Die Top-Manager sind ins Gerede gekommen. Fast täglich verschlechtert sich ihr öffentliches Ansehen. Auf den hier und da diskret geführten "Ansehenstabellen" nähern sie sich schier unaufhaltsam den hintersten Rängen, wo sich üblicherweise Journalisten, Gastwirte, Politiker und Gewerkschaftsführer das Schlußlicht in die Hand geben (während an der Spitze nach wie vor Ärzte, Diplomaten und evangelische Pastoren stehen).
Unter einem deutschen Top-Manager stellt sich der heutige Zeitgenosse etwa folgendes vor: Vorstandsvorsitzender oder Vizevorstand einer der fünfhundert größten deutschen Aktiengesellschaften, circa fünfzig Jahre alt, verheiratet, drei Kinder (die an amerikanischen business schools studieren), Chefsekretärin als Nebenfrau, Bezieher eines ungeheuren Gehalts, das zusätzlich aufgefüllt wird durch Gewinnbeteiligungen, Aktienoptionen und dergleichen aus dem "eigenen" Unternehmen, Villen in Oberbayern, in der Schweiz und an der Algarve, Segelyacht, wirtschaftlich neoliberal, kulturell eher links, Sprecher eines flotten Gebrauchsenglisch.
Zum aktuellen Ansehensverlust dieser Top-Manager trägt vor allem die Tatsache bei, daß viele von ihnen in der letzten Zeit "ihren" Unternehmen gewaltige Verluste beibrachten, ohne daß das die geringsten negativen Folgen für sie selbst gehabt hätte. Milliardenbeträge wurden "versenkt", der Aktienwert des "eigenen" Unternehmens halbiert oder gänzlich zum Verschwinden gebracht, Abertausende von Beschäftigten verloren ihren Arbeitsplatz – aber den verantwortlichen Top-Managern schadete das nicht, im Gegenteil, die eigenen Gehälter stiegen im selben Takt in astronomische Höhen und zusammen mit den Gehältern das manifestierte Selbstbewußtsein der so glücklich Bedachten.
Es befestigte sich der Eindruck, daß hier unversehens etwas herangewachsen ist, das man eigentlich überwunden wähnte: eine neue "Elite", deren Elite-Status nicht auf Leistungen fürs Ganze beruht, sondern ausschließlich auf individuellen Mitnehmer-Qualitäten oder – schlimmer noch – auf überhaupt keinen Qualitäten, sondern einzig auf dem Umstand, daß man eben "dazugehört". Man ist Elite, weil man Elite ist, punktum. Mit einer solchen Entwicklung sind offenbar immer weniger Leute einverstanden, und deshalb sind die Top-Manager nun ins Gerede gekommen.
Zusätzlich eingetrübt wird das unwillkommene Bild durch die Beobachtung, daß die Politik und insbesondere die rotgrüne Regierung in Berlin mit den sich zur Punktum-Elite herausmendelnden Top-Managern unter einer Decke stecken, ja, sich mit ihnen regelrecht zu vereinigen beginnen. Auch in der deutschen Politik gilt seit längerem das Prinzip: "Je mehr Unheil ein Top-Politiker anrichtet, um so mehr verdient er und um so mehr gehört er dazu." Der soziale und "kulturelle" Zugang zur Top-Politik wie zum Top-Management wird derzeit nicht durch Leistungsnachweise geebnet, sondern durch bestimmte Rituale und Signale ("Codes") des Dazugehörens. Regelmäßiges Erscheinen in den Medien, Skandalberichte und "populistische" Kritik, der man sich ausgesetzt sieht, ersetzen Eignungszertifikate, Verdienst-Urkunden und erfolgreiche, ohne Bilanzierungstricks zustande gekommene Wirtschafts-Abschlußberichte.
Eines der Hauptprobleme jeder Elite ist der Nachwuchs und die Verjüngung ohne Generationenbruch und Verlust der Identität. Am nächsten liegt es, den Elitestatus in der eigenen Familie oder Sippe zu halten, die privilegierte Position einfach von den Eltern auf die Kinder zu übertragen, zu "vererben". Im Zeitalter der Demokratie gelingt das nicht mehr so leicht wie in früheren, feudalen Zeiten, aber der Versuch dazu ist nach wie vor virulent.
Feldforschungen haben ergeben, daß sich sowohl in der deutschen Politik wie in der deutschen Wirtschaft die sogenannte "weiche Vermittlung" immer weiter ausbreitet, d.h. die Übertragung von Führungspositionen nicht nach Leistung, sondern nach sozialer Herkunft oder gleich nach direkter Familienzugehörigkeit. Soziologen nennen das auch "die Mafiotisierung des deutschen Stellenmarktes" (M. Hartmann). Die öffentlichen Stellenanzeigen sind demnach in erster Linie bloßes Augenpulver zur Täuschung der Öffentlichkeit und zur Finanzierung medialer Täuschungs-Apparate. In Wirklichkeit werden die meisten führenden Positionen bereits nach Standes- oder auch schon nach direkter Familienzugehörigkeit besetzt. Wessen Vater Direktor war, der wird auch wieder Direktor.
Der Selektionsprozeß verläuft in der Regel nicht grob und direkt, vielmehr in feiner Abgestuftheit und manchmal als raffiniert oder diabolisch inszenierter Theatercoup. So kann es passieren, daß es ein an sich nicht dazugehöriger, doch tüchtiger und brauchbarer "Newcomer" in einer Hierarchie ziemlich weit bringt – aber dann, bei einer bestimmten, entscheidenden Beförderung, wird ihm ein blasses Nulltalent, das bisher fast unsichtbar in einer Nische verharrte, vorgezogen. Und dem schnöde Abgewiesenen dämmert bald: "Ach ja, dessen alter Herr ist ja ein großes Tier dort und dort, treibt sich in den feinsten Klubs herum, spielt regelmäßig Golf mit dem und dem. So läuft das also!"
Ja, so läuft das tatsächlich in Schröder&Merkel-Land. Es fällt immer mehr Beobachtern auf, und einigen ist auch schon klar, daß das zu bösen Häusern führen dürfte. Schon Vilfredo Pareto am Beginn der Eliten-Forschung wußte: Punktum-Eliten ohne Leistungsfähigkeit, denen nur um den Erhalt ihrer selbst zu tun ist, können ein Land ziemlich schnell zugrunde richten. Sie werden gottlob meistens gestoppt durch neue, bienenfleißige Proto-Eliten, die sich irgendwo, fast unbemerkt, neben dem herrschenden System herausbilden und eines Tages plötzlich aktiv werden. Das ist dann der berühmte "Kreislauf der Eliten", der jeweils mehr oder weniger rabiat verläuft. Diesmal hoffentlich weniger.