schlimmsten Fall mit dem Hinweis begründet, bei der Barockoper handele es sich schließlich eher um eine Art Arien-Revue, deren Handlung schon weiland das Publikum – ganz fixiert auf die vorzugsweise aus Italien importierten Star-Kastraten und anderes Sängervolk – nicht sonderlich interessiert hätte. Wer so argumentiert, gibt freilich zu, daß er mit den historien- und mythenträchtigen Sujets dieses Musiktheaters nichts anfangen kann. Als Kunstgattung eigenen Rechtes werden barocke Operntexte so auch kaum rezipiert. Sofern sie szenisch nicht banalisiert aufbereitet werden, taugen sie in den Augen vieler Regisseure bestenfalls als Parabel auf wahlweise totalitäre, faschistoide, fremdenfeindliche oder neurotische Gesellschaftszustände: Wie wunderbar politisch korrekt kann da selbst noch ein Werk wie Händels „Ariodante“ aufbreitet werden … Daß dies nicht alles ist, was über das Szenario einer Barockoper gesagt werden kann, manifestiert sich von Zeit zu Zeit in den Arbeiten der Tänzerin, Choreographin und Regisseurin Sigrid T’Hooft, die sich intensiv zuerst mit historischen Tanzformen und seit geraumer Zeit auch mit den Regeln barocker Bühnendarstellung auseinandersetzt. Nun wurde sie vom Badischen Staatstheater zu den 29. Händelfestspielen eingeladen, im Rahmen einer Produktion der 1729 uraufgeführten Oper „Lotario“ den zweiten Akt nach den Regeln historischer Bühnenkunst zu inszenieren. Der Absicht gegenüber eher unbedarften Sängern das detaillierte Regelwerk barocker Schauspielästhetik in knapp bemessener Probenzeit zu vermitteln, ist natürlich nur bedingt möglich. Dennoch machte das Ergebnis staunen – und das nicht nur ob der Verwendung einer barocken Illusionsbühne, stilgerechter Kostüme und der vollständigen Illumination des Spielraumes allein mit Kerzenlicht. Zuerst die gute Nachricht für die Verfechter der Regiebühne: Die Geschichte von Händels „Lotario“ spielt zwar kurz vor der ersten Jahrtausendwende, der barocke Darsteller trägt nichtsdestotrotz „heutig“ anmutende Garderobe (was im Barock eben als „heutig“ galt) – mit den Sack- und Aschefetzen oder den einfallslosen, mal grauen, mal schwarzen Anzügen und Kostümchen des heutigen Regietheaters hat das dennoch wenig gemein. Eine „barocke“ Aufführung erschöpft sich aber keineswegs in bezaubernden Dekorationen – zumindest dann nicht, wenn man mit solchem Ernst wie T’Hooft zu Werke geht. Es sei hier nur eine der umfangreichen Regeln für den Darsteller zitiert, die die Regisseurin aus den historischen Quellen erarbeitet hat: „Hände und Arme hängen nie glatt am Körper herunter und berühren diesen nicht. Sie werden stets diagonal vom Körper weg gehalten und begrenzen dadurch einen Raum vor der Person, der in Analogie zur Zentralperspektive der Bühne auf einen Fluchtpunkt hin ausgerichtet ist, der im Sternum (Brustbein) liegt. Der Sänger schafft damit einen ‚privaten‘ Raum vor sich, der zugleich ein Abbild der Bühne im Kleinen ist: Hier findet das gestische Spiel der Arme und Hände statt.“ Dieses „gestische Spiel“, von dem T’Hooft schreibt, ist wiederum gleichsam bis in die Fingerspitzen reglementiert. So schreibt etwa Franciscus Lang in seiner 1727 erschienenen „Dissertatio de Actione Scenica“, daß der Darsteller Furcht ausdrücke, „indem die rechte Hand an die Brust gedrückt wird, wobei die ersten vier Finger sich zu einer Spitze fügen; die Hand soll dann gesenkt und vorgestreckt hängen gelassen werden“. Wie auch in anderen darstellenden Künsten dieser Epoche zu beobachten, lebt barocke Bühnenkunst somit aus der Stilisierung der Affekte. Genau das findet sich übrigens auch in der musikalischen Faktur der Barockoper wieder, deren originärer Belcanto eben mehr heißt als nur schön zu singen. Die ganze Grammatik dieser musikalischen Sprache mit ihren Koloraturen und Verzierungen zielt darauf ab, sich den Affekt aus der artifizierten Klanggebärde heraus zu gewinnen. In diesem Sinn kann man bei Einheit von Szene und Musik in der Tat vom „Gesamtkunstwerk“ Barockoper sprechen. Das mag uns statisch deuchen – aber überraschenderweise nimmt sich das Endergebnis – wie T’Hooft es nun in Karlsruhe präsentierte – für heutige Augen schon wieder ungemein modern aus und weit weniger abgeschmackt als so viele ruinöse Versuche des Regietheaters.

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