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Weder Schmelztiegel noch multikulturelle Milieus

Weder Schmelztiegel noch multikulturelle Milieus

Weder Schmelztiegel noch multikulturelle Milieus

 

Weder Schmelztiegel noch multikulturelle Milieus

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Als der Danziger Germanist Waldemar Oehlke 1940 Erinnerungen an die „Sechzig Reisejahre“ seines buntbewegten Lebens veröffentlichte, stellte er im Rückblick auf „Jahrhunderte Danziger Bildung und Poesie“ apodiktisch fest: „Alles war immer deutsch.“ Wenn bundesrepublikanische Germanisten und Historiker sich heute der Danziger oder, im weiteren Umfeld, der westpreußischen Geistesgeschichte widmen, dann sehen sie in der städtischen Kultur dort primär „Schmelztiegel heterogener Überlieferungen und Schauplätze multikultureller Milieus“. Unter gänzlich veränderten ideologischen Vorzeichen ist das freilich ebenso zeitgeistgerecht wie einst Oehlkes Diktum kurz nach der Korrektur des Versailler „Gewaltfriedens“. Trotzdem wollten Sabine Beckmann und Klaus Garber, als Herausgeber eines Sammelwerkes über die „Kulturgeschichte Preußens königlich polnischen Anteils in der Frühen Neuzeit“, nicht kritische Distanz wahren zum modischen Multikulturalismus, wollten nicht verzichten auf das „Schmelztiegel“-Vokabular, das bereits auf dem Schutzumschlag ihres imposanten Opus unangenehm auffällt. Im Vorwort versprechen die beiden daher mit Verve, keinesfalls den „geschichtlich absurden Versuch“ unternehmen zu wollen, „im nachhinein nationale Zurechnungen vorzunehmen“. Denn so ein Unterfangen, was ja die Forschungen Heinz Kindermanns, des langjährigen Ordinarius an der TH Danzig, „nach Versailles“ gezeigt hätten, fiele deshalb „ins Bodenlose“, weil doch schon anhand der historischen Buchbestände in den Stadtbibliotheken von Danzig, Elbing und Thorn abzulesen sei, wie sich zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert das lateinische Idiom mit dem Deutschen und dem Polnischen mische. Was nicht weniger als 32 deutsche und polnische Wissenschaftler zu diesem stattlichen Band, fraglos einem Standardwerk für die Geschichte des „Preußenlandes“, beigetragen haben, widerlegt aber die ideologischen Lippendienste der Editoren auf erfreuliche Weise. Denn auch die polnischen Autoren wollen jenem Teil des alten Ordensstaates, der zwischen 1466 und 1772 der polnischen Krone unterstand, nicht nachträglich polonisieren. Einige Ansätze dazu sind zwar erkennbar, etwa in Lech Mokrzeckis englisch geschriebener Übersicht über die „Protestant Grammar Schools of Royal Prussia“, wo ahistorisch vom polnischen Erziehungssystem oder von „Gdansk“ und „Elblag“ die Rede ist, aber ins Gewicht fällt das so wenig wie die Unart deutscher Beiträger für Geburtsorte deutscher Gelehrter in Klammern die heutigen polnischen Bezeichnungen zu setzen, so als ließe man Kant in Kaliningrad zur Welt kommen. Also ganz gegen die „multikulturellen“ Intentionen der Herausgeber belegen sämtliche Beiträge in verblüffender, natürlich nie „nationalistisch“ auftrumpfender Weise, tatsächlich Waldemar Oehlkes schlichten Befund: „Alles war immer deutsch.“ Wenn auch Marian Pawlak dies spürbar enttäuscht konstatiert, so führt nach seiner Musterung der Geschichte des Elbinger Gymnasiums doch kein Weg daran vorbei, daß zwischen 1535, dem Gründungsjahr, und 1772, dem Ende polnischer Herrschaft, von 11.440 Schülern „ganze 306“ polnischer Herkunft waren. Denn: „Elbing war im damaligen Polen die Stadt, in welcher der Einfluß deutscher Kultur am stärksten war und somit waren ungefähr 90 Prozent der Gymnasialschüler deutscher Abstammung.“ In Danzig und selbst in Thorn sah das jedoch nicht viel anders aus. Manfred Komorowski, um die Bildungsgeschichte Altpreußens hochverdienter Bibliothekar aus Duisburg, erwähnt in seinem Vergleich des akademischen Schrifttums der geistigen Zentren Königsberg, Danzig, Elbing und Thorn keinen irgendwie belangvollen polnischen Anteil. Und Klaus Garber selbst, in seiner umfangreichen Studie über Geschichte und Bestände der 1945 weitgehend von Kriegseinwirkungen verschont gebliebenen, 1596 eingerichteten Danziger Stadtbibliothek, schwelgt in lateinischen und deutschen Buchtiteln, bleibt uns aber polnische schuldig. Selbstverständlich erschien die Jubiläumsschrift zum 200. Bestehen des Danziger Gymnasiums in der Alltagssprache ihrer Lehrer und Schüler und heißt: „Nachricht von dem Jubelfeste des Danziger Gymnasii den 13. Junius 1758“. Daß man die absolute Dominanz deutscher Kultur im Weichselland, die hier in ihrer ganzen Spannbreite von den Gelehrtenschulen bis zu den theologischen Disputen, von der Musikgeschichte bis zum „Bauwesen und Kunsthandwerk in Elbing“ ausgemessen wird, nicht im Sinne des 19. und 20. Jahrhunderts mit politischer Identität und dem Bewußtsein gleichsetzen darf, der „deutschen Nation“ anzugehören, sollte dem historisch Denkenden klar sein, und muß eigentlich nicht so kräftig konturiert werden, wie Christian von Zimmermann es in seinem Porträt des Elbinger Barockpoeten Daniel Bärholtz tut. Darum ist Arnold Bartetzkys Resumé zuzustimmen, demzufolge die Patrizier an der Mottlau weder so antipolnisch waren, wie es die ältere deutsche Forschung gern unterstellt, noch sie ein „Zugehörigkeitsgefühl“ mit Polen verbunden hätte, wie polnische Historiographen dies gern behaupten. Die ohnehin nie in Frage stehende deutsche Kultur schloß ein „pragmatisches Verhältnis“ zu Polen nicht aus, die politische Vernunft orientierte sich eben am Nutzen für die Stadt. Sabine Beckmann, Klaus Garber (Hrsg.): Kulturgeschichte Preußens königlich polnischen Anteils in der Frühen Neuzeit. Max Niemeyer Verlag, Tübingen 2005, XVIII und 876 Seiten, gebunden, Abbildungen, 198 Euro

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